Kommentar: Integrieren durch Sakramente?

Taufe, Firmung und Beichte: Drei der sieben Sakramente im berühmten Altarbild von Rogier van der Weyden, ca. 1440-1445.
Gemeinfrei via Wikimedia/Daderot

Kardinal Reinhard Marx spricht in einer aktuellen Stellungnahme von einer Seelsorge, die anspruchsvoll sei "nicht nur von Seiten der Seelsorger, der Priester, die hinführen zu den Sakramenten, auch integrieren durch die Sakramente", sondern "auch anspruchsvoll für den, der seine eigene Lebensgeschichte ehrlich anschaut und in das Sakrament der Versöhnung hineinnimmt".

Zur Klärung der Frage, was diese vieldeutige Aussage eines wichtigen Kirchenmannes in einer Zeit der Verwirrung für Seelsorger konkret bedeuten kann, ein paar Reflektionen von Pfarrer Christoph Sperling aus Oschersleben (Sachsen-Anhalt).  

Das Ziel der Seelsorge ist die Integration. Aber Integration wohinein? Das letzte und oberste Ziel aller Seelsorge ist das Heil der Seelen. Also: nicht die soziale Integration in bestimmte kirchliche Gruppen und Kreise, sondern die Integration durch den barmherzigen Gott in unsere Heimat, die neue Stadt Jerusalem, von der es heißt: "Ihre Tore werden den ganzen Tag nicht geschlossen – Nacht wird es dort nicht mehr geben. Und man wird die Pracht und die Kostbarkeiten der Völker in die Stadt bringen. Aber nichts Unreines wird hineinkommen, keiner, der Greuel verübt und lügt. Nur die, die im Lebensbuch des Lammes eingetragen sind, werden eingelassen." (Offb 21, 25-27; vgl. 1 Kor 6,9f)

Als ich einmal an einer Tankstelle an der Kasse stand, erzählte mir die Kassiererin, sie habe gerade die Krankensalbung empfangen. Ich fragte besorgt zurück, ob sie denn krank sei. "Nein", aber der Pfarrer habe "alle eingeladen" und gesagt, "jeder habe ja irgend etwas". Dies war sicher kein Beispiel für anspruchsvolle Seelsorge und gelungene Integration durch Sakramente. In Deutschland werden in jedem Frühjahr Zigtausende von Kindern zur heiligen Erstkommunion geführt, sie werden sozusagen durch das Sakrament der Eucharistie "integriert". Aber irgend etwas stimmt nicht. Denn viele Pfarrer und Gemeinden erleben, daß schon einen Sonntag später nur noch ein kleiner Bruchteil der "integrierten" Kinder zurückkehrt. Genauso sieht es mit der Firmung aus. Wir erleben eine Krise des Glaubens und eine Krise der Pastoral. Beides hängt zutiefst zusammen. Die Lösung besteht nicht in linguistischer Akrobatik oder Schlupflöchern der Barmherzigkeit, sondern darin "Gott wieder im Leben der Menschen gegenwärtig zu machen".[1]

Sakramente sind eben nur in einem ganz bestimmten, nämlich dem ihrem geistlichen Gehalt entsprechenden Sinn Mittel zur Integration. Sakramente sind in gewisser Hinsicht Medikamente. Aber nicht jedes Medikament nutzt jedem Kranken zu jeder Zeit, sondern Medikamente müssen entsprechend dem Zustand des Kranken und entsprechend ihrer besonderen Wirkweise angewendet werden. Das weiß jeder Arzt und weiß jede gute Mutter. Daher sind auch bei der Sakramentenspendung das Wesen und die Gnade jedes einzelnen Sakramentes genau zu berücksichtigen. 

Die deutschsprachige Arbeitsgruppe bei der letzten Bischofssynode hat nach Aussage der Teilnehmer besonders auch die Lehre des hl. Thomas von Aquin studiert, welcher nun ebenfalls in der päpstlichen Exhortation Amoris Laetitia mehrere Male zitiert wird.  Vielleicht haben die Bischöfe in Rom auch den Kommentar des Doctor Communis zum Kapitel 11 des Ersten Korintherbriefes gelesen. Dort erklärt der Kirchenlehrer die Warnung des hl. Paulus, das  Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn nicht unwürdig zu empfangen. Wir lesen: "Denn Gutes, das auf schlechte Weise empfangen wird, schadet, wie auch Schlechtes dem nützt, der es gut gebraucht" [2]. Die Worte des hl. Paulus in 1 Kor 11 lassen nichts an Deutlichkeit übrig. Auch das gute Sakrament der Eucharistie kann uns nämlich schaden: "Wer also unwürdig von dem Brot ißt und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn." (1 Kor 11, 27) Wenn nun mit Berufung auf das nachsynodale Schreiben des Papstes von "Integration durch Sakramente" die Rede ist, so ist im Einklang mit dem großen Kirchenlehrer aus Aquin eben dies zu beachten, daß Gutes nur dem nützt, der es gut gebraucht. Hier besteht eine große seelsorgliche Verantwortung der Hirten.

