Warschau - Donnerstag, 7. April 2016, 15:21 Uhr.
Zum ersten Mal haben sich Juden und Katholiken gemeinsam zur Flüchtlingskrise positioniert. In einer Erklärung, die am Donnerstag erschienen ist, bekunden beide Religionsgruppen ihre Solidarität mit Flüchtlingen, setzen im Umgang mit der Migrationskrise aber auf klare Regeln.
So lautet die Kernbotschaft des Treffens des Internationalen Katholisch-Jüdischen Liaison Komitees (ILC), das zum Thema “Der ‘Andere’ in jüdischer und katholischer Tradition: Flüchtlinge in der Welt von heute” in Warschau getagt hat. Es ging also um die Frage nach dem Anderen, der in vielerlei Hinsicht fremd ist: zunächst ganz wörtlich – der Andere, der Fremde, der in seiner Fremdheit bedrohen kann; aber auch der hilfsbedürftige Andere, der auf Unterstützung angewiesen ist.
“Anderssein kann ja als Bedrohung, als Aggressionsgrund gesehen werden. Alles, was nicht Ich ist, kann als Anfrage an das Ich begriffen werden – aber auch als Bereicherung”, fasst Salesianerpater Norbert Hofmann, Sekretär der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum des Heiligen Stuhls im Gespräch mit der CNA zusammen.
“Die Aussage der Konferenz ist, dass Juden und Christen ihre Freundschaft vertieft haben, dass sie am gleichen Strang ziehen, dass sie auch kontrovers diskutieren können und sich zu aktuellen, politischen Themen wie der Flüchtlingskrise gemeinsam äußern können”, so Pater Hofmann weiter. Die beiden Religionen verbinde die gemeinsame ethische Basis, den Notleidenden, wie den Flüchtlingen, zu helfen. Flüchtling zu sein, sei in beiden Religionen keine fremde Erfahrung. Noch heute leiden Juden und Christen unter Verfolgung. “Juden haben von ihrer Geschichte her Erfahrung damit, was es heißt, auf der Flucht zu sein. Schon in der Bibel fliehen Israeliten aus dem Sklavenhaus Ägypten”, betont Pater Hofmann.
Das gemeinsame Fundament der Nächstenliebe spiegelt sich auch in den jeweiligen Heiligen Schriften beider Religionen wieder, die beide Hilfe für Notleidende gebieten. Die moralische Grundlage in der Frage nach dem Umgang mit der Flüchtlingskriese ist also gleich: “Was Du dem Geringsten meiner Brüder getan hast, hast Du mir getan” sei ungeachtet der religiösen Unterschiede ein Imperativ für Christen wie Juden gleichermaßen. Um diesen Anspruch umzusetzen, wurden in Warschau dagegen unterschiedliche Ansätze diskutiert. Die Erklärung spricht an der Stelle davon, dass jeder Redner “die innere dialektische Spannung zwischen der Partikularität und der Universalität in jeder Tradition” anerkenne. “In der Diskussion haben sich die Juden dann dahingehend partikularistisch gezeigt, dass man sich abgrenzen muss, dass das Gemeinwohl nicht tangiert werden kann. Die Fremden müssen sich also anpassen an die Gemeinschaft. Aber das ist bei uns ja im Prinzip genauso wenn es um Integration geht”, so Pater Hofmann.
Die “Akzeptanz des ‚Anderen‘” sei moralisch richtiger und wesentlicher Bestandteil für das Selbstverständnis der jeweiligen Tradition, formuliert es das Abschlussdokument. Man erkenne aber auch die Spannungen an, die sich daraus ergeben: Auf der einen Seite steht die ethische Verpflichtung zur Liebe zum Fremden und zur Anerkennung der Würde des Fremden als Geschöpf nach dem Bild Gottes. Das Komitee sprach aber auch von einer verbreiteten “Sorge um Sicherheit” und einer gewissen “Angst vor Veränderungen”.
