Kirchenhistoriker Wolf erklärt Schweigen von Papst Pius XII. mit „Neutralitätspolitik“

Papst Pius XII.
gemeinfrei

Der bekannte Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster hat das Schweigen von Papst Pius XII. zum Judenmord während des Dritten Reichs mit der „Neutralitätspolitik“ des Heiligen Stuhls erklärt.

„Der entscheidende Grund für das Schweigen von Pius XII. zur Shoah liegt in seiner Neutralitätspolitik und nicht in antisemitischen Motivationen“, schrieb Wolf in einem Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, nachdem er bereits mehrere Jahre lang in den vom Vatikan im Jahr 2020 zugänglich gemachten Dokumenten aus dem Pontifikat von Papst Pius XII. (1939–1958) geforscht hat.

Dies lasse sich etwa daran ablesen, dass der „erste Genozid“, zu dem der Papst sich nicht zu Wort meldete, „die Ermordung von einer Million katholischer Polen durch die Deutschen in den Jahren 1939/40“ war. „Polnische Bischöfe und Laien, aber auch Katholiken aus der ganzen Welt baten den Papst flehentlich um eine öffentliche Verurteilung der Mörder.“

„Das Schweigen zum Genozid an katholischen Polen lässt sich dezidiert nicht mit einem ‚Antisemitismus‘ von Pius XII. erklären“, so Wolf. „Es muss andere Gründe haben. Diese erhellen aus innervatikanischen Diskussionen, die sich in internen Aktennotizen niedergeschlagen haben: Der Papst wollte über den Parteien stehen und strikte Neutralität wahren, zumal er nach seinem Selbstverständnis als ‚Padre comune‘ für Katholiken auf allen Seiten der Fronten da sein musste.“

Papst Pius XII. habe befürchtet, „seine Äußerungen könnten von einer Kriegspartei instrumentalisiert werden. So könnten die Alliierten eine Verurteilung der Deutschen als Parteinahme des Papstes zu ihren Gunsten werten. Weil er zum Genozid an den katholischen Polen geschwiegen hatte, konnte er später nicht gegen den Genozid an den Juden protestieren. Das hätte kein Katholik, zumal in Polen, verstanden.“

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„Ein weiterer Grund, der in den Quellen zumindest immer wieder angedeutet wird, lautet: Öffentliche Proteste des Papstes machten die Lage der Juden, die sich in der Hand der Nationalsozialisten befanden, nur noch schlimmer und päpstliche Hilfe im Verborgenen auch im Einzelfall noch viel schwieriger“, erklärte Wolf.

Im Jahr 1940 habe der Pontifex „dem Botschafter Italiens beim Heiligen Stuhl“ gesagt, „dass er als Papst unbedingt mehr zu den Verbrechen sagen müsste, doch die Angst vor der Rache der Deutschen an den Opfern in ihrer Gewalt lasse ihn davor zurückschrecken“.

Obwohl Wolf die Motivation des Papstes für dessen Schweigen herausgearbeitet hat, ist seine Bewertung eine ganz andere: „Mit dem Schweigen zum Massenmord untergrub er seine eigene moralische Autorität, die Grundvoraussetzung für jede erfolgreiche Mediation sein musste.“

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„Pius XII. war weder ‚Hitler’s Pope‘ noch der grösste Wohltäter des jüdischen Volkes während der Shoah“, so das Fazit von Wolf. „Die vatikanischen Quellen, die bisher ausgewertet werden konnten, verbieten eine Schwarz-Weiss-Malerei. Tausende von Schachteln harren noch der Bearbeitung und halten wahrscheinlich noch die eine oder andere Überraschung bereit.“