Redaktion - Donnerstag, 13. November 2025, 12:00 Uhr.
In einem Gespräch mit dem US-amerikanischen Bischof Robert Barron hat Kardinal Gerhard Ludwig Müller seine Gedanken zur Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils und zur Verbindung von Glaube und sozialer Verantwortung entfaltet.
„Die Frage in der Kirche ist die nach der Wahrheit – der geoffenbarten Wahrheit in Jesus Christus: Glauben wir an Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, das für unser Heil am Kreuz gelitten hat, oder nicht?“, fragte er.
Müller kritisierte, dass das Konzil oft in politischen Kategorien verstanden werde: „Man spricht von Progressiven, Liberalen, Traditionalisten und Konservativen. Aber das ist eine ideologische Spaltung.“ Die Kirche dürfe sich nicht in Parteien aufteilen, denn „der Leib Christi ist nicht gespalten“.
Das Zweite Vatikanum, so der Kardinal, sei „nichts anderes als die Lehre der Kirche seit Beginn“. Seine Texte stünden fest „auf der Grundlage der Bibel […] und der großen apostolischen und theologischen Tradition“. Wer die Konzilsdokumente sorgfältig lese, erkenne: „Es herrscht eine wirkliche Kontinuität.“
Müller betonte, dass es nicht darum ging, die Kirche neu zu erfinden, sondern „das Evangelium auch in den Denkformen der Zeit zu verkünden, unter den philosophischen Bedingungen und mit den modernen Kommunikationsformen“.
Freundschaft mit Gustavo Gutiérrez
Besonders schilderte Müller seine Freundschaft mit dem peruanischen Theologen Gustavo Gutiérrez. Viele seien überrascht, sagte er, weil manche in Müller den „Konservativen“ sehen und in Gutiérrez „den Befreiungstheologen“.
Doch diese Etiketten seien irreführend: „Das Problem dieser Leute ist, dass sie gespaltene Kategorien in ihrem Denken haben. Sie betrachten andere Menschen nicht theologisch, sondern politisch-ideologisch.“
Müller verwies auf seine Wurzeln in Mainz und auf den Sozialbischof Emmanuel von Ketteler, einen Vordenker der katholischen Soziallehre: „Darum haben wir sozusagen in unserem Blut, woher wir kommen, diese soziale Dimension des Katholizismus.“ Sie richte sich gegen jede Form gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und sei „eine Selbstbehauptung des Katholizismus“ in der Moderne.
Über Gutiérrez sagte Müller, „seine berühmte Befreiungstheologie, von der alle dachten, sie habe etwas mit Marxismus zu tun“, sei vielmehr „die Überwindung des Marxismus“.
Der Marxismus reduziere den Menschen „auf den Klassenkampf“. Christliche Befreiung dagegen bedeute, „nicht die anderen Klassen zu überwinden, indem wir sie zerstören, sondern den Klassenkampf zu überwinden“.
Die entscheidende Frage von Gutiérrez sei gewesen: „Wie ist es möglich, von der Liebe Gottes zu jedem Menschen zu sprechen, wenn eine Mutter nichts hat, um ihren Kindern Essen zu geben?“
Soziallehre als Grundlage der Demokratie
Müller erinnerte an den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg: „In Deutschland wurde die Demokratie aufgebaut auf der Grundlage der Menschenrechte und auch mit der katholischen Soziallehre.“ In Italien sei es mit der christdemokratischen Bewegung ähnlich gewesen.
Der Kardinal betonte, dass diese Ordnung allen offenstehe, „die eine natürliche Ethik haben“, aber ihren Ursprung im Glauben behalte: „In Jesus Christus können wir alle zusammenkommen und die Gesellschaft auf der Grundlage der moralischen Elemente aufbauen.“
Für Müller hängt alles zusammen – Inkarnation, Wahrheit und Gerechtigkeit: „Wir haben das nicht zu ändern: Jesus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit, und dieselbe Wahrheit.“





