Christian Peschken (EWTN) sprach mit Erzbischof Ettore Balestrero, dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf, über das Thema Finanzen und Schulden in der weltweiten Wirtschaft. Papst Franziskus hatte zum Heiligen Jahr 2025 über einen großen internationalen Schuldenerlass gesprochen.

Der Heilige Stuhl hat kürzlich an einem UN-Dialog über Schulden mit mehreren Staaten und Finanzakteuren teilgenommen. Angesichts der kirchlichen Lehre über Subsidiarität und Solidarität – wie kann die Kirche über moralische Appelle hinausgehen und zu einem echten prophetischen Brückenbauer gegenüber Institutionen wie dem IWF oder der Weltbank werden, deren Entscheidungen das Leben von Millionen Menschen beeinflussen?

Ein wichtiger Schritt war das, was wir als Heiliger Stuhl vor einigen Wochen hier in Genf zu unternehmen versucht haben. In der internationalen Genf-Debatte war die Frage der Verschuldung in letzter Zeit nicht gründlich behandelt worden. Die eigentlichen Akteure, die Sie gerade erwähnt haben – der IWF, die Weltbank, die wohlhabenden Länder – waren zwar aktiv, aber ihre Arbeit blieb in gewisser Weise vom Wirken der UN-Organisationen getrennt, da ihre Perspektive oft als rein idealistisch angesehen wird. Was wir also versucht haben, war, sie zusammenzubringen, um ein Gespräch zu beginnen. Und genau das ist geschehen. Wir haben eine Veranstaltung mit genau diesem Ziel organisiert, und sie hat zu weiteren, ich würde sagen sogar größeren Treffen geführt.

Dann nehmen wir natürlich auch an multilateralen Diskussionen teil, wie der vierten Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, die in Kürze stattfinden wird. Wir werden daran teilnehmen und sind bereits Teil des Prozesses, der zur Ministerkonferenz der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung führen wird. Wir agieren immer sowohl als Stimme moralischer Ermahnung als auch als Brückenbauer. Im Vatikan gibt es die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften, die bereits mehrere Treffen in diesem Geist organisiert hat – mit hochqualifizierten Fachleuten und auch Politikern. Und einige Appelle, einige Verpflichtungen wurden ebenfalls genau in diesem Geist eingegangen, nämlich um von Prinzipien zum Handeln überzugehen.

Jedenfalls denke ich, dass allein die Tatsache, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, von großer Bedeutung ist, da sie dazu neigen, einander zu ignorieren. Und dabei wird die menschliche Perspektive vernachlässigt – und zwar zugunsten, sagen wir, von kommerziellen Interessen.

Die katholische Soziallehre erinnert uns daran, dass wirtschaftliche Strukturen der Würde der menschlichen Person dienen müssen. Wenn der Heilige Stuhl von einem Finanzsystem spricht, das das Leid der ärmsten Nationen verschärft – sprechen wir dann nicht über das, was Papst Johannes Paul II. als Form einer „strukturellen Sünde“ bezeichnet hat? Wie benennen und bekämpfen wir als Kirche solche Ungerechtigkeiten?

Es existiert eine strukturelle Realität. Immer dann, wenn eigennützige wirtschaftliche Interessen, die Verfolgung von Profit um jeden Preis und die Missachtung der Würde aller Menschen angestrebt werden, entsteht ein ungerechtes Wirtschaftssystem, das Armut aufrechterhält und eine ganzheitliche menschliche Entwicklung unerreichbar macht. Solche Systeme spiegeln wider, wie der Papst sagt, eine „Wirtschaft, die tötet“ – eine Wirtschaft, in der die Geldvergötterung die ethische Verantwortung verdrängt.

Wir müssen uns dem stellen, und das tun wir, indem wir die ungerechten Mechanismen aufdecken, indem wir, sagen wir, der Macht die Wahrheit sagen. Das übersetzt sich in die Forderung nach einem ethischen Ansatz, nach ethischer Finanzwirtschaft und nach einer neuen Art, Unternehmertum und Wirtschaft zu verstehen. Es ist also entscheidend, Ungerechtigkeit zu erkennen – aber ebenso wichtig ist es, zu handeln.

Deshalb engagiert sich der Heilige Stuhl mit allen Akteuren auf allen Ebenen: von internationalen Finanzinstitutionen bis hin zu Basisregierungen und auch in ökumenischen Allianzen – im Einsatz für, sagen wir, systemische Reformen, die auf Solidarität und Gerechtigkeit gründen.

Papst Franziskus machte immer deutlich, dass das biblische Jubeljahr mit Schuldenerlass ein Akt der Gerechtigkeit sei – nicht nur ein Ausdruck von Barmherzigkeit. Manche argumentieren jedoch, dass Schuldenerlass die finanzielle Disziplin untergräbt. Wie antwortet die Kirche darauf – im Licht des Prinzips, dass die Wirtschaft dem Gemeinwohl untergeordnet sein muss?

Lassen Sie mich sagen, dass Papst Franziskus nicht allein dasteht, wenn er Schuldenerlass als einen Akt der Gerechtigkeit bezeichnet. Schulden sind für viele Länder – insbesondere für Entwicklungsländer – zu einer schweren Last geworden. Das ist nicht beispiellos, denn eine ähnliche Situation führte bereits zum Jubiläumsaufruf zur Entschuldung im Jahr 2000.

