Der ehemalige Speyrer Generalvikar Andreas Sturm hat mit seinem Austritt aus der römisch-katholischen Kirche und dem Übertritt in die – lapidar gesagt – schismatische Gemeinschaft der Altkatholiken für einen medialen Wirbel und ein bistumsübergreifendes Bedauern gesorgt. Eine Überraschung? Eine Sensation? Eine Gelegenheit, nachdenklich zu werden und diese Entscheidung zu bedauern? Mir scheint der Schritt konsequent und den Positionen, die Sturm vertritt, angemessen zu sein. 

Im renommierten Verlag Herder erscheint Mitte Juni ein wahrscheinlich nicht in den letzten Wochen erstelltes Erläuterungsbuch dazu. Das Buch wird auch entsprechend beworben: „Andreas Sturm war seit Jahren einer der mächtigsten Kirchenmänner Deutschlands. Generalvikar in Speyer, verantwortlich für Tausende von Mitarbeitenden und für einen Millionenetat. Und er war immer stärker das Gesicht einer reformfähigen Kirche, bezog mutig Stellung zu Themen wie den Segnungen von homosexuellen Beziehungen oder dem Zölibat. Ein Hoffnungsträger, der aber selbst keine Hoffnung mehr hat. Und deshalb konsequent handelt: Andreas Sturm tritt aus der Kirche aus, weil er an Veränderung nicht mehr glauben kann. Damit spricht er Hunderttausenden aus der Seele und zeigt all die Missstände von Kirche auf – aus der Perspektive von einem, der ganz oben in der Hierarchie stand, ein absolutes Novum. Sein Buch ist keine Abrechnung, aber eine schonungslose Bilanz und ein Eingeständnis von Scheitern, auch persönlichem. Seine Vorschläge könnten die katholische Kirche verändern und zukunftsfähig machen. Ohne Andreas Sturm, denn der hat erkannt: Ich muss raus aus dieser Kirche, weil ich meinen Glauben retten will. Weil ich Mensch bleiben will.“ 

In katholischer Gelassenheit lässt sich darauf auch erwidern: Wer sich dem Glauben und der Lehre der Kirche entfremdet hat, mag er noch so viele ambitionierte Reformmanifeste vorlegen oder mit dezidiert subjektiven Erklärungen sogar anonymen „Hunderttausenden aus der Seele“ sprechen, trennt sich willentlich und bewusst von der Gemeinschaft der Kirche aller Zeiten und Orte, die Himmel und Erde umspannt. Ob Herr Sturm sich eines Tages bekehrt? Das steht dahin. Wir dürfen aber darum beten. Ich hoffe, das tun auch einige Bischöfe. 

Bischof Dr. Georg Bätzing wurde in einem großen Interview im Deutschlandfunk zur Causa Sturm befragt: „Also, das war ein großer Schock, persönlich auch für mich. Ich kenne Andreas Sturm gut, auch aus der Zusammenarbeit heraus und weiß, wie kraftvoll er gearbeitet hat an Veränderungen in der Kirche. Sein Wort hat Gewicht, wenn jemand in dieser Position und mit dieser Kraft sagt, ich vertraue nicht darauf, dass es gut weitergehen kann, dann irritiert das sehr viele Menschen. Das spüre ich im Moment. Das ist überall Thema. Was bedeutet das, wenn jemand in der Spitze geht? Ich bedauere sehr, dass es genau den Gegnern der Veränderungen Wasser auf die Mühle gibt.“ 

Auch er selbst wolle nicht mehr Bischof der Kirche sein, „wenn ich den Eindruck hätte, dass sich nichts ändert“: „Aber ich habe den Eindruck, es ändert sich im Moment gravierend viel.“ Vor allem möchte er – meiner unmaßgeblichen Meinung nach kirchenrechts- und konzilswidrig –, „dass die bischöfliche Gewalt eingehegt, verantwortet, begrenzt und kontrolliert wird“. 

