25. Dezember 2018
Zum Weihnachtsfest 2018 hat Kardinal Kurt Koch am heutigen 25. Dezember über das Hochfest der Geburt Christi gepredigt. CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut mit freundlicher Genehmigung.
"Geben ist seliger als nehmen." So sagt es ein Sprichwort der Volksweisheit, die uns Menschen spontan als wahr einleuchtet. Es zeichnet in der Tat den freigebigen und grosszügigen Menschen aus, dass er an sich selbst zuletzt denkt und vor allem für die Anderen da ist und sich ihnen uneigennützig zuwendet. Diese Erfahrung machen wir in besonderer Weise an Weihnachten, indem wir uns gegenseitig beschenken. An Weihnachten machen wir freilich auch die umgekehrte Erfahrung, dass das Beschenkt-Werden und Nehmen viel schwieriger ist als das Geben. Während wir das Geben als Zeichen von Grosszügigkeit und Souveränität verstehen, appellieren das Beschenkt-Werden und Empfangen-Können an unsere Demut.
Demütiges Empfangen-Können ist seliger als Geben
Demut ist besonders gefordert angesichts des Geheimnisses von Weihnachten. An diesem Fest spüren wir, dass Demut die adäquate Lebenseinstellung gegenüber Gott ist, der uns so nahe kommt, dass er unser Herz berührt. An Weihnachten stehen wir vor Gott da in erster Linie nicht als Menschen, die geben und schenken, sondern als solche, die empfangen und beschenkt werden. Wir werden beschenkt mit dem grössten Wunder dieser Welt, dass Gott selbst Mensch wird und uns nichts weniger schenkt als sich selbst als Licht, das unser Leben erleuchtet, wie der Evangelist Johannes die Frohe Botschaft von Weihnachten verdichtend zusammenfasst: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt" (Joh 1. 9). Dieses grossartige Geschenk Gottes können wir nur in demütiger Dankbarkeit entgegennehmen.
Solche demütige Dankbarkeit fällt uns Menschen oft schwer, und wir sind versucht, ihr auszuweichen, und zwar vor allem mit zwei Verhaltensweisen. Die eine besteht darin, dass wir Gottes Geschenk nicht empfangen wollen und deshalb nicht bereit sind, uns von Gottes Liebe beschenken zu lassen, weil wir selbst die Welt und auch unser eigenes Leben schaffen wollen: "Lieber schuldig bleiben als mit einer Münze zahlen, die nicht unser Bild trägt – so will es unsere Souveränität"[1]: Mit diesen Worten hat der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche diese Einstellung vor Gott präzis auf den Punkt gebracht. In der Tat geht das Kamel, wie Jesus sagt, nicht nur nicht durch das Nadelöhr, sondern es stellt geradezu seinen hochmütigen Höcker auf und ist damit nicht in der Lage, durch die Pforte der erbarmenden Güte Gottes zu gehen. An Weihnachten wäre es gut und angezeigt, uns die Frage zu stellen, ob wir nicht immer wieder Menschen sind, die ihren kamelartigen Höcker aufstellen und deren Hochmut es nicht zulässt, sich an Weihnachten von der heilenden Liebe Gottes beschenken zu lassen.
Diese Abweisung und Zurückweisung der Liebe Gottes haben ihre Wurzel im Hochmut und damit im Gegenteil von Demut. Es gibt aber auch die Versuchung einer falschen Demut, die das ganz Grosse nicht will, die es nicht ertragen will, dass an Weihnachten Gott sich so tief zu uns herunter beugt, dass er uns auf gleicher Höhe in die Augen schauen kann. Auch in dieser falschen Demut steckt letztlich der Hochmut, das Geschenk der Liebe Gottes nicht zu mögen, sondern das Leben allein aus dem Eigenen meistern zu wollen. Es ist falsche Bescheidenheit und damit wiederum Hochmut, die Gottes Liebe nicht annehmen mag.
