5. November 2018
Vor 50 Jahren, am 23. September 1968, ist Pater Pio gestorben. Dass er ein Heiliger war, haben schon unzählige Menschen zu seinen Lebzeiten erfahren, zum Teil sind vielfältige Wunder an ihnen geschehen. Inzwischen wurde Pater Pio schon längst heiliggesprochen. Man sagt, er sei der bekannteste Heilige.
Doch der Kapuzinerpater aus Italiens Süden wurde nicht immer so beachtet wie heute. Vielmehr erging es ihm wie schon vielen anderen Heiligen vor ihm, die in ihrem Erdendasein oft verachtet, nicht ernstgenommen, verspottet und der Lüge und des Betrugs bezichtigt wurden. Dem jungen Kapuziner Pater Pio erging es nicht anders, besonders seit er die Wundmale Christi, die Stigmata, an seinem Leibe empfangen hatte. Im Verlaufe vieler Jahre wurde er unzähligen Untersuchungen und Prüfungen unterworfen; sowohl theologischen wie medizinischen. Monsignori aus dem Vatikan und viele Mitbrüder des Kapuzinerordens waren oft mehr als skeptisch. Der Verdacht des Betrugs stand stets im Raum. Es ging soweit, dass man dem frommen Kapuziner verbot, offen die Sakramente zu spenden. Er durfte über Jahre hinweg nur privat zelebrieren und keine Beichten hören. Heute weiß jedes Kind, dass Pater Pio ein Heiliger des Beichtstuhls gewesen ist.
Obgleich in den letzten Lebensjahren Pater Pios keine negativen Stellungnahmen von Seiten des Vatikan geäußert wurden, vielmehr reichlich Bischöfe nach San Giovanni Rotondo reisten um sich zusammen mit ihm auf einem Foto zu schmücken, so gab es doch erhebliche Kritik an ihm. Ganz besonders wieder in den Jahren seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Allzusehr schien ihnen der mystisch begnadete und stigmatisierte Kapuziner jenes Kirchenbild zu verkörpern, das sie glaubten, gerade überwunden zu haben. So erinnert sich der Rezensent allzu gut an jene Jahre unmittelbar nach dem Konzil, da gerade so mancher deutsche und moderne Kapuziner ein Füllhorn der Häme und des Schmutzes über Pater Pio ausgoss. Da begann gerade der Abschied vom Beichtsakrament. Was sollte man also mit einem anfangen, der "gleich dem Pfarrer von Ars" im Beichtstuhl in den "Menschenherzen lesen" konnte.
Leider gab es in jener Zeit wenig wirklich gute Literatur zu Pater Pio. Von ihm wurde hauptsächlich in Kirchenblättchen berichtet, die, weil oft nur frömmlerisch daherkommend, nicht für ernst genommen wurden oder reißerisch daherkamen, wie etwa eine damalige kirchliche Wochenzeitung. Um so dankbar waren viele, als der deutsche Franziskaner Pater Ferdinand Ritzel (1922–1981) sein Pater-Pio-Buch veröffentlichte (P. Ferdinand Ritzel OFM. Pater Pio - Seine geistliche Gestalt - Sein weltweites Wirken. Credo-Verlag-Wiesbaden 1970). In diesem Buch wurde erstmals wirklich systematisch das Leben des Kapuziners vorgestellt, seine Berufung und seine "geistliche Lehre" gewürdigt.
Dem herausgebenden Media-Maria-Verlag gilt mein besonderer Dank für die nochmalige Veröffentlichung dieses Buches, das hier unter dem Titel "Pater Pio – Sein Leben, Lieben und Leiden" zum 50. Todestag des Heiligen erschienen ist. Ferdinand Ritzel beschreibt in seinem Buch, wie er zu Pater Pio kam, den er zweimal besuchen konnte. Er, der nach dem Zweiten Weltkriegs Franziskaner wurde und 1951 von Kardinal Faulhaber die Priesterweihe erhielt, fand in der Mystik "die eigentliche Sinngebung seines Ordenslebens". Somit hatte er einen besonderen Zugang zum Geschehen in San Giovanni Rotondo und zu Pater Pio.
Der Autor Ritzel konnte, befähigt durch seinen persönlichen Kontakt sowie sein umfangreiches Studium der vorhanden Dokumente zu Pater Pio (auch jene zur Einleitung des Seligsprechungsprozesses), eine eindrucksvolle Biografie vorlegen, die unübertroffen ist.
Pater Pio ist bis heute der einzige stigmatisierte Priester, was manchen erstaunen dürfte. In seinen letzten Lebenstagen verminderten sich die Blutungen der Wundmale an seinem Leib. Bei seiner letzten Heiligen Messe fielen Schuppen von seinen Händen; das konnte jeder sehen. Als er am nächsten Tag, am 23. September 1968, morgens um 2.30 Uhr starb, waren alle Wunden verschlossen und keine Narbe ist zurückgeblieben.
Pater Ferdinand Ritzel sagt über den stigmatisierten Kapuziner: "Pater Pio ist mir wahrhaft Vater meiner Seele." Hier begegnet uns der Begriff der "Seelenführung", der heute gänzlich aus dem Gebrauch gekommen ist. Was Pater Pio unter "Seelenführung" verstand und wer überhaupt Seelenführung nötig hat, mag den Leser erstaunen.
Pater Pio "war davon überzeugt, dass die Notwendigkeit eines erfahrenen Seelenführers in dem Maße wächst, wie sich die Seele Gott nähert. Anfänger, die sich nie über eine gewisse Gewöhnlichkeit und Mittelmäßigkeit emporschwingen, brauchen keinen Seelenführer. Sie würden ihm mit dem Schwergewicht ihrer geistlichen Trägheit zur Last fallen. Aber je mehr man auf den Wegen Gottes voranschreitet, desto mehr wird das Thema Seelenführung aktuell. Bei Pater Pio war es in den letzten Jahren so gewesen, dass er seinen Beichtvater beständig in seiner Nähe hatte, um von ihm Licht und Weisung zu erbitten, wenn Gott ihm das Licht für seine eigene Seele vorenthielt. – Pater Pio verstand die Seelenführung als Frucht wahrhaft apostolischen Geistes, der einen jeden Priester erfüllen sollte, und als einen Dienst, den der Priester den Seelen guten Willens zu leisten hat."
P. Ferdinand Ritzel OFM, "Pater Pio - Sein Leben, Lieben und Leiden" ist im Verlag Media Maria erschienen und hat 352 Seiten.
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