Den gegenwärtigen Aufruhr in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, teilweise begünstigt durch die unverständliche Aufbruchsrhetorik einiger Bischöfe, nehmen viele Katholiken als irritierende, verstörende Signatur der Zeit wahr. Vielleicht könnte es helfen, jene Personen, die gegenwärtig zuweilen als "prophetisch" wahrgenommen werden – ganz gleich, ob es sich um den etablierten Kirchenkritiker Eugen Drewermann oder um die populäre Klimaaktivistin Greta Thunberg handelt – ins Gebet mit einzuschließen, ebenso die Bischöfe, die sich berufen fühlen, diese Persönlichkeiten als Propheten öffentlich vorzustellen. Wichtig wäre auch, ein wahrhaft prophetisches Wort über die Sendung und Erneuerung der Kirche neu zu entdecken, verfasst von dem im vergangenen Jahr heiliggesprochenen Paul VI. Am 6. August 1964 publizierte der Konzilspapst sein erstes Lehrschreiben, seine Antrittsenzyklika. Der Text heißt: "Ecclesiam suam" (= "Seine Kirche") und nicht: "Ecclesiam nostram" (= Unsere Kirche). Die von ihm angesprochenen Themen scheinen vertraut, ja höchst aktuell und vielleicht zeitlos zu sein.

Zu Beginn schreibt Paul VI., dass Jesus Christus "Seine Kirche" gestiftet habe – modern gesagt: Jesus Christus ist die DNA der Kirche –, "damit sie allen Menschen gütige Mutter und Dienerin des Heils sei". Darum werde die Kirche auch geliebt, darum verdiene die Kirche Liebe und Ehrfurcht, möge in der Gegenwart ihre Verfassung auch an einen "Zustand lebhafter Gärung und Unruhe" erinnern. Paul VI. stellt fest: Das "Antlitz der Kirche" sei "niemals so vollkommen, nie so schön, nie so heilig, nie so voll Licht, dass es der ursprünglichen Vorstellung ihres Gründers ganz entsprechen könnte". Wer wollte nicht an unsere Zeit denken? Insbesondere dann, wenn der Papst sagt, es gebe darum "ein starkes, ja unruhiges Verlangen nach Selbsterneuerung, nach Verbesserung der Fehler". Seine Empfehlungen sind von großer Klarheit. Er rät zu geistlichen Vertiefungen und zu klärenden Überlegungen bezüglich der Sendung der Kirche, die nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern wachsam und gehorsam Gott gegenüber sein müsse. Das Evangelium mahne zur "Lauterkeit des Denkens und Handelns".

Nachhaltig bewegt werde die Menschheit – "ihr Denken, ihre Kultur, ihr Geist" – "durch den wissenschaftlichen, technischen und sozialen Fortschritt" wie "durch die Strömungen des philosophischen und politischen Denkens". Paul VI. betont: "All das erschüttert wie stürmische Wogen auch die Kirche. Die Menschen, die sich ihr anvertrauen, sind stark beeinflusst vom Klima dieser Welt. Dieser Einfluss ist so stark, dass eine Gefahr der Unsicherheit, einer Betäubung, einer Verirrung ähnlich, besteht, die ihre eigene Festigkeit erschüttern und viele verleiten kann, die sonderbarsten Auffassungen hinzunehmen, als ob die Kirche sich selbst verleugnen und ganz neue und ungeahnte Lebensformen annehmen müsste."

Der Papst spricht von einer Wiederkehr des Modernismus, als Gegenmittel empfiehlt er die Besinnung auf die Heilige Schrift, auf die Überlieferung, die "in der genuinen Lehre der Kirche ausgelegt und entfaltet wird". Er erklärt deutlich:

"Ähnliches könnten Wir sagen bezüglich der Irrtümer, die auch im Inneren der Kirche herumschleichen und in die jene fallen, die nur eine teilweise Kenntnis ihrer Natur und ihrer Sendung haben und nicht genügend die Grundlagen der göttlichen Offenbarung und die Verlautbarungen des von Christus selbst eingesetzten Lehramtes beachten."