Beide Haltungen, der Hochmut und die falsche Demut, kommen darin überein, dass sie Gott gegenüber, der keine Grenzen kennt und setzt, sondern grenzenlos liebt, ihrerseits Grenzen setzen wollen. Der lebendige Gott jedoch schätzt weder den aufgerichteten Höcker des Hochmuts noch die falsche Bescheidenheit. Er erwartet von uns Menschen vielmehr die Demut, die sich beschenken und lieben lässt. Solche Demut brauchen wir an Weihnachten, und wir könnten sie von einem grossen Glaubenszeugen unserer christlichen Tradition neu lernen, der selbst in seinem Leben mühsam lernen musste, vom aufgerichteten kamelartigen Höcker herunter zu steigen, und der auf sehr verschlungenen Umwegen den Weg zum Kind in der Krippe gefunden hat, nämlich vom heiligen Augustinus. Er hat immer tiefer erkannt, dass die Demut der Kern des Christusgeheimnisses ist und dass umgekehrt der tiefste Grund unserer Glaubensunfähigkeit im Tod der Demut besteht.
Gottes Offenbarung im Zeichen der Demut
Das Geheimnis von Weihnachten können wir nur im Glauben erfassen, und dazu braucht es eine gehörige Portion Demut. Denn Weihnachten lädt uns ein, die Volksweisheit, dass Geben seliger sei als Nehmen, gleichsam auf den Kopf zu stellen: Das Empfangen-Können und Sich-beschenken-Lassen ist seliger oder zumindest so selig wie das Geben. Darin besteht das Geheimnis der Liebe: Wahre Liebe setzt immer das Geliebt-Werden voraus, und christliches Leben im Zeichen von Weihnachten ist das Annehmen unseres Geliebt-Werdens von Gott und das Durchhalten dieses gläubigen Annehmens im ganzen Leben.
Damit dies uns Menschen möglich ist, hat Gott selbst in der Geschichte mit uns Menschen den Weg der Demut gewählt: Er ist Mensch geworden und hat alle Dimensionen des Menschlichen – ausser der Sünde - angenommen. Als Christen dürfen wir an einen Gott glauben, der keine Berührungsängste vor der Geschöpflichkeit seines eigenen Sohnes hat und der unsere Erde liebt. In seinem eigenen Sohn offenbart sich uns Gott so wie er ist; und an seinem Sohn können wir Gott selbst erkennen. Weihnachten lädt uns ein, genau hinzusehen und wahrzunehmen, wie der Sohn Gottes aussieht und wie Gott selbst handelt und ist. Auf zwei besondere Wesenszüge seiner Demut hinzuweisen, ist vor allem an Weihnachten angezeigt:
Um sich uns Menschen zu offenbaren und uns nahe zu sein, hat Gott die Gestalt eines kleinen Kindes gewählt. Diese Wahl hat Gott wohl deshalb getroffen, weil ein Kind jeden Menschen unmittelbar anspricht. Es ist die Kleinheit und Unberührtheit eines Kindes, die uns Menschen unmittelbar anrührt. Der Anblick eines kleinen Kindes geht uns zu Herzen. In der Begegnung mit einem Kind, zumal einem neugeborenen, werden wir unserer eigenen Geschöpflichkeit und Verletzlichkeit ansichtig. Wir spüren instinktiv, dass das Kind unsere eigene Angewiesenheit und Bedürftigkeit lebt, die wir als erwachsene Menschen so gerne verstecken und verdrängen.
Weihnachten aber verkündet uns: Der unendliche, erhabene und unfassbare Gott wird greifbar in der Armut und Ohnmacht eines Kindes. Grösser könnte der Abgrund nicht sein, der zwischen der Ewigkeit Gottes und der Geschöpflichkeit eines Kindes besteht. Doch diesen Abgrund hat Gott ein für allemal überbrückt in der Kindwerdung seines eigenen Sohnes. Jesus Christus ist deshalb der wahre Brückenbauer zwischen Gott und Mensch, der wahre Pontifex zwischen Himmel und Erde. Jesus Christus ist die lebendige Brücke, die uns einlädt, sie zu begehen und auf ihr dem Gott entgegen zu gehen, der uns zuerst entgegen kommt. Diesen Weg können wir nur in Demut gehen, weil wir dem Gott begegnen, der uns in der Demut seiner Kindwerdung nahe kommt.
