Der bekannte Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti hat – nach Monografien zu den Päpsten Leo XIII., Benedikt XV. und Paul VI. – vor wenigen Tagen eine Darstellung der gesamten Papstgeschichte seit 1800 vorgelegt und damit eine Lücke wenigstens im deutschsprachigen Buchmarkt gefüllt.

Das Buch „Geschichte der Päpste seit 1800“, erschienen im Verlag Herder, schildert das Leben und Wirken jener 16 Päpste, die in den letzten 224 Jahren als Stellvertreter Jesu Christi auf Erden für die Kirche verantwortlich waren. Wie man weiß, handelt es sich bei Päpsten indes nicht bloß um Kirchenführer, sondern auch um wichtige Gestalten in der internationalen Politik. Waren die Päpste im 19. Jahrhundert zunächst noch Oberhaupt des Kirchenstaates, wurden sie später zu Gefangenen im Vatikan, bevor der völkerrechtliche Status des Vatikans im 20. Jahrhundert schließlich geklärt werden konnte.

Ernesti widmet jedem der 16 Päpste seit 1800 ein jeweils eigenes Kapitel, das auch als Einheit gelesen werden kann, ohne den Rest des Buches zu studieren. Der durchschnittliche Leser wird viel Neues erfahren und auch eine neue Sympathie für Päpste gewinnen, zu denen er zuvor vielleicht keine besondere Wertschätzung hatte. Das gilt sowohl für „konservative“ Leser, die etwa für Papst Paul VI. wenig übrig haben, weil zu seiner Zeit die nachkonziliare Krise zur vollen Entfaltung kam, als auch für „progressive“ Leser, die von Papst Pius X. nur den sogenannten Antimodernismus kennen.

Hilfreich sind die immer wieder eingebauten Zitate, sodass man nicht nur den Kirchenhistoriker liest, sondern auch die jeweiligen Päpste mit ihrer je eigenen Stimme hört. Die Erwähnung zahlreicher Enzykliken und anderer Texte trägt möglicherweise dazu bei, dass manche Leser sich nach der Lektüre von „Geschichte der Päpste seit 1800“ auch dem Quellenstudium widmen. Wertvoll ist zudem das letzte Kapitel, das „Entwicklungslinien seit 1800“ aufzeigt.

Auch wenn Ernesti in weiten Teilen ganz objektiv Papstgeschichte erzählt, so finden sich doch das eine oder andere Urteil. Der Autor gibt dies offen zu: „Namentlich für die letzten Pontifikate ist es besonders schwierig, zu einem Urteil zu gelangen, das Einseitigkeiten meidet. Fast notwendig werden zeitgenössische Beobachter in dem einen oder anderen Punkt zu einer anderen Einschätzung gelangen.“

Ein Beispiel: Das Dokument von Papst Franziskus zur Einschränkung der überlieferten Liturgie, wie sie bis nach dem Zweiten Vatikanum in der ganzen westlichen Kirche gefeiert wurde, habe der emeritierte Papst Benedikt XVI. laut dessen Privatsekretär Georg Gänswein „mit Schmerz im Herzen“ gelesen. Die entsprechende Äußerung von Gänswein sei „jedenfalls eine gezielte, kirchenpolitisch motivierte Indiskretion“, so Ernesti. Tatsächlich könnte man es auch als offenes Aussprechen dessen einordnen, was der deutsche Pontifex tatsächlich dachte und sagte. Gänswein ging damit nämlich damals nicht von sich aus an die Öffentlichkeit, sondern antwortete lediglich auf eine Interviewfrage. Und wer weiß, wie wichtig für Joseph Ratzinger schon mindestens seit seiner Zeit als Kardinal die Liturgie – auch in der überlieferten Form – war, für den kommt die Äußerung von Gänswein auch nicht überraschend.

Ernesti jedenfalls betont, dass es sich bei seinem Werk insgesamt um einen „Denkanstoß“ handle, nicht um ein „Endurteil über eine Epoche und ihre Päpste“. Generell bemüht er sich um abwägende Urteile, wie sich wiederum etwa bei Papst Benedikt XVI. zeigt. So sei die Edition der Gesammelten Schriften von Joseph Ratzinger „nicht ganz unumstritten, hat doch der Autor selbst an viele Texte noch einmal Hand angelegt. […] In der Werkausgabe Ratzingers finden sich einige bemerkenswerte positionelle Veränderungen, etwa in der Frage des Sakramentenempfangs im Fall einer Zweitehe. Hier hatte er in den 1970er Jahren über Szenarien nachgedacht, in denen der Empfang der Beichte und der Kommunion auch im Fall einer Wiederverheiratung unter bestimmten Bedingungen gestattet werden könne.“ Für Ernesti gilt hierbei: „An sich scheint es nicht verwerflich, dass man im Alter seine eigenen Ansichten revidiert.“

Erwähnt werden sollte auch, dass eine überblicksartige Darstellung der Papstgeschichte seit 1800, auch wenn sie auf insgesamt rund 500 Seiten erfolgt, doch stets an der Oberfläche bleiben muss. Verwiesen sei beispielhaft auf das Kapitel über Papst Pius XII., wo es heißt: „Von den besten Liturgiewissenschaftlern seiner Zeit ließ er sich bei der Reform des Österlichen Triduums beraten. Die Feier von Gründonnerstag, Karfreitag und der Osternacht war zu einer kaum beachteten Liturgie verkümmert. Letztere wurde vom Priester unpassender Weise am Karsamstag vollzogen, meistens an einem Seitenaltar der Kirche und ohne nennenswerte Beteiligung der Gemeinde. Die Feier des österlichen Triduums, der Heiligen drei Tage, sollte nun nach dem Willen des Papstes zur Angelegenheit des ganzen Gottesvolkes und zum Höhepunkt des Kirchenjahres werden, wie es sich von der Sache her gehört.“

Tatsächlich wurde unter Pius XII. nicht nur festgelegt, dass die Liturgie der Kartage zu jenen Tageszeiten gefeiert werden soll, zu denen sich die entsprechenden Ereignisse im Leben Jesu Christi ereigneten. Über die Zeiten hinaus wurde allerdings die Liturgie selbst teils drastisch verändert, mitunter sogar ohne geschichtliches Vorbild. So endete die Feier der Ostervigil traditionell mit der Vesper, was sich schon für mindestens das 9. Jahrhundert so nachweisen lässt. Unter Pius XII. wurde eine massiv gekürzte Form der Laudes eingeführt. Analog dazu gibt es zahlreiche weitere Beispiele dafür, dass die Reform der Karliturgie sich nicht darauf beschränkte, ihr den angemessenen Platz im Leben der Gemeinde zurückzugeben, sondern in Wirklichkeit viele jahrhundertealte Zeremonien einfach abschaffte und Neues einführte, das es so noch nie gegeben hatte.

Derartig nuanciert zu argumentieren würde aber logischerweise den Rahmen der „Geschichte der Päpste seit 1800“ sprengen. Als überblicksartige Darstellung der Papstgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte (mit ausführlicher, aber trotzdem übersichtlicher Bibliografie) wird das Buch von Jörg Ernesti sicherlich auf absehbare Zeit das Standardwerk bleiben – und dabei nicht nur auf ein wissenschaftliches Publikum beschränkt sein, sondern auch unter Katholiken und Nicht-Katholiken, die sich einfach für Kirchengeschichte und Papstgeschichte interessieren, eine hoffentlich weite Verbreitung erfahren.

Jörg Ernesti: Geschichte der Päpste seit 1800; Verlag Herder; 576 Seiten; 38 Euro; ISBN: 9783451398773.

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