Diese Überheblichkeit der Haltung, der Hochmut des Subjektivismus, reicht weit bis in die Kirche hinein, damals wie heute, und führt "zu abstrusen, desolaten, paradoxen und völlig irreführenden falschen Folgerungen." Als Orientierung für die notwendige Vertiefung empfiehlt Paul VI. die Lektüre der Schriften seines großen Vorvorgängers Pius XII. und zitiert aus dessen Enzyklika "Mystici corporis": "Wir müssen uns gewöhnen, in der Kirche Christus selbst zu sehen. Christus ist es nämlich, der in seiner Kirche lebt, der durch sie lehrt, leitet und heiligt; Christus ist es auch, der sich auf verschiedene Weise in seinen verschiedenen sozialen Gliedern offenbart."

Wer das "Geheimnis der Kirche" verstehen wolle, müsse mit ihr leben, in ihr zu Hause sein, sie als "gelebte Wirklichkeit" erfahren, die zugleich "hierarchisch und gemeinschaftsförmig" und zugleich "kontemplativ und aktiv" sei:

"Wir müssen der Tatsache, dass wir getauft sind und durch dieses Sakrament dem Mystischen Leibe Christi, der Kirche, eingepflanzt sind, ihre volle Bedeutung wiedergeben. Insbesondere muss der Getaufte sich bewusst werden seiner Erhebung oder vielmehr seiner Wiedergeburt zur beglückenden Wirklichkeit eines Adoptivkindes Gottes, zur Würde eines Bruders Christi, zum Glück, das heißt zur Gnade und Freude der Einwohnung des Heiligen Geistes, zur Berufung zu einem neuen Leben, das trotz des Unglücks der Erbsünde nichts Menschliches verloren hat und das alles Menschliche zur höchsten Vollkommenheit und zum Genuss der reichsten und besten Früchte befähigt. Christsein, Getauftsein darf nicht als etwas Gleichgültiges angesehen werden, das man nicht zu beachten braucht. Es muss tief und beglückend das Bewusstsein jedes Getauften prägen."

Die Kirche, also jeder Einzelne, unser Papst, Ihr Bischof, Ihr Theologieprofessor, Ihr Pfarrer, Sie und ich, müsse nach Vollkommenheit streben und solle so sein, wie Christus jedes Glied der Kirche und die Kirche als Leib Christi wolle, "einig, heilig, ganz der Vollkommenheit zugewandt, zu der er sie gerufen und befähigt hat". Hierzu helfe die Lehre Christi ebenso wie die Vertrautheit mit der Lehre der Kirche – und wenn der Mensch sich hiervon abwende, wer er den "Sinn des gegenwärtigen Lebens" nicht erkennen können. In verständlichen Worten und mit hellsichtigen Analysen – nicht anders als jüngst der emeritierte Papst Benedikt XVI. – deckt Paul VI. die weltlichen Verlockungen und Versuchungen seiner und unserer Zeit auf. Man mag auch an die klaren Worte von Papst Franziskus vom 14. März 2013 () denken: "Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, da kommt mir das Wort von Léon Bloy in den Sinn: "Wer nicht zum Herrn betet, betet zum Teufel.« Wenn man Jesus Christus nicht bekennt, bekennt man die Weltlichkeit des Teufels, die Weltlichkeit des Bösen."

Paul VI. beschreibt 1964 die Gefährdungen, denen der Christ in der Welt von heute ausgesetzt ist:

"Die Umwelt beeinflusst und bedingt auf tausend Weisen das praktische Verhalten der Kirche, denn sie lebt ja nicht von der Welt getrennt, sondern in ihr. Deshalb unterliegen die Glieder der Kirche dem Einfluss der Welt, werden durch ihre Kultur geprägt, nehmen ihre Gesetze an und machen sich ihre Gewohnheiten zu eigen."

Die Gegenwart erforderte eine Erneuerung der Kirche. Wie sollte diese aussehen? Nicht anders als christozentrisch. Der Papst warnt davor, "das Strukturgefüge der Kirche auf charismatischem Wege zu erneuern, als ob die Form kirchlichen Lebens neu und richtig wäre, die aus besonderen Ideen entspringt, die zweifellos voll Eifer und zuweilen von ihrer Überzeugung getragen sind, von Gott eingegeben zu sein". Das wäre reine Willkür. Wir seien berufen, der Kirche zu dienen und diese zu lieben, so wie sie sei, auch wenn der Herr es zulasse, "dass die menschliche Schwachheit die Klarheit der Linien verwischt und ihr Wirken verdunkelt" – aber wir könnten die Klarheit neu suchen und fördern.