Von der Krippe zum Kreuz
Doch damit ist noch nicht alles über den Weg der Demut Gottes mit uns Menschen gesagt. Denn das Kind in der Krippe ist nicht irgendein Kind. Es zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass bereits bei seiner Geburt seine Zukunft am Kreuz in den Blick kommt. Auf diesen dunklen Horizont über der Geburt des Kindes in der Krippe weist das Weihnachtsevangelium nach Johannes mit der düsteren Aussage hin: "Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf" (Joh 1, 11).
Der Zusammenhang von Menschwerdung Gottes an Weihnachten und Kreuzigung Jesu am Karfreitag wird vor allem in den Weihnachtsikonen der Ostkirche sichtbar gemacht. Die Krippe ist hier zumeist dargestellt wie ein "hohes, gemauertes, altarähnliches Gebilde"[2]. Mit diesem ist dem Kind von Anfang an der Weg vorgezeichnet, der von der Krippe zum Altar des Kreuzes führen wird. Man redet deshalb auch von einer "Altarkrippe". Der Zusammenhang von Menschwerdung und Kreuz wird noch dadurch unterstrichen, dass das Kind fast immer fest eingeschnürt dargestellt und somit eine Parallele zur Grablegung nahegelegt wird. Die ostkirchliche Weihnachtsikone verkündet so die befreiende Botschaft, dass Christus bereits in seiner Menschwerdung in die Tiefe der Todeswelt hinab gestiegen ist, in der die in Todesschatten sich aufhaltende Menschheit lebt und auf die Erlösung von oben wartet.
Der unlösbare Zusammenhang von Krippe und Kreuz offenbart den tiefen Ernst der Demut Gottes an Weihnachten: Die Menschwerdung Gottes ist ein derart ernsthaftes Geschehen, dass sie bereits auf das Kreuz Jesu Christi voraus weist. Dort, wo dieser Zusammenhang von Krippe und Kreuz aus dem Glaubensbewusstsein ausgeblendet wird, droht Weihnachten bald zu einer Angelegenheit allein des wohlfeilen Gefühls in einer konsumorientierten Welt zu werden. Dort hingegen, wo der Zusammenhang zwischen Krippe und Kreuz gegenwärtig ist, wird uns der Ernst der Demut Gottes in seiner Geschichte mit uns Menschen bewusst und antworten wir ihm in der Demut des Glaubens. An der Altarkrippe geht uns auf, dass wir ohne Weihnachten arm dran wären – auch wenn der Gabentisch reich gedeckt sein mag. Denn an der Altarkrippe dürfen wir die Erfahrung machen, dass es in unserem Leben keine lichtvollere Botschaft als die von Weihnachten gibt:
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Der allmächtige Gott ist in einem ohnmächtigen Kind zur Welt gekommen. Der ewige Gott hat unsere endliche Zeit auf sich genommen. Der unendlich grosse Gott hat im hintersten Winkel unseres Globus seinen Fuss auf unsere Erde gesetzt. Wir dürfen an Weihnachten die Geburt jenes Kindes feiern, in dem Gott selbst konkret erfahrbar geworden ist, um uns Menschen die Hand des Friedens und der Versöhnung zu reichen. Ergreifen wir am Weihnachtsfest in Dankbarkeit die uns dargebotene Hand Gottes und nehmen wir im Kind in der Krippe den Mensch gewordenen Gottessohn in Demut an, der uns verheissen hat, dass er allen, die an seinen Namen glauben und aus Gott geboren sind, die Macht gibt, "Kinder Gottes zu werden" (Joh 1, 12-13). Wenn wir Kinder im Kind, Söhne und Töchter im Sohn werden und so in menschlicher Demut der weihnachtlich offenbaren Demut Gottes begegnen, dann kann es wirklich Weihnachten werden: Ein von Gott gesegnetes und gnadenreiches Weihnachtsfest.
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[1] F. Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft 3, 252, zitiert nach J. Pieper, Über den Begriff der Sünde (München 1977) 120.
[2] Ch. Schönborn, Das Geheimnis der Menschwerdung (Mainz 1983) 44.
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