Nicht nur das Zweite Vaticanum war ein umstrittenes Konzil, erklärt Theologe

Konzilsväter auf dem Petersplatz im Oktober 1961
Peter Geymayer / Wikimedia (Gemeinfrei)

Angesichts der neuen Kontroverse um das Zweite Vatikanische Konzil und der andauernden Kirchenkrise hat ein Theologe gesagt, dass die Ökumenischen Konzilien in der Kirchengeschichte immer wieder für Konflikte gesorgt haben. Deren Auslegung des katholischen Glaubens sei jedoch durch den Heiligen Geist geschützt.

"Der Heilige Geist kann nicht mit sich selbst unvereinbar sein", sagte der Theologe John Cavadini gegenüber CNA. Gleichzeitig warnte er: "Falsch interpretiert, können die Aussagen eines ökumenischen Konzils mit früheren Lehren unvereinbar sein". Genau das ermögliche die neue Debatte über das Konzil besser zu verstehen mit Blick auf eine Klärung der umstrittenen Fragen.

Cavadini wurde 2009 von Papst Benedikt XVI. in die Internationale Theologische Kommission der Kirche berufen und ist auf die Geistesgeschichte des Christentums spezialisiert.

"Größere Klarheit im Denken"

Der Theologe sagte, dass kirchliche Dokumente manchmal der Klärung bedürften. Dies zu sagen sei jedoch nicht dasselbe wie die Behauptung einiger neuer Kritiker, ein Ökumenisches Konzil könne von sich aus Fehler enthalten oder diese Fehler lehren.

Das Zweite Vatikanische Konzil war eine maßgebliche, bis heute in ihrer Wirkung debattierte Versammlung der Bischöfe der katholischen Kirche. Das Ökumenische Konzil wurde 1962 bis 1965 in Rom abgehalten.

In der Geschichte der Kirche hat es 21 Ökumenische Konzilien gegeben. Bei diesen Versammlungen üben die Bischöfe unfehlbar "das oberste Lehramt zusammen mit dem Nachfolger des Petrus" aus, wie es der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt (KKK 861).

Das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt in Lumen Gentium zudem, dass Katholiken diesem Gehorsam zu leisten haben (LG 25).

Mehr in Welt

Der "Rauch Satans" und die Früchte des Konzils

Gleichzeitig ist gerade das Zweite Vatikanische Konzil von Anfang an Gegenstand massiver Meinungsverschiedenheiten gewesen.

Das Konzil wurde eigentlich einberufen, um die Kirche zu "erneuern" – allerdings im Sinne von instauratio – und um "größere Klarheit im Denken" zu erreichen in der Gegenwart einer säkularen Welt. So formulierte es Papst Johannes XXIII. am 25. Januar 1959. Inwiefern dies gelungen ist, daran scheiden sich Geister.

Seit dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils ist es zu einem jahrzehntelangen theologischen Projekt der Bischöfe der Kirche geworden, dieses auszulegen und umzusetzen.

Dies hat zu zahlreichen theologischen und pastoralen Initiativen geführt, aber auch zu Widersprüchlichkeiten, Verwirrungen und Spaltungen. Selbst der für den Abschluss des Konzils verantwortliche Papst Paul VI. hat bekanntlich mit der Krise der Kirche nach dem II. Vaticanum schwer gehadert: Es sei "durch irgendeinen Spalt der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen", so der damalige Pontifex laut Erzbischof Agostino Casaroli, "um die Früchte des Konzils zu verderben".

Jüngste Krisen verschärfen Debatte

Einige Katholiken, darunter Konzilsväter, waren bereits in den 1960er Jahren der Meinung, dass Versuche, die Sprache der Kirche zu "modernisieren" zu Unklarheit in wichtigen Fragen führte. Einige Kritiker des Zweiten Vatikanischen Konzils haben gesagt, dass die vom Konzil produzierten Dokumente stellenweise Fehler enthalten, die korrigiert werden müssen. Andere wiederum sagen, fragliche Passagen müssten zumindest geklärt werden. Viele andere wiederum haben nur die Auslegung des Konzils in den Jahrzehnten danach kritisiert – während sie die Dokumente und deren Wortlaut verteidigten. In einigen Fällen haben diese Debatten auch zu Brüchen in der Kirche geführt.

In den vergangenen Monaten haben sich diese Debatten über das Konzil selbst verschärft – und werden auch öffentlich ausgetragen. Dies liegt auch, aber nicht nur, an den jüngsten Krisen: Etwa den Missbrauchs- und Vertuschungsskandalen, oder die sich gegenseitig ausschließenden Interpretationen von Amoris Laetitia in der Weltkirche.

