1. September 2022
Eine „gesunde Apologetik“ hat Bischof Rudolf Voderholzer bei einer ökumenischen Veranstaltung Mitte August gefordert. Was genau hat es damit auf sich? CNA Deutsch hat nachgefragt.
Voderholzer wurde 2013 zum Bischof geweiht und ist seither für das Bistum Regensburg zuständig. Seit 2008 ist er Direktor beim „Institut Papst Benedikt XVI.“, welches die Gesammelten Schriften des emeritierten Papstes herausgibt. Von 2005 bis 2013 lehrte er Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät Trier.
Beim Ökumenischen Bekenntniskongress der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften im August haben Sie „eine gesunde Apologetik“ gefordert. „Apologetik“ ist ein Begriff, mit dem selbst treue Katholiken nicht viel anzufangen wissen. Was genau ist darunter zu verstehen?
Kurz gesagt geht es um den Aufweis der Vernünftigkeit des Glaubens und der Hoffnung, die er schenkt, angesichts kritischer Nachfragen.
Apologetik heißt wörtlich „Verteidigung (des Glaubens und der Hoffnung)“. Die berühmteste Verteidigungsrede der Antike ist die (von Platon literarisch gestaltete) „Apologie des Sokrates“. In den christlichen Sprachgebrauch eingeführt hat das Wort der Erste Petrusbrief, wo es heißt: „Seid stets zur Verteidigungsrede (apologian) bereit vor jedem, der ein begründendes Wort (logon) verlangt für die Hoffnung, die in euch ist“ (1 Petr 3,15).
Die intellektuellen Christen des 2. Jahrhunderts sahen sich besonders der Infragestellung des noch jungen christlichen Glaubens gegenüber, den sie mit historischen und philosophischen Gründen rechtfertigten. Man fasst sie unter dem Oberbegriff „Frühchristliche Apologeten“ zusammen (der bedeutendste: Justin der Märtyrer).
Zu allen Zeiten war es Christen ein Herzensanliegen, die Grundelemente des Glaubens angesichts von Widerspruch und Anfeindung nicht nur einfach zu behaupten, sondern transparent und nachvollziehbar zu begründen. Als sich das Studium der Theologie in der Neuzeit in einzelne Disziplinen zu differenzieren begann, wurde die „Apologetik“ ein eigenes Fach. Heute ist die Apologetik – im besten Fall – eine Dimension aller theologischen Fächer, insofern in allen Disziplinen auch eine Auseinandersetzung mit Infragestellungen geleistet werden muss.
„Gesund“ kann sie sein, wenn sie sachlich und nachvollziehbar, offen für die tatsächlichen Anfragen und Probleme der Menschen an und mit dem Christusglauben und vor allem selbstkritisch und im besten Sinne menschlich vollzogen wird.
Wie passt die „gesunde Verteidigung des Glaubens“, wie Sie beim Kongress sagten, zusammen mit der von den Päpsten der letzten Jahrzehnte immer wieder geforderten Neuevangelisierung – ist „Verteidigung“ nicht defensiv und Neuevangelisierung offensiv?
Ich unterscheide in der Tat eine „gesunde“ Apologetik von einer „ungesunden“. Ungesund wird die Verteidigung, wenn sie zum einzigen Motor der intellektuellen Auseinandersetzung wird oder wenn ständig nur Negativfolien bemüht werden zur Bekräftigung der eigenen Position. Ein sehr weises Wort von Henri de Lubac lautet: „Es ist ein Unglück, den Katechismus gegen jemanden gelernt zu haben.“ Es gibt die Gefahr der „negativen Identität“, wenn der „Protest“ allein mich sozusagen aufrechterhält.
