Vatikanstadt - Freitag, 20. Mai 2022, 10:15 Uhr.
Augenscheinlich soll es um die Evangelisierung und weitere Reformen gehen, beim neuen Grundgesetz des Vatikanstaates. Aber wie dessen Auftrag erfüllt werden kann: Das ist eine Frage, die offenbar das mächtige Staatssekretariat entscheidend prägen und koordinieren soll.
Auf einer Konferenz zur "Reform" der römischen Kurie am 17. Mai hat Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin geschildert, wie sich die Rolle seiner mächtigen Behörde im Zug des neuen Grundgesetzes Praedicate Evangelium entfalten soll.
Hinter den Worten Parolins stand die Botschaft, dass das älteste Dikasterium der Kurie weiter im eigentlichen Mittelpunkt stehen wird, wenn die Verfassung am 5. Juni, dem Pfingstfest, vollständig in Kraft tritt.
Parolin sprach bei einem "Studientag" zum Thema Praedicate Evangelium an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom.
Weitere Redner waren Pater Antonio Guerrero Alves SJ, der Präfekt des Wirtschaftssekretariats, und Bischof Marco Mellino, Sekretär des Kardinalsrats.
Änderungen im Staatssekretariat
Jeder der Redner ging auf einen anderen Aspekt der Änderungen ein, wobei sich Parolin auf die Entwicklungen seit der Wahl von Papst Franziskus konzentrierte.
Der 67-jährige Italiener, der als Mitglied des päpstlichen Kardinalsrates an der Ausarbeitung der neuen Verfassung mitgewirkt hat, sagte, dass es aus seiner Sicht zwei wesentliche Änderungen gibt:
Erstens hat das Staatssekretariat offiziell die Aufsicht über die persönliche Verwaltungsführung verloren - im Zuge der massiven Vorwürfe von Geldwäsche, Erpressung, Misswirtschaft und Bereicherung italienischer "Geschäftsmänner", die mittlerweile mehrere Gerichte beschäftigen, darunter auch die Justiz des Vatikans.
Die Verantwortung wurde offiziell auf die Güterverwaltung ("APSA") übertragen – und wird nun vom Wirtschaftssekretariat kontrolliert. Der einst einflußreiche Stellvertreter Parolins, Kardinal Angelo Becciu, steht mittlerweile selber vor Gericht – und belastete diese Woche den Papst.
Die zweite wichtige Entwicklung ist die Schaffung der dritten Abteilung des Staatssekretariats im Jahr 2017, die für die Verwaltung der diplomatischen Vertreter des Papstes zuständig ist.
Diese neue Abteilung arbeitet neben den beiden älteren Abteilungen: der für allgemeine Angelegenheiten und der – ebenfalls diplomatischen – für die Beziehungen zu den Staaten. Parolin betonte, dass die Dritte Sektion gegründet worden sei, weil der Papst dies gewollt habe. Es gehe darum, sich "um das Dienstverhältnis des diplomatischen Personals zu kümmern".
Aufsicht, Kontrolle oder "Zusammenarbeit"?
In seiner Rede betonte Parolin, dass das neue Grundgesetz fordert, dass das Staatssekretariat mit anderen Abteilungen, Organen und Ämtern "in einer Dynamik der gegenseitigen Zusammenarbeit zusammenarbeiten" soll.
Aber was bedeutet das in der Praxis?
Es obliege der Apostolischen Signatura, der höchsten Rechtsinstanz der Kirche, "etwaige Kompetenzkonflikte mit den anderen kurialen Institutionen zu lösen", so Parolin.
Aber, so fügte der Kardinal hinzu, "das Staatssekretariat behält einen besonderen rechtlichen Status" aufgrund seiner "spezifischen Aufgabe, dem Papst bei der Ausübung seiner Mission eng zur Seite zu stehen."
Mit anderen Worten: Das Staatssekretariat hat die Privilegien – und damit auch die Oberhand. Oder?
Mit Blick auf Finanzen ein besonders brisanter Ansatz, wobei Parolin erklärte, dass ja vorgesehen ist, dass das Wirtschaftssekretariat "die Funktion des päpstlichen Sekretariats für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten wahrnehmen wird".
Abgesehen von diesen Änderungen behält das Staatssekretariat jedenfalls seine Vorrechte, und alle sind aufgerufen, sich "mit ihm zu koordinieren".