Ein weiterer Grund sind die jüngsten Aussagen von Erzbischof Carlo Maria Viganò. Mit einem Interview im Juni sowie weiteren Schreiben in jüngster Zeit hat sich der ehemalige Nuntius in den USA kritisch mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auseinandergesetzt. Diese Kritik wiederum hat unter einigen Gelehrten und amerikanischen Katholiken beträchtliche Aufmerksamkeit erregt. Das liegt einmal daran, dass Viganò weltweit einen hohen Bekanntheitsgrad durch seine Äußerungen über den Schlüsselskandal der Missbrauchs- und Vertuschungskrise erlangt hat: Den Fall Theodore McCarrick. Gleichzeitig hat mit Viganò ein ehemaliger hochrangiger Vatikan-Beamter das Konzil kritisiert, der von Papst Johannes Paulus und Papst Benedikt XVI. auf seine Ämter berufen worden war: Beides Päpste, die bekanntlich das Zweite Vatikanische Konzil maßgeblich unterstützten.

Viganòs Vorwürfe und Behauptungen  

Nicht zuletzt liegt es aber auch an der eigentlichen Kritik Viganòs: Der Erzbischof hat behauptet, dass auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil "feindliche Kräfte" durch eine "sensationelle Täuschung" die "Abdankung der katholischen Kirche" verursacht hätten.

Diese Thesen einfach als "Verschwörungstheorie" abzutun greift angesichts deren Rezeption und des Kontexts der aktuellen Kirchenkrise zu kurz.

Was also behauptet der Erzbischof? "Die Fehler der nachkonziliaren Zeit waren in den Konzilsakten nuanciert enthalten", glaubt Viganò. Er beschuldigt das Konzil – nicht nur dessen Auswirkungen – offenkundiger Irrtümer.

Viganò hat viele Katholiken mit seiner These erreicht, dass das Zweite Vatikanische Konzil ein massives, aber unsichtbares Schisma in der Kirche beschleunigt – und dadurch eine Art "falsche Kirche" neben der eigentlichen eingeführt habe.

Vergangenen Monat unterzeichneten einige Katholiken, darunter Priester, Persönlichkeiten aus den Medien und einige Gelehrte, einen Brief. Darin loben sie das Engagement Viganos zu diesem Thema und behaupten: "Ob das Zweite Vatikanische Konzil mit der Tradition versöhnt werden kann, ist die Frage, die diskutiert werden muss, und nicht eine gestellte Prämisse, die blind befolgt werden muss, auch wenn sie sich als der Vernunft zuwiderlaufend erweist. Die Kontinuität des Zweiten Vatikanischen Konzils mit der Tradition ist eine Hypothese, die geprüft und debattiert werden muss, nicht eine unumstößliche Tatsache".

Die Antwort auf Erzbischof Viganò und seine Unterstützer

Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.

Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.

Als Antwort auf Viganò schrieb der Theologe Cavadini im Juli, dass er einerseits sympathisiert mit den katholischen Frustrationen "hinsichtlich der offensichtlichen Verwirrung in der Kirche heute, der Abschwächung des eucharistischen Glaubens, der Banalität eines Großteils dessen, was liturgisch das Erbe des Konzils zu sein behauptet, usw.".

"Doch ist es fair, dem Konzil die Schuld zu geben und es als von Irrtümern durchsetzt zurückzuweisen? Würde dies nicht bedeuten, dass der Heilige Geist der Kirche erlaubt hat, in einen ungeheuren Irrtum zu verfallen, und darüber hinaus fünf Päpsten erlaubt hat, dies über 50 Jahre lang enthusiastisch zu lehren?" – fragte Cavadini.

"Hat das Zweite Vatikanische Konzil wirklich nichts Gutes hervorgebracht, das der Erwähnung wert wäre? Viganò erwähnt nichts. Es stimmt, dass seine liturgischen Reformen in den Vereinigten Staaten von Banalität beherrscht wurden. Da ist zum Beispiel die Einführung von Kirchenliedern ohne ästhetischen Wert, aber mit doktrinären Fehlern, besonders in Bezug auf die Eucharistie: Kirchenlieder, die genau die Katholiken entkatechisiert haben, die treu an der Sonntagsmesse teilnehmen", so der Theologe Cavadini.

