Vatikanstadt - Donnerstag, 19. Mai 2022, 9:40 Uhr.
Bislang wurden Papst Franziskus und sein mächtiger Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin aus dem Korruptionsprozess herausgehalten, der eine ganze Reihe Vorwürfe schwerer Verbrechen im Vatikan aufrollen soll. Dabei stehen Geldwäsche, Erpressung, Bestechung und die Einhzelheiten eines dubiosen Immobiliendeals im Raum, bei dem sich mehrere italienische "Geschäftsmänner" auf Kosten der Kirche und frommer Spender bereichert haben sollen, so der Vorwurf.
Nun hat einer der Männer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit nicht nur bestritten, die Aufdeckung der Zustände in der Kurie durch einen Wirtschaftsprüfer verhindert zu haben: Kardinal Angelo Becciu sagte am Mittwoch, er sei ganz schuldlos an dem erzwungenen Rücktritt eines vatikanischen Rechnungsprüfers, da dieser auf Wunsch von Papst Franziskus erfolgte.
Becciu wurde für die plötzliche Entlassung des ersten Rechnungsprüfers des Vatikans, Libero Milone, im Jahr 2017 verantwortlich gemacht, sowie für die Streichung einer internen Prüfung.
Beauftragte der Papst persönlich Becciu?
Während einer Anhörung im Finanzprozess des Vatikans am 18. Mai bestritt Becciu dies jedoch und erklärte, dass Papst Franziskus ihn im Juni 2017 zu einem Treffen in seiner Residenz in Santa Marta gerufen habe, bei dem er behauptete, er habe kein Vertrauen mehr in Milone und wolle daher, dass Becciu den Rechnungsprüfer anrufe und ihm sage, dass er zurücktreten müsse.
Laut Becciu habe Franziskus sogar sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass er ihn mit "diesen undankbaren Aufgaben" betraut hat.
Bei einer Anhörung am 5. Mai hatte sich der 73-jährige Becciu geweigert, auf die Frage eines Staatsanwalts nach seiner Beteiligung an der Entlassung Milones zu antworten, und behauptet, er könne "aus Liebe zum Heiligen Vater" nicht antworten.
Aber während der Befragung am Mittwoch sagte Becciu, er habe inzwischen die Erlaubnis von Papst Franziskus erhalten, frei über die Situation zu sprechen.
Das Bild, das so entsteht, belastet einen Papst, der schon für seinen Umgang mit Theodore McCarrick, Bischof Gustavo Zanchetta und anderen Skandalen in Kritik geraten ist.
Rechnungsprüfer widerspricht
Am gestrigen Mittwoch sagte Becciu aus, der Grund für die Entlassung Milones sei derselbe gewesen, den der Vatikan in einer Pressemitteilung vom 24. September 2017 genannt hatte: Dort hieß es, Milone habe "illegal eine externe Firma beauftragt, Nachforschungen über das Privatleben von Vertretern des Heiligen Stuhls anzustellen."
Milone wurde im Jahr 2017, nach nur zwei Jahren in einem fünfjährigen Mandat, entlassen, nachdem er als erster Wirtschaftsprüfer des Vatikans eingestellt wurde, um mehr finanzielle Transparenz im Vatikanstaat einzuführen.
Drei Monate nach seinem Rücktritt machte Milone öffentlich, dass er von einer "alten Garde", die gegen seine Arbeit war, zum Rücktritt gezwungen wurde.
Obwohl er es ablehnte, aufgrund von Geheimhaltungsvereinbarungen Details zu nennen, behauptete er, dass er ins Visier der Prälaten geriet, nachdem er eine Untersuchung über einen möglichen Interessenkonflikt eines italienischen Kardinals eingeleitet hatte.
Bei der Beschreibung seiner Version der Ereignisse, die zu seinem Rücktritt führten, sagte Milone, dass er am 19. Juni 2017 in das Büro des damaligen Erzbischofs Giovanni Becciu gerufen wurde. Dabei sei ihm gesagt worden, dass der Papst das Vertrauen in ihn verloren habe und seinen Rücktritt verlange.