Zitiert sei darum der auf dem „Synodalen Weg“ vorgelegte Text, der leider im Deutschlandfunk unerwähnt bleibt: „Auf der Ebene der Diözesen bedarf es synodaler Strukturen, die ein Gegenüber zum Bischof und ein Miteinander mit ihm organisieren. Diese Strukturen werden mit den vorhandenen Gremien und Räten vernetzt, sodass Transparenz und Kontrolle, Mitberatung und Mitentscheidung gewährleistet sind. … Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips bedarf es einer Stärkung der Organisationen und Institutionen der überdiözesanen Ebene. Die Zusammenarbeit, die der Synodale Weg begonnen hat, muss auf Dauer gestellt werden. Verbindliche Entscheidungen, die alle katholischen Bistümer in Deutschland betreffen, sollen beraten und entschieden werden in Kooperation der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken als deren demokratisch legitimierter Vertretung. Die bereits bestehenden gemeinsamen Institutionen von DBK und ZdK sind im Sinne des synodalen Prinzips zu überprüfen und weiterzuentwickeln.“ 

Gute Fragen hierzu wären gewesen: Was ist Demokratie? Welche synodale Räterepublik soll hier etabliert werden? Inwieweit ist das Zentralkomitee der deutschen Katholiken die „demokratisch legitimierte Vertretung“ der „deutschen Katholiken“? Wer hat das ZdK gewählt? Gehören zu den „deutschen Katholiken“ eigentlich alle Menschen in Deutschland, die römisch-katholischen Glaubens sind? Aber solche Fragen werden im investigativen Journalismus heute leider nicht gestellt – warum eigentlich? Stattdessen geht es persönlich zu: „Sind Sie enttäuscht von Papst Franziskus?“ Bischof Bätzing erwidert darauf: „Ich gebe zu, ja, der Papst enttäuscht mich auch, aber im Sinne einer Täuschung. Der Papst ist auch in der Katholischen Kirche, auch mit allem Recht, was ihm zustünde, nicht der, der die Kirche vom Kopf auf die Füße stellen könnte, was wir uns wünschen. Er tut, was er kann. Er bringt nämlich einen Prozess in Gang, wo all diese Fragen auf den Tisch kommen.“ 

Die Wolke des Unbestimmten – wer ist „wir“, wissen Sie das? – bleibt. Ich nicht, Sie vielleicht auch nicht. Ich wünsche mir nichts anderes, als dass die römisch-katholische Kirche hierzulande und auch ihre prominenten Vertreter in Gemeinschaft mit Rom bleiben, sich nicht als strenge Schul- und Zuchtmeisterin der einzig wahren Reformagenda aufspielt und wir alle uns immer wieder neu zu Christus bekehren und bekennen. 

Zugleich wünsche ich mir, dass sich die Bischöfe bei der Abstimmung über den oben genannten Text des Forums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ auch daran erinnern, was sie alle bei ihrer Weihe versprochen haben. Bischof Bätzing macht am Ende des Interviews auf gewisse Weise Werbung für das Buch von Andreas Sturm, denn er greift auf gewisse Weise den Titel und die Motivation des Autors auf: „Mir begegnen ja Menschen – und da gehe ich ins Gespräch mit denen und diskutiere heftig – die mir sagen, weil mich das am meisten trifft, ich verlasse die Kirche, damit ich meinen Glauben rette. Ich bin nicht davon überzeugt, dass diese Logik stimmt, dass jemand seinen Glauben mitnehmen kann und bewahrt, ohne eine Gemeinschaft von Menschen, die auch Fehler hat, aber ohne diese institutionelle Grundlage zu haben.“ In „Lumen gentium“ – etwa Abschnitt 48 – wird die Kirche nicht als „institutionelle Grundlage“ beschrieben, sondern als Sakrament des Heils. 

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.  

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