Berlin - Sonntag, 13. Juli 2025, 6:30 Uhr.
Der emeritierte Dogmatiker Dieter Hattrup sieht in Heisenbergs Unschärferelation mehr als nur eine wissenschaftliche Entdeckung. Für ihn bricht sie mit dem materialistischen Weltbild und eröffnet Raum für eine Rückkehr zu Gott – nicht trotz, sondern wegen der modernen Naturwissenschaft.
Laut dem Priester, Theologen und Physiker liegen die Wurzeln des modernen Atheismus in der mechanistischen Physik der Neuzeit. Die mechanische Naturwissenschaft sei die einzig plausible Quelle des Atheismus. Diese Entwicklung begann im 17. Jahrhundert mit der newtonschen Physik und der daraus resultierenden deterministischen Weltanschauung.
Mit der mechanistischen Physik entstand ein Weltbild, in dem alles durch kausale Gesetze bestimmt war. Pierre Laplace, ein begeisterter Anhänger Newtons, brachte dies auf den Punkt: „Alle Ereignisse, selbst jene, welche wegen ihrer Geringfügigkeit scheinbar nichts mit den großen Naturgesetzen zu tun haben, folgen aus diesen mit derselben Notwendigkeit wie die Umläufe der Sonne. [...] Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren und als die Ursache des folgenden Zustands betrachten.“
Als Napoleon ihn nach Gott fragte, antwortete Laplace berühmt: „Sire, je n'avais pas besoin de cette hypothèse-là“ (auf Deutsch: „Diese Hypothese brauchte ich nicht“).
Diese mechanistische Weltanschauung ließ keinen Raum für Freiheit – weder für Gott noch für den Menschen.
Auguste Comte formulierte 1842 sein Drei-Stadien-Gesetz: Zunächst kommt das Stadium der kindlichen Religion, dann folgt die jugendliche Metaphysik und schließlich die erwachsene, positive Wissenschaft, die die beiden vorherigen Stadien verdrängt.
Die Revolution der Quantenphysik
Die Quantenphysik des 20. Jahrhunderts veränderte diese Grundlagen fundamental. Max Planck führte 1900 mit dem Quantum das erste Mal den Zufall in die Wissenschaft ein und verstieß damit gegen einen alten Grundsatz der Metaphysik und Physik: „Natura non facit saltus“ (auf Deutsch: „Die Natur macht keine Sprünge“).
Planck selbst widersprach dieser Entwicklung zunächst: „Durch mehrere Jahre hindurch machte ich immer wieder Versuche, das Wirkungsquantum irgendwie in das System der klassischen Physik einzubauen. Aber es ist mir das nicht gelungen“.
Werner Heisenberg vollendete diese Revolution 1927 mit der Formulierung seiner Unschärferelation. Diese besagt, dass es unmöglich ist, bestimmte Eigenschaften von Quantenobjekten, wie Ort und Impuls, gleichzeitig exakt zu bestimmen.
Einsteins Widerstand und die Bestätigung der Quantentheorie
Albert Einstein widerstand dieser neuen Entwicklung vehement. Sein berühmter Ausspruch „Gott würfelt nicht!“ brachte seine Ablehnung der wahrscheinlichkeitsbasierten Interpretation der Quantenmechanik zum Ausdruck.
Einstein konnte sich nicht mit der Vorstellung anfreunden, dass die Natur auf ihrer fundamentalsten Ebene dem Zufall unterworfen ist.
In einem Brief an Max Born schrieb Einstein: „Die Quantenmechanik ist sehr achtung-gebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, daß das doch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der nicht würfelt“.
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Einstein suchte nach „verborgenen Parametern“, die die scheinbare Zufälligkeit der Quantenmechanik erklären könnten. Das von ihm, Podolsky und Rosen 1935 vorgeschlagene EPR-Gedankenexperiment sollte die Unvollständigkeit der Quantentheorie demonstrieren.
In den 1960er Jahren hat John Stewart Bell eine mathematische Regel entwickelt, das sogenannte Bell-Theorem. Damit konnte man prüfen, ob die Vorhersagen der Quantenphysik oder die der klassischen Theorien richtig sind. Bell stellte eine Ungleichung auf (die Bell-Ungleichung), die alle klassischen Theorien einhalten müssen. Die Quantenphysik sagt aber voraus, dass diese Ungleichung in manchen Experimenten nicht stimmt.
Seit den 1970er Jahren wurden zahlreiche Experimente (sogenannte Bell-Tests) durchgeführt, bei denen verschränkte Teilchen – meist Photonen – an verschiedenen Orten gemessen wurden. Die Ergebnisse zeigten eindeutig, dass die Bell-Ungleichung verletzt wird.
Das heißt einfach gesagt: Die Vorhersagen der Quantenmechanik stimmen. Bohr hatte recht, Einstein lag falsch – in der Quantenwelt sind die Dinge auf eine ungewöhnliche Weise miteinander verbunden.
Die theologische Bedeutung des Quantenzufalls
Der Physiker und Priester Hattrup sieht in diesem Quantenzufall auch eine theologische Bedeutung: Er mache Freiheit in der Natur erstmals wissenschaftlich plausibel und eröffne damit neue Möglichkeiten, das Wirken eines freien Schöpfergottes zu denken.
Hattrup betonte, dass in der klassischen, durch Newton geprägten Physik alles streng kausal bestimmt war – jedes Ereignis hatte eine eindeutige Ursache, und damit war die Zukunft vollständig berechenbar. In einem solchen Weltbild sei keine echte Freiheit denkbar gewesen.
Deshalb, so der Professor, habe etwa Immanuel Kant die Freiheit zwar für notwendig gehalten, sie aber nur als bloßes Postulat annehmen können und auf ein „Ding an sich“ ausgewichen, das außerhalb der erfahrbaren Welt liege.
Mit der Quantenphysik habe sich dieses Bild grundlegend verändert. Hattrup verwies darauf, dass der in der Quantenmechanik nachgewiesene „echte Zufall“ nicht bloß Ausdruck von Unwissen sei, sondern eine grundsätzliche Offenheit der Natur zeige.
Das Verhalten kleinster Teilchen, wie etwa von Elektronen, ist demnach nicht eindeutig vorbestimmt, sondern wird erst durch Beobachtung entschieden. Zufall ist damit real – nicht im Sinne von Chaos, sondern als Zeichen dafür, dass die Welt nicht vollständig durch Ursachen festgelegt ist.
Für den Priester Hattrup bedeutet das konkret: In einer solchen offenen, nicht vollständig determinierten Welt ist Freiheit denkbar – nicht nur beim Menschen, sondern auch in der gesamten Schöpfung. Der Quantenzufall ermögliche es, das Wirken eines freien Gottes neu zu verstehen.
Gott habe keine „Marionetten“ geschaffen, sondern eine Welt, in der Geschöpfe echte Freiheit besitzen. Zwar gebe es Vorgaben – etwa die Naturgesetze oder die Zehn Gebote –, aber innerhalb dieser Struktur sei Raum für freie Entscheidungen. Hattrup formuliert dies als „Freiheit als Gabe und Vorgabe“.