Becciu beschuldigte den Wirtschaftsprüfer, die Finanzen hoher Beamter "auszuspionieren" - eine Behauptung, die Milone entschieden zurückwies.
Gestern wurde Becciu ast acht Stunden lang vom vatikanischen Staatsanwalt Alessandro Diddi verhört.
Stundenlange Befragung des "vergesslichen" Beccius
Das Verhör, das am 19. Mai fortgesetzt wird, war durch die kämpferische Befragung von Diddi gekennzeichnet, der vom Gerichtspräsidenten Giuseppe Pignatone mehr als einmal zurechtgewiesen wurde.
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Becciu, bis 2018 der zweithöchste Amtsträger des Staatssekretariats, sagte häufig, dass er sich nicht an die Antworten auf die Fragen des Staatsanwalts erinnern könne, wobei er einmal auf sein Alter verwies und behauptete, dass der Stress des Prozesses "mein Gedächtnis stark beeinflusst hat".
Präsident Pignatone verlangte eine fünfminütige Unterbrechung, nachdem Diddi Becciu gegenüber aggressiv geworden war und den Kardinal beschuldigte, so zu tun, als könne er sich nicht erinnern.
Becciu, der der Veruntreuung, des Amtsmissbrauchs und der Zeugenbeeinflussung angeklagt ist, antwortete auch auf die Frage, ob das Londoner Gebäude mit Geldern des Peterspfennigs gekauft wurde: Einem Fonds, der zur Finanzierung der karitativen Aktivitäten des Papstes und des Betriebs der römischen Kurie dient.
Auch Spendengelder missbraucht?
Laut Berichten aus dem Jahr 2019 wurden Spendengelder von Katholiken in aller Welt zur Finanzierung des Kaufs der Immobilie in der Sloane Avenue 60 in London durch das Staatssekretariat verwendet - eine Investition, von der das Sekretariat nun behauptet, dass sie von böswilligen Akteuren geplant wurde, um den Vatikan um Geld zu betrügen.
Becciu sagte, dass ihm der frühere Leiter seines Verwaltungsbüros, Monsignore Alberto Perlasca, gesagt habe, dass für den Kauf in London keine Gelder des Peterspfennigs verwendet worden seien, sondern nur Gelder des Staatssekretariats.
Auch der Leiter der vatikanischen Zentralbank APSA hat erklärt, dass keine Gelder aus dem Peterspfennig verwendet wurden.
Bischof Nunzio Galantino sagte im Jahr 2020, dass "unabhängige Schätzungen" die Verluste des Vatikans durch die Immobilie auf 66-150 Millionen Pfund (81-185 Millionen Dollar) beziffern.
Becciu sagte jedoch bei der Anhörung am 5. Mai, dass es nicht mit den Zielen des Vatikans unvereinbar sei, die Gelder für Investitionen zu verwenden.
Perlasca, einst ein Verdächtiger in den Finanzermittlungen des Vatikans, ist nun Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Am 18. Mai wurde ihm außerdem gestattet, dem Prozess als Zivilpartei beizutreten und Schadensersatz gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten Becciu wegen des Vorwurfs der Zeugenbeeinflussung zu fordern.
Beweise der Staatsanwaltschaft
Kardinal Becciu sagte im Zeugenstand, dass er, als er im Staatssekretariat tätig war, Perlasca und seiner Ehrlichkeit vertraute, was der Grund dafür war, dass er keine der Investitionen in Frage stellte.
Er sagte, Perlasca habe ihn nie auf ein verdächtiges Verhalten der italienischen "Geschäftsleute" Raffaele Mincione, der dem Vatikan das Londoner Gebäude verkaufte, und Gianluigi Torzi, der 2018 die letzte Phase des Deals vermittelte, aufmerksam gemacht.
Der Staatsanwalt legte jedoch dem Gericht Beweise für Nachrichten vom Juli 2019 vor, dem Jahr nach dem Abschluss des Verkaufs in London, in denen Perlasca Informationen über verdächtiges Verhalten von Mincione und Torzi an Becciu weitergab.
Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur.
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— CNA Deutsch Podcast (@CNAde_PODCAST) November 29, 2019