Evangelisierung hingegen schöpft aus dem positiven Gehalt, aus der Schönheit und Strahlkraft des Glaubens. Sie kann aber und muss meines Erachtens sogar einhergehen mit einer „gesunden“ Apologetik, insofern die Verkündigung des Glaubens noch nie und heute schon gar nicht in einer nur wohlwollenden und affirmativen Atmosphäre geschieht. Schon vor mir selber muss ich mich meines Glaubens immer wieder vergewissern. Ein trotziger Fideismus, also ein Beharren auf dem Glauben ohne nach seiner Vernünftigkeit und Begründbarkeit zu fragen, wird auf die Dauer nicht tragen.
Welche Vorbilder kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie eine „gesunde Apologetik“ fordern? Und inwiefern ist Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., ein Apologet in unserer Zeit?
Aus der Geschichte kommen mir (neben etlichen anderen) vor allem Irenäus von Lyon, Thomas von Aquin, Blaise Pascal, John Herny Newman, Henri de Lubac, und eben auch Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. in den Sinn. Sie alle wissen darum, dass die Offenbarung Gottes, die uns in der Heiligen Schrift und im Glauben der Kirche überliefert ist, aus sich heraus einleuchtet. Hans Urs von Balthasar hat in diesem Zusammenhang den programmatischen Buchtitel formuliert: „Glaubhaft ist nur Liebe.“
Und doch braucht es auch Antworten auf die Fragen der Suchenden, die Richtigstellung verzerrter Ansichten, die Widerlegung von falschen und dem Glauben im Weg stehenden Auffassungen.
Die Behauptung, die den Anlass für dieses Interview gab, fiel im Rahmen eines Vortrags über die Jesus-Bücher von Joseph Ratzinger. Ihnen bescheinigte ich einen apologetischen Grundzug. Ratzinger geht es darum, zu zeigen, dass der in den Evangelien bezeugte Christus des Glaubens stimmiger ist als das Konstrukt eines „historischen Jesus“, in dem sich letztlich doch nur die Gedankenwelt des jeweiligen Autors spiegelt.
Von Joseph Ratzinger stammt freilich auch ein Wort, das mich begleitet, seit ich es als Theologiestudent erstmals gelesen habe. Im Interview „Zur Lage des Glaubens“ (1985) sagt er: „Die einzig wirkliche Apologie des Christentums kann sich auf zwei Argumente beschränken: die Heiligen, die die Kirche hervorgebracht hat, und die Kunst, die in ihrem Schoß gewachsen ist.“
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Wie lernt man Apologetik als Laie, der sonntags zur Kirche geht, Zeit im Gebet verbringt, und im hektischen Alltag hin und wieder auch ein Buch lesen kann?
Im besten Fall enthält schon die Predigt eine Hilfestellung zur tieferen Durchdringung des Glaubens. Der tätige Mitvollzug der Liturgie selbst hilft im Alltag auch schon, um im Gespräch mit kritisch fragenden Jugendlichen, Nachbarn oder Arbeitskollegen „Rechenschaft zu geben über den Glauben und die Hoffnung“. Oft genügen ja auch einfache Glaubenszeugnisse, die mit Überzeugung ausgesprochen werden, um Menschen zum Nachdenken zu bringen.
Erfahrungsgemäß konzentrieren sich die Themen beim Gespräch mit kirchenkritischen Mitmenschen in der Regel auf einen gewissen Kanon der Skandale: Kreuzzüge, Hexenprozesse, Galileo-Prozess, Kolonialismus, Mitläufertum in totalitären Systemen, Korruption der Jesus-Überlieferung, neuerdings besonders der sexuelle Missbrauch. Wichtig ist: Apologetik heißt nicht trotzige Leugnung der Schattenseiten der Kirche, oder Rechthaberei um jeden Preis. Entscheidend ist ein historisches Wissen, Unterscheidungsvermögen und die Einsicht, dass „Heiligkeit der Kirche“ nicht die moralische Untadeligkeit aller ihrer Glieder bedeutet, sondern das Geschenk des Herrn, gerade in zerbrechlichen Gefäßen seine Gegenwart, sein Heil zu vermitteln.
