26. Juli 2021
CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut des Offenen Briefs zum "Hirtenwort" von Kardinal Reinhard Marx des Sprechers und Mitglied des Betroffenenbeirat Erzbistum Köln.
Offener Brief an Papst Franziskus, Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, und Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising
Betr.: Wort an die Gläubigen im Erzbistum München und Freising vom 23.07.2021
Wir haben das Wort an die Gläubigen, was von Kardinal Marx vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, zum Teil mit großem Erstaunen gelesen. Zunächst beteuert er, dass er im Gehorsam die Entscheidung des Papstes akzeptiere und er somit sein Bischofsamt weiter ausübe. Aber für ihn sei damit die Angelegenheit nicht einfach erledigt, so dass er einfach weitermache als sei nichts
geschehen. An anderer Stelle sagt er, dass er nach dem Antwortbrief von Papst Franziskus neu Ja zu seinem Dienst als Erzbischof von München und Freising sage. Aber es sei für ihn auch klar, dass bei einer neuen Situation oder veränderten Umständen er seinen Dienst grundsätzlich in Frage stelle und er prüfen werde, ob er nicht erneut das Gespräch mit dem Heiligen Vater suchen sollte. Seinen Dienst als Bischof verstehe er nicht als ein Amt, das ihm gehört und das er verteidigen muss, sondern als einen Auftrag für die Menschen in diesem Erzbistum und als Dienst an der Einheit der Kirche. Sollte er diesen Dienst nicht mehr erfüllen können, dann wäre es an der Zeit zum Wohl der Kirche zu entscheiden und seinen Amtsverzicht erneut anzubieten.
Kardinal Marx versteht es ausgezeichnet, sich in einem guten Licht zu präsentieren. Er hält sich aber stets ein Hintertürchen offen, das er nutzen will, wenn es brenzlig wird. Es ist doch schon heute klar, dass er in seiner Zeit als Bischof von Trier nicht alles richtig gemacht hat und den Ruf der Kirche höher eingestuft hat als das Wohlergehen von Betroffenen. Inwieweit das auch für seine Zeit im Erzbistum München-Freising zutrifft, kann man noch nicht sagen. Ob das angekündigte Gutachten in dieser Beziehung Licht ins Dunkel bringen wird ist offen. Und ob dieses Gutachten dann auch ungekürzt und ungeschwärzt für jeden Interessierten zugänglich ist bleibt Spekulation. Kardinal Marx macht seinen Verbleib im Amt von den möglichen Erkenntnissen abhängig, die ans Licht kommen. Wenn er in seinem Wort an die Gläubigen schreibt, dass seit dem Jahr 2010 für ihn der Schock nicht weicht, dass dies Schreckliche von Amtsträgern und Mitarbeitern der Kirche geschehen ist und die Bischöfe das möglicherweise nicht immer intensiv genug gesehen haben oder sehen wollten, dann muss doch die Frage gestattet sein: Was ist denn seit 2010 geschehen? Abgesehen von der MHG-Studie und einzelnen Vorreitern in anderen Bistümern in Sachen Aufarbeitung wenig bis nichts, außer seinen Hirtenworten 2010 und anderen Äußerungen. Die Entscheidung von Kardinal Marx zum Amtsverzicht, zu dem er sich nach reiflichem Überlegen entschieden hatte, sollte ein Zeichen sein, dass er für all das persönlich und als Amtsträger Mitverantwortung übernehmen muss, denn als Bischof stehe er für die Kirche ein, auch für das, was in der Vergangenheit geschehen ist.
Für uns ist die Entscheidung, dem Papst den Rücktritt anzubieten eher seiner Besorgnis geschuldet, weil sich einiges Ungemach über ihm zusammenbraut. Nach der Devise „Ich bin dann mal weg“ wollte er sich klammheimlich aus der Verantwortung stehlen und seinem Nachfolger die schwierige Arbeit überlassen, die Aufklärung und Aufarbeitung zu bewerkstelligen. Oder weiß er in seinem Innersten schon, was durch die Aufarbeitung auf ihn zukommt? Dass er als Vertuscher dastehen wird? Dass er das Wohl der Institution Kirche stets über das Wohl der Betroffenen gestellt hat? Will er sich deshalb rechtzeitig absetzen, um sich Unannehmlichkeiten zu ersparen? Will er also letztlich nur sich selber schützen?
Die Entscheidung des Papstes, das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx nicht anzunehmen, haben wir sehr begrüßt und fanden sie richtig. Im Ablehnungsschreiben aus Rom schreibt Papst Franziskus: "Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist. Und genau das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising“. Eindeutiger kann eine Aufforderung zur Aufarbeitung wohl kaum sein. Wir sehen das ebenso und bitten darum Papst Franziskus, auch bei möglichen weiteren Rücktrittsgesuchen dieser Linie treu zu bleiben und die Bischöfe und Kardinäle nicht aus der Verantwortung zu entlassen, sondern sie dort zu belassen, wo sie sind, damit sie sich in die Aufarbeitung einbringen können.
Die DBK fordern wir auf, in der nächsten Vollversammlung darauf zu drängen, dass alle verantwortlichen Bischöfe und Kardinäle sich der Verantwortung stellen und in der ersten Reihe stehen, wenn es um die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs geht. Verantwortung zeigt sich nicht durch Rücktritt, sondern vielmehr dadurch, dass man sich einbringt in das Verfahren. Das wollen die Betroffenen, keinen Rückzieher. Sich der Verantwortung stellen und zusammen mit den Betroffenen daran arbeiten, dass solche Taten in Zukunft weitgehend vermieden werden, das ist es, was die Betroffenen wollen. Wenn sich die Verantwortlichen zurückziehen und neue Leute an ihre Stelle treten, dann geht die Aufarbeitung von vorne los und eines ist dann gewiss, es dauert noch länger. Und das ist unzumutbar für die Betroffenen.
Peter Bringmann-Henselder
Sprecher und Mitglied im Betroffenenbeirat Erzbistum Köln
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