Was jedoch neu ist, ist das dramatische Ausmaß, in dem sich die Verschuldung inzwischen erhöht hat – und zwar aufgrund von Faktoren, die außerhalb der Kontrolle der betroffenen Staaten liegen. Etwa der Klimawandel, die COVID-19-Pandemie und andere globale Krisen. Gerade arme und verschuldete Länder leiden am stärksten unter diesen Umständen. Diese Situation muss behoben werden – und zwar nicht aus Barmherzigkeit, sondern als Frage der Gerechtigkeit, weil diese Länder keine Verantwortung für die Ursachen tragen.

Hinzu kommt, dass die Zinsen, die diese Länder heute zusätzlich zu ihren Schulden zahlen müssen, ebenfalls stark gestiegen sind. Schätzungen zufolge leben derzeit rund 2,3 Milliarden Menschen in Ländern, die mehr Geld für die Rückzahlung von Schuldzinsen ausgeben als für Bildung und/oder Gesundheitsversorgung.

All dies muss angegangen werden. Und die Position des Papstes ist keineswegs isoliert. Es gibt ein breites Bewusstsein für dieses Problem und eine ernsthafte Suche nach Lösungen. Genau in diesem Geist haben wir vor einigen Wochen eine Veranstaltung organisiert, an der viele Staaten teilgenommen haben.

In Laudato si’ führte Papst Franziskus das Konzept der ökologischen Schuld ein – besonders zwischen dem globalen Norden und Süden. Aus Sicht der katholischen Soziallehre: Könnte es als Verletzung des Prinzips der universalen Bestimmung der Güter verstanden werden, wenn die Schöpfung im Grunde von wenigen gehortet wird, zum Schaden vieler?

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Zunächst einmal ist es vielleicht hilfreich zu erklären, was mit ökologischer Schuld gemeint ist. Im Allgemeinen bezieht sich dieser Begriff auf die angesammelte Schuld, die der globale Norden gegenüber dem sogenannten globalen Süden hat. Diese Schuld ergibt sich aus Umweltungerechtigkeiten, der Ausbeutung von Ressourcen, Umweltverschmutzung und der Zerstörung von Ökosystemen – oft über nationale Zuständigkeitsgrenzen hinaus.

Diese Schuld stellt eine Verletzung des Prinzips der universellen Bestimmung der Güter dar. Die ökologische Schuld, die wohlhabende Nationen gegenüber ärmeren Ländern haben, ist eine Form der Ungerechtigkeit. Über Jahrhunderte hinweg haben entwickelte Länder die Ressourcen ärmerer Länder ausgebeutet – und das in einer nicht nachhaltigen Weise. Deshalb sollten die reicheren Staaten, nachdem sie Ressourcen verbraucht haben, anderen nicht verwehren, sich auf nachhaltige Weise zu entwickeln.

Gleichzeitig liegt es auch an den Entwicklungsländern, Wachstum in einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Weise anzustreben. Aber es geht um noch mehr. Es ist nicht nur das Prinzip der universellen Bestimmung der Güter, das hier verletzt wird. Wenn wir diese Schuld ignorieren, missachten die wohlhabenderen Nationen auch das, was man die „Option für die Armen“ nennt – die vorrangige Sorge um das Wohlergehen derer, die am meisten leiden, obwohl sie am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben.

Gerade der Klimawandel ist heute ein zentraler Faktor. Und genau das muss berücksichtigt werden. Das macht die Problematik in all ihren Facetten zu etwas, das mit diesem Geist – dem Geist der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Verantwortung – angegangen werden muss.

Die katholische Soziallehre ruft zur Solidarität und zur vorrangigen Option für die Armen auf. Doch viele Katholiken im globalen Norden leben in Wirtschaftssystemen, die von genau den Schuldstrukturen und Umweltschäden profitieren, die kritisiert werden. Wie können wir als Gläubige ökonomisch, politisch und geistlich unseren Alltag leben, ohne mit globaler Ungerechtigkeit mitschuldig zu werden?

Zuvor habe ich auf die sogenannten „Strukturen der Sünde“ hingewiesen. Aber wir müssen erkennen, dass diese Strukturen im persönlichen Sündenverhalten verwurzelt sind. Man könnte leicht der Versuchung erliegen, zu resignieren und zu sagen, dass ohnehin nichts zu ändern sei. Doch das wäre ein tiefgreifender Irrtum.

Tägliche Handlungen, kleine Taten, mit Überzeugung ausgeführt – all das trägt dazu bei, unsere Realität zu verändern. Mutter Teresa sagte einmal: „Wir selbst fühlen vielleicht, dass das, was wir tun, nur ein Tropfen im Ozean ist. Aber der Ozean wäre weniger ohne diesen fehlenden Tropfen.“ Es ist also die Würde und die Entwicklung jedes einzelnen Menschen, die bewahrt werden müssen – und sie sollten das Kriterium sein, an dem alle Aspekte unseres Lebens gemessen werden.

Original-Interview aufgenommen in Genf von Alex Mur | Teamleitung Genf: Laetitia Rodrigues | Produktionsleitung: Patricia Peschken | Sprecher: Jan Terstiege | Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN und CNA Deutsch.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.