Nicht wenige Kommentatoren hierzulande und auf der ganzen Welt sind der Ansicht, in Amoris Laetitia gebe es eine gewisse Zweideutigkeit. Wenn dies der Fall ist, dann ist aber auch evident, daß das, was unklar ist, interpretiert werden muß durch das, was klar ist. Wenn jemand im objektiven Zustand des Ehebruches lebt, so kann die Aufforderung des Papstes zur pastoralen Unterscheidung, Begleitung und Integration nur gemäß der Wahrheit der einzelnen Sakramente richtig verstanden und umgesetzt werden. Im Text von Amoris Laetitia ist in bezug auf die betreffende Personengruppe gar nicht vom Empfang der hl. Kommunion die Rede. Und überhaupt ist hier vom Sakramentenempfang nur in der berühmten "smoking footnote" 351 die Rede, an die der Papst sich nach eigener Aussage nicht erinnern kann.

So wird sich der verantwortungsbewußte Seelsorger auch in Zukunft daran orientieren, was z.B. der hl. Johannes Paul II noch 2003 in seiner Abschiedsenzyklika "Ecclesia de Eucharistia" im Einklang mit Glaube und Tradition für damals, für heute und für immer genau formuliert hat:

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"In diesem Sinn hält der Katechismus der Katholischen Kirche mit Recht fest: »Wer sich einer schweren Sünde bewußt ist, muß das Sakrament der Buße empfangen, bevor er die Kommunion empfängt«. Ich möchte deshalb bekräftigen, daß in der Kirche die Norm gilt und immer gelten wird, mit der das Konzil von Trient die ernste Mahnung des Apostels Paulus (vgl. 1 Kor 11, 28) konkretisiert hat, indem es bestimmte, daß dem würdigen Empfang der Eucharistie »die Beichte vorausgehen muß, wenn einer sich einer Todsünde bewußt ist«." 

Daß jemand, der objektiv im Stand der Todsünde lebt, subjektiv aufgrund vielfältiger Umstände weniger schuldig sein kann, ist klassische Lehre der Kirche. Diese tröstliche Wahrheit mahnt uns, niemanden zu verurteilen, auch wenn wir sein Verhalten als objektiv dem Gebot Gottes widersprechend beurteilen müssen. Auch jemand, dessen subjektive Schuld am Ehebruch unserem Eindruck nach erheblich gemindert ist, kann aber, solange der Zustand fortdauert, die hl. Kommunion nicht empfangen. Denn es geht hier nicht nur um die subjektive Lage des Betroffenen, die letztlich nur Gott selbst vollends beurteilen kann, sondern um einen objektiven Widerspruch, wie Johannes Paul II in klaren Worten erläutert: "Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung." (Familiaris Consortio, 84)

Nicht wir erlösen die Welt, sondern Er. Nach Jesu hartem Wort über die Schwierigkeit, daß ein Reicher in das Himmelreich gelangt, fragen die Jünger: "Wer kann dann noch gerettet werden?" Und Jesus antwortet: "Was für Menschen unmöglich ist, ist für Gott möglich."

So dürfen wir uns im Hl. Jahr der Barmherzigkeit auf der Suche nach einer "anspruchsvollen Seelsorge" daran erinnern, daß wir zwar nach den Worten Jesu barmherzig sein sollen, wie es unser Vater ist, daß es aber am Ende nicht wir sind, die durch falsch verstandene "Integration" die Menschen erlösen, sondern daß es der barmherzige Vater selbst ist, dem wir auch die vielen Menschen hoffnungsvoll anvertrauen dürfen, für die wir in unserer liebevollen und einfühlsamen pastoralen Begleitung keine schnelle Lösung finden können. Er erlöst die Welt, nicht wir. Und bei Ihm ist alles möglich. (vgl. Mk 10, 27) Die wirklich anspruchsvolle Seelsorge wird sich daran erinnern.

 

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[1] Kard. Robert Sarah, in "L’Afrique, la nouvelle patrie du Christ", S. 19.

[2] Ita enim bonum male sumptum nocet, sicut prodest malum quo quis bene utitur…

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