Wenn ich ein Buch zur Lektüre empfehlen darf: Bertram Stubenrauch, „Warum Christsein klug ist“, Regensburg 2016. Es bietet „vertieftes Nachdenken in einer allgemeinverständlichen Sprache“ zu den Kerninhalten des christlichen Glaubens. Es geht in kurzen, leicht lesbaren Passagen auf moderne Infragestellungen ein und versucht damit, einer gesunden Apologetik die Türen zu öffnen.
Sollte Apologetik Teil der Priesterausbildung sein – oder ist sie es schon?
Im 19. Jahrhundert hatte sich die „Apologetik“ im Fächerkanon der Theologie als eigene theologische Disziplin entwickelt. Während im Fach Dogmatik der Glaube „in sich“ aus den Quellen begründet und entfaltet wurde, hatte die Apologetik vorausgehend und begleitend die Glaubwürdigkeit des Gottesglaubens (demonstratio religiosa), der Offenbarung in Christus (demonstratio christiana) und der katholischen Kirche als wahrer Kirche (demonstratio catholica) gegenüber allen Infragestellungen zu erweisen.
Diese strikte Trennung erwies sich mehr und mehr als unangemessen. Aus der Apologetik entwickelte sich die Fundamentaltheologie. Die Kontroverstheologie wurde von der ökumenischen Theologie abgelöst. Und mittlerweile herrscht bei nicht wenigen Theologinnen und Theologen selbst eine Unkultur des Ressentiments, die kein gutes Haar an der kirchlichen Überlieferung mehr lässt. Ich denke hier an manche Texte des „Synodalen Weges“ in Deutschland. An manchen Fakultäten hat sich gerade in der Fundamentaltheologie ein „Libertarismus“ etabliert. Er lässt nichts anderes gelten, als was durch die autonome Freiheit konstituiert, eingesehen und begründet werden kann. Jegliche Vor-gabe einer geschichtlichen Offenbarung, die in Dogmen verbindlich bezeugt wird, wird als vormodern und unvernünftig abgelehnt.
Diese Situation ist ungut, und sie ist nicht zukunftsfähig. Wir brauchen – und das ist nun meine Antwort auf Ihre Frage – eine Theologie, die aufzeigt, dass nicht die Freiheit wahr, sondern die Wahrheit frei macht. Gerade für diese letztere Position, die meines Erachtens allein dem Glauben entspricht, steht wie kein anderer Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. Er plädiert für eine „Entfesselung“ der Vernunft, die wahrheitsfähig ist und im Glauben noch einmal über sich hinausgehoben wird.
Sie haben bei einer ökumenischen Veranstaltung über Apologetik gesprochen. Gibt es ökumenische Perspektiven auf diesem Gebiet? Und wo sind die Grenzen?
Die zentralen Fragen, um die es geht: Ist die Rede von Gott sinnvoll? Kann Gott sich selbst in Jesus Christus geoffenbart haben? Ist diese Offenbarung erkennbar und ist sie für mich befreiend? Was bedeutet Gnade? Wie gehen Gnade und Freiheit zusammen? Sind Schöpfungsglaube und ein naturwissenschaftlicher Zugang zur Welt miteinander vereinbar?
Alle diese Fragen stellen sich zunächst einmal konfessionsübergreifend. Und so habe ich bei der Präsentation der Grundzüge der Jesus-Bücher des Papstes gerade auch bei bekenntnistreuen evangelischen Mitchristen viel Zustimmung erfahren. Ich erlebe eine Ökumene der Bekenntnistreue, die sich auch im Praktischen zeigt, beispielsweise im Einsatz für den Lebensschutz, etwa beim Marsch für das Leben.
Dabei brauchen wir nicht leugnen, dass es im Blick auf das Verständnis von Eucharistie im Unterschied zum Abendmahl und hinsichtlich des Kirchenverständnisses auch noch offene Fragen gibt.
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