Was wird aus Evangelisierung unter dieser Vorgabe?
Parolin nannte mehrere Beispiele für diese Dynamik. So muss das neu gegründete "Dikasterium für die Evangelisierung" mit dem Staatssekretariat zusammenarbeiten, um "die Religionsfreiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern".
Das wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Zumal die Evangelisierung ja Kernauftrag sein soll.
Doch damit nicht genug. Kardinal Parolin erklärte weiter, dass das neu benannte Dikasterium für die Bischöfe "gebeten" werde, dass es, "wenn es notwendig ist", mit Regierungen "über die Änderung oder Bereitstellung von Teilkirchen zu verhandeln, nach Rücksprache mit der Abteilung für die Beziehungen zu den Staaten".
Das Beispiel macht klar: Die Vorrangstellung des Staatssekretariates soll auch inhaltlich in einer Weise umgesetzt werden, die konkret die Wirkung und Arbeit der Kirche betrifft.
Auch Familien und Ökumene sind betroffen
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Parolin sagte, dass das Dikasterium für Laien, Familie und Leben ebenfalls aufgerufen sei, die Zuständigkeit des Staatssekretariats für die Genehmigung internationaler Vereinigungen zu respektieren.
Das Dikasterium für die Förderung der Einheit der Christen werde ebenfalls mit dem Staatssekretariat zusammenarbeiten müssen, "insbesondere in den Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen".
Einfluss ausüben wird das Staatssekretariat auch auf alle Abteilungen des Vatikans, – so Parolin wörtlich: die "mit Vertretern der Zivilgesellschaft bei der Förderung der Würde der Person oder der Lösung von Konflikten zusammenarbeiten, gemeinsam mit den zivilen Organisationen die Annahme von Maßnahmen für die Aufnahme von Flüchtlingen analysieren und ganz allgemein in den Delegationen des Heiligen Stuhls an zwischenstaatlichen Treffen in Angelegenheiten, die in ihre Zuständigkeit fallen, teilnehmen".
Der Grund dafür sei, dass "alle kurialen Institutionen - entsprechend ihrer jeweiligen Zuständigkeit - Ausdruck der einzigen internationalen Einheit sind, des Heiligen Stuhls, und dass die internationale Vertretung dieser Einheit und auch des Staates Vatikanstadt dem Staatssekretariat anvertraut ist."
"Nichts Neues" – trotz neuem Grundgesetz?
Der Kardinal sagte, dass dies alles "nichts Neues" sei, da das Staatssekretariat die zentrale koordinierende Rolle beibehalte, die ihm von Papst Paul VI. übertragen worden sei.
Das Informationsmanagement bleibt fest in den Händen des Staatssekretariats: Obwohl die Pressestelle des Heiligen Stuhls jetzt offiziell dem Kommunikationsdikasterium unterstellt ist, werden die täglichen Bulletins weiterhin vom Staatssekretariat verwaltet.
Die Beispiele zeigen: Die jüngsten "Reformen" ändern zwar manche Aspekte, was Finanzen betrifft. Sie geben dem Staatssekretariat insgesamt jedoch offenbar mehr Autonomie.
Dienen die Dikasterien dem Papst – oder dem Staatssekretariat?
Mit Blick auf die Kommunikationsarbeit stellt Parolin fest, dass die neue Verfassung lediglich "eine Situation schafft, die schon seit einiger Zeit besteht": Die Veröffentlichung der "Acta Apostolicae Sedis" bleibt seiner Behörde unterstellt.
Mehr noch: Darüber hinaus bedient sich laut Parolin die zuständige Sektion des Staatssekretariates "des Dikasteriums für Kommunikation in Bezug auf die offiziellen Mitteilungen sowohl über die Handlungen des Papstes als auch über die Tätigkeit des Heiligen Stuhls und gibt in diesem Zusammenhang präzise 'Hinweise', die das Dikasterium auszuführen hat".
Vor dem Hintergrund solcher Klarstellungen wird sich bald zeigen, ob die Kurienreform unvorhergesehene, weitreichende Konsequenzen hat oder ob es sich lediglich um eine formale Änderung handelt, die die Zahl der vatikanischen Abteilungen reduziert, ohne die etablierte Arbeitsweise der Kurie radikal zu verändern.
Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur.
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