München - Dienstag, 14. November 2017, 5:47 Uhr.
Alle Menschen werden älter – aber alt zu werden, ist ein Privileg, sagt Elisabeth Lukas, die selber am 12. November ihren 75. Geburtstag feierte. Die Psychologin und Psychotherapeutin leitete fast zwei Jahrzehnte lang das "Süddeutsche Institut für Logotherapie" in Fürstenfeldbruck bei München.
Wie das Älterwerden als Privileg zu verstehen ist, wie Leben eigentlich in jedem Alter gelingen kann: Darüber spricht die Bestseller-Autorin im Gespräch mit Michael Ragg für das "Magazin "Pur" in einem Ausschnitt aus dem Buch "Wie Leben gelingen kann. Sinn und Freude Tag für Tag" bei Butzon & Bercker. CNA Deutsch veröffentlicht vorab einen kurzen Auszug, mit freundlicher Genehmigung, aus dem "Pur"-Gespräch, das Michael Ragg mit dem Hinweis beginnt, dass nun die Professorin selbst seit einigen Jahren sozusagen im Ruhestand ist:
PUR: Sie schreiben noch Bücher, halten gelegentlich Vorlesungen, treten bei Veranstaltungen auf. Lernbegierige Schüler kommen sogar aus Russland und Fernost zu Ihnen nach Perchtoldsdorf angereist, um von Ihnen zu lernen. Aber grundsätzlich haben Sie sich aus der Berufsarbeit zurückgezogen. Wie waren denn Ihre ersten Erfahrungen mit dieser Ruhestandszeit?
Elisabeth Lukas: Ach, ich bin sehr gerne Seniorin. Ich fühle mich wohl in diesem Lebensabschnitt, obwohl ich sagen muss: Ich war auch sehr gerne berufstätig, und davor habe ich mit Begeisterung studiert. Ich bin der Überzeugung, dass man eigentlich jedem Lebensabschnitt etwas abgewinnen kann und in jedem Lebensabschnitt spezielle Chancen bekommt, aber auch spezielle Herausforderungen vorfindet, die man meistern muss.
Gilt das wirklich für jeden? Manche Leser könnten jetzt sagen: "Ja, die Frau Professor hat schon ein erfülltes, abwechslungsreiches Leben hinter sich. Sie genießt viele positive Beziehungen, sie ist gefragt. Aber viele ältere Menschen leben nicht in einer solch privilegierten Situation.
Das stimmt natürlich. Es gibt Voraussetzungen, die einem den Ruhestand leichter machen. Nur gilt das für fast jeden Lebensabschnitt. Zum Beispiel ist eine intakte Gesundheit eine exzellente Voraussetzung, auch für einen jungen Menschen oder für einen Erwachsenen in mittleren Jahren. Trotzdem würde ich aus meiner klinischen Erfahrung heraus sagen, dass die Frage, ob Leben gelingt bzw. als ein "gutes Leben" empfunden wird, nicht so sehr von den äußeren Umständen abhängt. Ich habe unzählige Patienten gehabt, deren äußere Umstände durchaus lukrativ waren, die vielleicht sogar mancherorts beneidet wurden, die aber trotzdem nicht glücklich waren. Ich kannte andere Personen, deren Voraussetzungen mir eher dürftig schienen; Personen, die ihr Leben überraschend gut gesteuert haben. Wir kommen in unseren Gesprä- chen immer wieder darauf zurück, dass im Menschen der Geist weht, der "alles neu macht". Deshalb ist es uns möglich, aus Wenigem noch etwas Wunderbares zu gestalten. Schon Wolfgang von Goethe hat das Dichterwort geprägt: "Man kann auch aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, etwas Schönes bauen." Ich möchte dies bestätigen: Aus einfachen und beschränkten Lebensbedingungen lässt sich ein beachtliches Lebenskonzept entwickeln.
Wissen Sie, Frau Prof. Lukas, dass es heutzutage heißt, das Alter sei "nichts für Feiglinge"?
