16. September 2024
CNA Deutsch dokumentiert im Wortlaut die Predigt von Kurienkardinal Kurt Koch am gestrigen Sonntag:
Unsere Kirche hat am Samstag das Fest der Kreuzerhöhung gefeiert, an dem das Kreuz Jesu im Mittelpunkt steht und von dem es in der heurigen Lesung heisst: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heiles geworden“ (Hebr 5,8–9). Nur einen Tag nach diesem Fest begeht die Kirche das Gedächtnis der Schmerzen Marias, an dem uns die Teilhabe der Mutter Gottes am Leiden ihres Sohnes vor Augen gestellt und vor allem ans Herz gelegt wird.
Innere Einheit der Sendung Marias mit der Sendung Jesu Christi
Die äussere Nähe der beiden Tage zueinander verweist auf die innere Verbindung zwischen Maria und Jesus Christus, die bereits der greise Simeon anlässlich der Darstellung und Weihe Jesu an den Herrn in Jerusalem prophezeit hat. Im Blick auf den Neugeborenen sagte Simeon zu Maria: „Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird“; und zu Maria hingewendet fügte er hinzu: „Dir selbst wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,34–35).
Was Simeon prophezeit hat, verweist auf ein tiefes Geheimnis in der Beziehung zwischen Jesus und Maria. Man muss von einer inneren Einheit zwischen der Sendung Jesu und der Sendung Marias sprechen. Gemäss dem Hebräerbrief hat Jesus bei seinem Eintritt in die Welt seine Sendung mit den Worten ausgesprochen: „Ja, ich komme, um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,7). In gleicher Weise hat Maria als Antwort auf den Anruf Gottes durch den Erzengel Gabriel, die Mutter seines Sohnes zu werden, ihren eigenen Willen in souveräner Freiheit in den Willen Gottes hinein gebeugt: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38).
Beim ersten Hinhören mögen zwar das Ja-Wort des Sohnes Gottes und das Ja-Wort Marias als zwei verschiedene Ja-Worte erscheinen. Tiefer gesehen werden sie aber zu einem einzigen Ja-Wort miteinander verbunden; und diese Verbindung hat sich ereignet, damit der Sohn Gottes in Maria Fleisch werden konnte. Das Ja-Wort Marias ist in Wahrheit der vollkommene Widerschein des Ja-Wortes, das Jesus Christus selbst gesprochen hat. Diese innere Einheit zwischen Jesus und Maria hat Papst Benedikt XVI. mit diesen tiefen Worten interpretiert: „Der Wille Marias stimmt mit dem Willen des Sohnes in dem einzigartigen Plan der Liebe des Vaters überein, und in ihr vereinen sich Himmel und Erde, der Schöpfergott und sein Geschöpf. Gott wird Mensch. Maria wird zum ‚lebendigen Haus‘ des Herrn, zum Tempel, in dem der Höchste wohnt.“
Was Maria und Jesus am Tiefsten miteinander verbindet, ist das zweifach-eine Ja-Wort, in dessen Zusammenfallen die Menschwerdung Gottes geschehen konnte und zu unserem Heil geschehen ist. Auf der Seite Marias zeigt sich diese innere Einheit der beiden Sendungen darin, dass sie sich mit ihrer Grundhaltung der demütigen Grossherzigkeit, Gottes Willen in geschöpflicher Freiheit anzunehmen, Gott ganz übereignet und sich seinem Willen überlassen hat, wie er in seinem eigenen Sohn offenbar geworden ist. In dieser Grundhaltung hat Maria in ihrem Leben die dritte Bitte des Herrengebetes bereits vorweggenommen: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“ Maria hat diese Bitte so ernst genommen, dass sie auch am Leiden ihres Sohnes Anteil nehmen musste und es bereitwillig getan hat.
Maria als Königin in der Gemeinschaft der Heiligen
Mit Maria wird uns damit ein Modell dafür vor Augen gestellt, was es heisst, heilig zu werden und heilig zu sein. Über diese wichtige Frage haben die Schülerkreise von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. beim Symposium am Samstag zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr 2025 nachgedacht. Und dieser Frage für das eigene Leben in der Gemeinschaft der Kirche persönlich machzugehen, ist in besonderer Weise auch angezeigt am heutigen Patrozinium der Kirche Santa Maria della Pietà, die der Schmerzhaften Mutter Gottes geweiht ist.
Das Patrozinium legt uns nahe, bei Maria neu zu lernen, was ein heiliger Mensch ist. Sie hat dies dadurch gezeigt und gelebt, dass sie mit ihrer ganzen Existenz auf Gott verwiesen hat, der allein heilig ist. Denn wir Menschen vermögen allein dadurch heilig zu werden, dass wir uns ganz für Gott und seinen heiligen Willen öffnen, ihn in uns eindringen lassen und für ihn bewohnbar werden. Ein Heiliger ist ein Mensch, der die wahre Sehnsucht seines Herzens im lebendigen Gott verwurzelt und dessen Herzensanliegen darin besteht, mit seinem Leben Gott die Ehre zu geben. Heilig ist ein Mensch, der so offen und empfangsbereit für Gott ist, dass Gott bei ihm ankommen, Advent halten und in ihm wohnen kann. Oder nochmals anders gesagt: Ein Heiliger ist ein Mensch, der wie und mit Maria zu leben wagt, in der Gott Wohnung genommen hat, um in unsere Welt zu kommen.