Auch die Hirten der Kirche – also die Bischöfe, auf den synodalen Wegen von heute – seien Gefahren ausgesetzt, etwa wenn sie die "Reform der Kirche" bewirken wollten durch eine "Anpassung ihrer Denkungsart und ihrer Sitten an jene der Welt":

"Die Verlockung des profanen Lebens ist heute sehr groß. Der Konformismus scheint vielen unvermeidlich und klug. Wer nicht fest verwurzelt ist im Glauben und in der Einhaltung der kirchlichen Gesetze, glaubt leicht, der Augenblick sei gekommen, sich der profanen Lebensauffassung anzupassen, als wenn diese die bessere wäre, eine, die ein Christ sich zu eigen machen kann und soll."

Ein besonderes Risiko sieht der Papst in der pastoralen Laxheit, in der geschmeidigen Gefallsucht: "Das apostolische Verlangen, der Religion fernstehenden Kreisen nahe zu kommen oder sich bei profan eingestellten Menschen, besonders Jugendlichen, Gehör zu verschaffen, führt bisweilen zu einem Verzicht auf die dem christlichen Leben eigenen Formen und selbst auf jene innere Haltung, die dem Bemühen um Annäherung und formenden Einfluss erst seinen Sinn und seine Kraft geben muss. Ist es nicht häufig so, dass der junge Klerus oder auch mancher sonst eifrige Ordensmann in der guten Absicht, in die Volksmassen oder in gewisse Kreise einzudringen, sich mit ihnen zu identifizieren sucht, statt sich von ihnen zu unterscheiden, und so wegen unnützer Nachahmung sein Apostolat um seine eigentliche Wirkung bringt? Der große von Christus verkündete Grundsatz zeigt sich hier in seiner Aktualität und in seiner Problematik: in der Welt sein, aber nicht von der Welt."

Der kirchliche Gehorsam, die Treue zu Christus und zu Seiner Kirche wie die Treue zum Evangelium schenken und erhalten der Kirche ihre Jugendfrische: "Nicht verweichlicht und feig ist der Christ, sondern stark und treu."

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Die Sendung in die Welt sei wichtig und notwendig, aber die "Kunst des Apostolates" liege nicht darin, die Lehre zu verwässern, die anstößige Wahrheit des Glaubens abzuschwächen oder herabzumindern:

"Unser Dialog kann uns nicht von der Verpflichtung gegenüber unserem Glauben entbinden. Das Apostolat darf keinen doppeldeutigen Kompromiss eingehen bezüglich der Prinzipien des Denkens und Handelns, die unser christliches Bekenntnis kennzeichnen. … Nur wer der Lehre Christi vollkommen treu ist, kann ein erfolgreicher Apostel sein. Und nur wer die christliche Berufung ganz lebt, kann gegen die Ansteckung durch die Irrtümer, mit denen er in Berührung kommt, gefeit sein."

Die Gläubigen sollen in Liebe und Wahrheit miteinander verbunden sein, der Kirche verbunden, ihr gehorsam und treu ergeben, denn diese sei als Autorität "von Christus eingesetzt" und die "bevollmächtigte Vermittlerin seiner Worte und seiner seelsorglichen Liebe". Gleichzeitig macht Paul VI. deutlich: "Der Geist der Auflehnung, der Kritik, der Rebellion verträgt sich schlecht mit der Liebe, die ein Gemeinschaftsleben beseelen soll, mit Eintracht und Frieden in der Kirche, und verwandelt schnell den Dialog in eine Auseinandersetzung, einen Wortwechsel, einen Streit, was leider nur zu leicht geschieht, aber darum eine nicht weniger unerfreuliche Erscheinung ist, gegen die uns das Wort des Apostels schützen soll: "Lasst nicht Spaltung sein unter euch" (1 Kor 1, 10)."

Wenn wir die Enzyklika "Ecclesiam suam" lesen, so hören wir die Stimme der Kirche aller Zeiten und Orte. Zugleich erkennen wir die Sorge um die Kirche wieder, die so viele Katholiken, Kleriker wie Weltchristen in Deutschland bewegt – und denen Benedikt XVI. am 11. April 2019 mit seinen hellsichtigen Worten eine Stimme gegeben hat. Vielleicht mag der eine oder andere von uns mit Blick auf die Kirche in Deutschland nun auch sagen: Heiliger Paul VI., bitte für uns!

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