Nun, in Wirklichkeit ist es ein Privileg, alt werden zu dürfen, denn die Alternative bedeutet ja, jung sterben zu müssen. Und fürchten kann man sich in jedem Alter, wenn man das will. Die Furcht vor dem Alter ist insofern begründet, als Einschränkungen und Erkrankungen wahrscheinlicher werden. Das Welken des Organismus macht sich spürbar bemerkbar. Dafür gibt es aber auch nicht zu unterschätzende Erleichterungen im Alter. Man muss nicht mehr täglich arbeiten, man ist aus sämtlichen "Tretmühlen und Hamsterrädern" heraus und genießt – zumindest bei uns – eine finanzielle Absicherung, die einen bescheidenen bis satten Lebensabend garantiert. Das sind Vorteile, die man bewusst wahrnehmen sollte. Allerdings haben diese Erleichterungen im Alter zwei Seiten. Sie können erfreuliche Neueröffnungen oder Leerlauf und Frust bewirken. Was sie bewirken, liegt jedoch nicht am Alter, sondern an der Person und ihrer Reaktion auf die sich verändernde Lebenssituation.
Ich höre oft, dass der bevorstehende Ruhestand wie ein schwarzes Loch erlebt wird, in das die Betreffenden hineinzustürzen wähnen. Dass das Leben nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit hohl, inhalts- und sinnlos für sie wird. Dass ihre Lust am Leben schwindet…
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Im Alter macht sich ein schon in früheren Jahren entfaltetes reiches Wertsystem hoch bezahlt. Davon profitiert man. Wehe, wenn man hingegen lange Zeit hauptsächlich für einen Wert gelebt hat, etwa nur für die Arbeit oder nur für die Kindererziehung. Fällt dieser Wert dann weg, fällt man praktisch ins Loch. Frankl hat ausdrücklich vor der Überbewertung einzelner Werte gewarnt, als er davon sprach, dass "hinter jeder Verzweiflung eine Vergötzung stecke". Alle irdischen Werte sind verlierbar, und wenn das gesamte Glück eines Menschen an einem einzelnen irdischen Wert hängt, der gleichsam "zum Himmel gehoben wird", dann bricht alles zusammen, sobald dieser eine Wert nicht mehr vorhanden oder realisierbar ist und sich dem Zugriff des Menschen entzieht. Selbst in Liebesbeziehungen sollte niemand sich einreden, ohne den anderen nicht leben zu können. Solche "Vergötzungen" sind auch die Urwurzel des "Pensionierungsschocks", verbreitet bei Männern, die lange Zeit "verbissen" gearbeitet haben, oder des "Leere-Nest-Syndroms", verbreitet bei Frauen, deren Kinder aus dem Haus ausgezogen sind – kurz, von Abschieden, die nicht im Positiven überwunden werden
Aber welche Werte kann ein älterer Mensch, dessen Hauptaufgaben getan sind, überhaupt noch verwirklichen?
Frankl hat drei "Hauptstraßen" der Sinnfindung beschrieben: die schöpferischen Werte, die Erlebniswerte und die Einstellungswerte. Da schöpferisches Handeln kennzeichnend für das aktive Leben ist, bietet sich der Übergang ins Alter für eine Umpolung auf Erlebnis- und Einstellungswerte an. Allerdings spricht nichts dagegen, in kleineren Umfängen, etwa ehrenamtlich, noch Aufgaben zu übernehmen, denen man gewachsen ist. Dabei wird das von den bisherigen Vorschriften und Regelungen entbundene schöpferische Restkapital des alternden Menschen für nachbarschaftliche Handreichungen oder Unterstützungen im sozialen Umfeld freigesetzt, wobei sich sein Lohn von "klingender Münze" in eine andere Art von Lohn transformiert, den Frankl in die Worte gefasst hat: "Das Bewusstsein, noch einer Aufgabe zu dienen, hat krankheitsverhütende und lebensverlängernde Wirkung."
Der katholische Fernsehsender EWTN zeigt im November 2017 die Fernsehserie "Wie Leben gelingen kann". Zu sehen sind die dreizehn halbstündigen Folgen der Serie jeweils eine Woche lang. Erstsendung ist immer sonntags um 20 Uhr, Wiederholungen laufen zum Beispiel mittwochs 11:30 Uhr, donnerstags 17:30 Uhr oder freitags 21 Uhr.
Das Gesprächsbuch "Wie Leben gelingen kann. Sinn und Freude Tag für Tag", erscheint dieser Tage bei Butzon & Bercker. Mehr über Elisabeth Lukas unter: www.elisabeth-lukas.archiv.de und zu Michael Raggs Arbeit unter www.raggs-domspatz.de
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— CNA Deutsch (@CNAdeutsch) April 24, 2016