Der christliche Glaube verehrt deshalb Maria als Königin in der Gemeinschaft der Heiligen. Diesen Titel trägt sie in dem präzisen Sinn, dass sie Königin im Dienst für Gott und deshalb für uns Menschen ist: „Sie ist Königin der Liebe, die die Selbsthingabe an Gott lebt, um in den Heilsplan für den Menschen einzutreten.“ Wir verehren Maria aber nur in rechter Weise, wenn wir sie auch an dem Ort aufsuchen, den der heutige Gedenktag uns anzeigt; und dieser Ort befindet sich unter dem Kreuz Jesu. Maria lädt uns deshalb ein, ihr unter dem Kreuz ihres Sohnes zu begegnen und von ihr zu lernen, zum Kreuz des Herrn zu stehen. Denn wenn wir mit Maria unter dem Kreuz stehen, werden auch wir unwillkürlich das Kreuz am eigenen Leib erfahren, wie Maria selbst Anteil am Leiden und an den Schmerzen ihres Sohnes erhalten hat.
Geschenkter Trost unter dem Kreuz
Unter dem Kreuz erhalten wir freilich nicht nur Anteil am Leiden und den Schmerzen Marias. Wir erhalten vielmehr auch einen guten und starken Trost, der uns im heutigen Evangelium zugesprochen ist. Denn am Kreuz hat Jesus uns das Schönste und Kostbarste geschenkt, das er uns geben konnte, nämlich seine eigene Mutter, und er hat uns seiner Mutter anvertraut: „Frau, siehe dein Sohn“ und „Siehe deine Mutter“. Mit diesen Worten, die Jesus am Kreuz spricht, übergibt er Johannes seiner Mutter Maria und gibt er seine Mutter dem Jünger Johannes anheim.
Um dieses Geschenk tiefer verstehen und dankbar entgegennehmen zu können, legt sich uns die demütige Frage nahe, warum wohl Jesus dies getan hat. Das Evangelium schenkt uns die schöne Antwort, dass Jesus uns deshalb seine Mutter schenkt, weil er darum weiss, dass wir bei seiner Mutter gut aufgehoben sind, und dass er darauf vertraut, dass seine Mutter auch bei uns gut aufgehoben ist. Wie bei Verliebten die Mutter des einen auch zur Mutter der anderen wird, so wird unter dem Kreuz die Mutter Jesu auch unsere Mutter, weil Jesus seine Mutter liebt und weil er uns liebt.
Bei der Erfüllung der Sendung zum Heil der Menschen hat uns der Sohn Gottes in der Übergabe seiner Mutter die „Erstlingsfrucht der neuen Familie“ geschenkt, die zur „Keimzelle der Kirche und der neuen Menschheit“ werden wird. Wenn es nämlich anschliessend im Johannesevangelium heisst, „von jener Stunde an“ habe der Jünger Johannes Maria zu sich genommen (Joh 19, 27), dann dürfen wir darin die tiefste Wurzel der Kirche als der neuen Familie Jesu Christi wahrnehmen. Denn mit dieser Aussage ist mehr gemeint als nur dies, Johannes habe Maria zu sich in seine Wohnung aufgenommen. Der Evangelist will vielmehr sagen, Johannes habe Maria in sein Eigenes („eis ta idea“) hinein genommen, nämlich in sein innerstes Sein und Leben. Und dies bedeutet, dass zwischen dem Jünger Jesu – und damit allen Jüngern damals und heute – und Maria eine ganz persönliche Beziehung besteht und dass sich diese Beziehung öffnet zu allen anderen Jüngern, die der Mutter Jesu vertrauen.
Maria ist so zur Mutter der Kirche geworden, und in ihr ist vorgebildet, was Kirche ist. Alles, was der christliche Glaube über die Kirche sagt, gilt in erster Linie von Maria: und umgekehrt erfährt die Kirche von Maria all das, was Kirche ist und wozu sie bestimmt ist: Wie Gott in Maria Wohnung nehmen konnte, weil sie ihr Ja-Wort, die Mutter Gottes zu werden, mit grossem Vertrauen gesprochen hat, so ist auch die Kirche berufen, Gottes Wohnung in der Welt zu sein und Gott zu den Menschen zu bringen.
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Getröstet unter dem Kreuz und zum Kreuz stehen
Die schöne und tiefe Szene im Johannesevangelium führt uns auch vor Augen, dass die Kirche nicht nur unter dem Kreuz entstanden ist, sondern immer Kirche unter dem Kreuz ist. Dies erfahren wir nicht nur in unserem eigenen Leben, sondern auch in der schwierigen Situation der Kirche heute, zumal in den deutschsprachigen Ländern. In dieser Situation sind wir eingeladen und herausgefordert, wie Maria und mit Maria unter dem Kreuz zu stehen und vor allem in neuer Weise zu lernen, zum Kreuz Jesu Christi zu stehen. Denn wir haben Maria, die unter dem Kreuz ihres Sohnes gestanden und dem grössten Dunkel in ihrem Leben ausgesetzt gewesen ist, unter dem Kreuz als unsere Mutter empfangen. Dann müssen auch wir wie Maria diesen Ort unter dem Kreuz annehmen und aushalten.
Die Szene unter dem Kreuz zeigt uns aber auch, dass der grösste Trost, den Jesus uns in unserem Leben und im Leben der Kirche zuspricht, im Geschenk seiner Mutter und in der Eröffnung einer inneren und intimen Beziehung zwischen ihr und uns besteht. Beides, sowohl der Ort unter dem Kreuz als auch der Trost des Geschenks der Mutter Jesu neu zu bedenken und im Glauben uns anzueignen, will uns das Patrozinium nahelegen. Und wenn wir beides uns in frischer Weise zu Herzen nehmen, werden wir gewiss auch auf dem Weg zur Heiligkeit vorankommen.