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“Es geht darum, dass das Gemeinwohl nicht überstrapaziert wird”, fasst Pater Hofmann die Diskussionen des Komitees zusammen. Er nennt ein Beispiel, das angesichts der Flüchtlingsdramen, wie sie sich bisweilen vor den Küsten Italiens oder Griechenlands abspielen, fast wörtlich zu verstehen ist: “Jemand kann nur einen anderen vom Ertrinken retten, wenn er selbst schwimmen kann. Wenn ich aber als Nichtschwimmer jemanden vorm Ertrinken retten will, gehen wir beide unter.”
In diesem Punkt waren sich die Religionsvertreter einig: Es gelte sowohl den Flüchtlingen durch Aufnahme und Integration in bestehende Systeme zu helfen, als auch den Wert des Selbstschutzes der Gemeinschaft zu bewahren. “Es gibt Grenzen der Hilfeleistung, es geht ja nicht an, dass wir unser Gemeinsystem so sehr belasten, dass wir keine Hilfe mehr leisten können”, sagt Pater Hofmann.
Geschwister im Glauben
Neben den Diskussionen zur Flüchtlingskrise war das Treffen des ILC in Warschau ein weiteres Element im jüdisch-katholischen Dialog, der sich innerhalb der vergangenen 50 Jahre zu einer verlässlichen inter-religiösen Beziehung gestaltet hat. Das Besondere am Dialog sei die theologische Basis, meint Pater Hofmann: “Ein Christ kann kein Antisemit sein, weil ein Christ jüdische Wurzeln hat, das hat Papst Franziskus ganz richtig so formuliert. Christen sind aus dem Judentum gewachsen. Dieses Verhältnis gibt es zwischen anderen Religionen ja überhaupt nicht.” Kardinal Kurt Koch, einer der Vorsitzenden des ILC Treffens betonte, dass sich über die Jahre hinweg durch Begegnungen dieser Art zum einen Freundschaften zwischen den Teilnehmern und zum anderen ein “echtes Empfinden von Partnerschaft” zwischen den Gemeinschaften entwickelt habe. Heute sei “diese Freundschaft fast schon unauflöslich, fast unzertrennlich geworden”, so der Kardinal.
Das ILC bildet seit 1971 ein Dialogforum für die offiziellen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der weltweiten jüdischen Gemeinschaft. Alle zwei Jahre treffen sich Vertreter des Internationalen Jüdischen Komitees für interreligiöse Konsultationen (IJCIC), einer Dachorganisation aller wichtigen jüdischen Organisationen weltweit, und Vertreter der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum des Heiligen Stuhls im Namen des interreligiösen Dialogs. In diesem Jahr sind 25 Juden und 25 Katholiken aus der ganzen Welt in Warschau zusammen gekommen. Auf Vorschlag seitens der Juden habe man sich zum ersten Mal für Polen als Tagungsort entschieden. Dort seien nicht nur die jüdisch-katholischen Voraussetzungen gut, sondern auch, weil das Land insbesondere für Juden eine besondere Bedeutung habe: “Vor der Schoa haben hier so viele Juden gelebt. Von den sechs Millionen ermordeten Juden im Holocaust stammt allein etwa die Hälfte aus Polen”, erklärt Pater Hofmann. “Es gibt israelischen Tourismus hier, Schulklassen kommen her und besuchen Konzentrationslager. Polen ist für die Juden ein wichtiges Land, es war ihr Vorschlag, dem sind wir gern gefolgt.” Die Erklärung bekräftigt diese Entscheidung: Das Land sei ein “geeigneter Ort” für das Dialogforum gewesen, denn dort habe es “einige der wichtigsten und produktivsten Entwicklungen in der katholischen wie auch der jüdischen Kultur” gegeben, heißt es in der Erklärung.
Wo das folgende Treffen in zwei Jahren stattfindet, sei noch ungewiss. Der nächste große Event im jüdisch-katholischen Dialog steht dagegen schon fest: Anfang Juni treffen sich katholische und jüdische junge Erwachsene zur “Emerging Leadership Conference” in Jerusalem, um sich mit dem Thema “Religion und Politik” auseinanderzusetzen.