Redaktion - Freitag, 14. November 2025, 9:00 Uhr.
Mit deutlichen Worten hat der Theologe Ralph Weimann beim Benedikt XVI. Forum in Hamburg über den Zumutungscharakter der Wahrheit gesprochen. Die Wahrheit werde, so Weimann vor wenigen Tagen, „gerade heute wieder als Zumutung empfunden, nicht selten sogar als schwere Last“.
Viele Menschen, auch Christen, empfänden sie nicht als Befreiung, „sondern als Einschränkung oder gar als eine Bürde“. In einer Zeit, in der Selbstverwirklichung und subjektives Empfinden als oberste Maßstäbe gelten, sei es schwer, die Wahrheit als Weg zur Freiheit zu begreifen. Statt die Last der Wahrheit anzunehmen, neige man dazu, sie „abzuwerfen“.
In seinem Vortrag beschrieb Weimann drei Grundhaltungen, mit denen Menschen auf die Wahrheit reagieren. „Die erste: Man sucht die Wahrheit und nimmt sie im Vertrauen darauf an, dass sie Orientierung schenkt und der Schlüssel zum Gelingen des Lebens ist.“ Andere jedoch lehnten die Wahrheit ab, „vielleicht aus Angst vor dem Anspruch, aus Stolz oder vielleicht auch aus Bequemlichkeit, das eigene Leben ändern zu müssen“.
Schließlich gebe es jene, „die Wahrheit verwässern, sie umformen, bis sie den eigenen Vorstellungen entspricht“. In der Gesellschaft herrsche, so Weimann, „die Tendenz, sich seine eigene Wahrheit zu konstruieren – eine, die niemanden stört, die keine Umkehr verlangt, die sich gut in den persönlichen Lebensstil einfügt“.
Das zeige sich auch in der Bibel. „Schon im Alten Testament wird deutlich, dass es ein echter Prophet nicht leicht hat“, betonte Weimann. „In der Sprache der Bibel bedeutet Widerstand gegen die Wahrheit eine Verhärtung des Herzens, ein bewusstes Sich-Verschließen gegenüber dem göttlichen Wort.“
Der Prophet Jesaja habe diesen inneren Widerstand eindrucksvoll beschrieben: „Denn es ist ein trotziges Volk, verlogene Söhne […]. Sagt uns Schmeichelndes […], lasst uns in Ruhe mit dem Heiligen Israels!“ Wer dies sage, lebe gefährlich, „besonders dann, wenn Menschen diese Wahrheit nicht hören wollen“.
Auch im Neuen Testament zeige sich dieses Ringen um die Wahrheit exemplarisch in der Begegnung zwischen Jesus und Pontius Pilatus. „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen“, zitierte Weimann aus dem Johannesevangelium.
Doch Pilatus weiche aus und frage sarkastisch: „Was ist Wahrheit?“ Dabei, so Weimann, „stand die Wahrheit selbst vor ihm in der Person Jesu Christi, doch Pontius Pilatus konnte oder wollte sie nicht erkennen“.
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Dieses biblische Drama mache deutlich, dass der Mensch einerseits an der Wahrheit Anstoß nehme, andererseits aber tief in sich spüre, „dass man ohne Wahrheit nicht leben kann“.
Weimann zufolge gibt es keinen neutralen Raum zwischen Wahrheit und Lüge: „Wer der Wahrheit ausweicht, bewegt sich gefährlich nahe an der Unwahrheit – theologisch gesprochen an der Lüge.“
Dabei erinnerte er erneut an das Johannesevangelium: „Er also, der Teufel, steht nicht in der Wahrheit, denn es ist keine Wahrheit in ihm […]; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge.“ Wer sich von der Wahrheit abwende, öffne sich, so Weimann, „bewusst oder unbewusst dem Einfluss des Vaters der Lüge“.
Mit Blick auf Joseph Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI., hob Weimann hervor, dass das Christentum sich „im Gegensatz zu einer Religion mit Anführungszeichen“ als die wahre Religion verstehe. Ratzinger habe gesagt: „Die Frage nach der Wahrheit ist die wesentliche Frage des christlichen Glaubens überhaupt. Es gehört zu den großen Engführungen der Moderne, die Wahrheitsfähigkeit, die einem jeden Menschen eigen ist, abzusprechen.“
Nach Weimanns Darstellung liegt dieser modernen Haltung zugleich eine „falsche Demut“ und ein falscher Hochmut zugrunde – Demut, weil man meine, der Wahrheit nicht würdig zu sein, Hochmut, weil man sich über sie stelle und sie deshalb nicht annehme.
Mit Verweis auf Ratzingers berühmte Regensburger Vorlesung erinnerte Weimann daran, dass Glaube und Vernunft untrennbar zusammengehören. Papst Benedikt „wagte eine Apologie für die Größe der Vernunft“, so Weimann, der den Satz zitierte: „Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.“
Daraus folge, dass der Glaube nicht gegen die Vernunft stehe, sondern sie „zur Fülle ihrer eigenen Bestimmung führt“. Der Glaube sei „wahre Aufklärung“ und die Offenbarung Gottes eine „neue Form der Aufklärung“, die „zum Sturz der Götter beigetragen“ habe.
Auch die kirchliche Autorität könne nur als Dienst an der Wahrheit verstanden werden. „Die Autorität der Kirche ist nicht Selbstzweck, sondern Dienst an der Wahrheit“, betonte Weimann. Sobald sie sich von dieser Grundlage löse, drohe sie, „sich in Macht- und Interessenskämpfe zu verwandeln“.
Das Christentum sei daher nicht „mit einem Kaufhaus vergleichbar“, das sich nach den Kundenwünschen richte. Vielmehr sei es „die göttliche Medizin“, die sich nicht nach dem, was den Menschen schmeckt, richten darf. Wahre Reform bedeute, „sich um das verdeckt Wahrhaft-Christliche zu bemühen“, während falsche Reformen „hinter den Menschen herlaufen, anstatt ihn zu führen“.