Echte Früchte des Zweiten Vatikanischen Konzils

In afrikanischen Ländern andererseits habe er schöne Liturgien erlebt, die die Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils waren. Über eine solche Messe in Nigeria schrieb Cavadini: "Als die ganze Versammlung nach der Kommunion dreimal unisono rezitierte: 'O heiligstes Sakrament, o göttliches Sakrament, alles Lob und aller Dank sei in jedem Augenblick dein', schien es, als ob der Heilige Geist den tiefstmöglichen Appell an unsere Herzen richtete, in unsere Seelen hineinreichte und uns half, 'so zu beten, wie wir beten sollten'."

Der Theologe lobte auch die universalen Ruf zur Heiligkeit, die in Lumen Gentium, dem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche, enthalten ist. Das Konzil betonte, dass Heiligkeit oder Nähe zu Gott nicht nur die Domäne von Priestern und Ordensleuten ist, sondern die Domäne aller Menschen.

"Sie ist etwas, das mir so erhaben erschien, als ich es im Alter von 19 Jahren zum ersten Mal las, dass der Wunsch, ihr gerecht zu werden, bis heute nicht nachgelassen hat", schrieb er.

Cavadini katalogisierte weitere Aspekte des Zweiten Vatikanischen Konzils, von denen er sagte, dass sie wichtige theologische oder pastorale Äußerungen seien. Er sagte, dass Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, in denen die "Samen" theologischen Irrtums gepflanzt worden seien, einer Überprüfung nicht standhalten würden.

"Ist das II. Vaticanum ein schlechter Same? Oder ist das fragliche Samenkorn eher die einseitige Entscheidung von Theologen, einen Strang konziliarer Lehre auf Kosten anderer zu entwickeln? Ganz zu schweigen von Seelsorgern, die dem Anliegen, die christliche Lehre modernen Menschen zugänglich und verständlich zu machen, so hohe Priorität eingeräumt haben, dass sie deren eigentliche Einzigartigkeit als peinlich altmodisch herunterspielen", fragte er.

Debatten über Interpretation nichts Neues

Gegenüber CNA betonte Cavadini, dass bereits andere Konzilien der Kirchengeschichte falsch interpretiert wurden und Gegenstand gewaltiger Kontroversen waren. Im Fall des Konzils von Chalcedon etwa über mehrere Jahrhunderte, so der Theologe. "Dass Aussagen einer weiteren Interpretation bedürfen, das ist kein Alleinstellungsmerkmal dieses Konzils", so Cavadini.

Ein Beispiel dafür sei die Debatte über Dreifaltigkeit beim Ersten Konzil von Nicäa (325 nach Christus). Dieses Konzil erklärte in einer Diskussion über die Dreifaltigkeit, dass der Sohn mit dem Vater "von gleicher Substanz" ist (griechisch homoousios, lateinisch consubstantialis). "Es gab eine weit verbreitete Reaktion gegen diesen Ausdruck", sagte Cavadini gegenüber CNA, und zwar von Bischöfen und Theologen, die das mit der Irrlehre des Sabellianismus aus dem dritten Jahrhundert gleichsetzten, die vom Lehramt der Kirche verurteilt worden war.

"Hätten unsere Kritiker des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht diesen Begriff beanstandet? Und als Irrtum bezeichnet?" Im Zuge dieser Debatten sei der eigentlich vorbelastete Begriff jedoch mutig geklärt worden, so der Theologe. Inmitten der Bemühungen, ein Dokument zu interpretieren, sei die offizielle Klärung unklarer Formulierungen manchmal wichtig.

"Halbwahrheiten nicht akzeptieren"

In Glaubensfragen sei ein Ökumenisches Konzil vor Irrtümern gefeit, fügte er hinzu, "aber das bedeutet nicht, dass alles so klar und gut ausgedrückt wurde, wie es hätte sein können oder sein sollte, denn der Heilige Geist garantiert das nicht – sondern nur, dass die Kirche in ihrer maßgeblichen Lehre vor offenkundigen Irrtümern bewahrt wird."

Cavadini rief dazu auf, dass Katholiken und vor allem kirchliche Führungspersönlichkeiten die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils ernsthaft lesen und daran arbeiten, die Texte in ihr Verständnis der Kirche einzubeziehen.

Die jüngste Kontroverse, so schrieb er, und Viganòs Brief hätten "zumindest den Verdienst, mich aus der Selbstgefälligkeit zu zwingen, Halbheiten im Umgang mit dem Konzil zu akzeptieren. Vielleicht finden sich auch andere mit mir im selben Boot wieder".

Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur.

Das könnte Sie auch interessieren: