Montreal - Dienstag, 1. Dezember 2020, 9:44 Uhr.
Die Erzdiözese Montreal hat es wiederholt versäumt, Beschwerden über das Fehlverhalten eines ehemaligen Priesters nachzugehen – bis festgestellt wurde, dass er an sexuellem Missbrauch von Minderjährigen beteiligt war.
Außerdem hatte der Priestern mehrere sexuelle Beziehungen mit jüngeren Männern, in denen es zu Missbrauch kaum – und welche die Verantwortlichen jedoch ignorierten oder unzureichend ahndeten – so das Ergebnis eines von der Kirche angeordneten, unabhängigen Untersuchungsberichts.
Der Report wurde von Pepita G. Capriolo, einer ehemaligen Richterin des Obersten Gerichtshofs von Quebec, verfasst. Die Erzdiözese Montreal hat den Capriolo-Bericht auf ihrer Website veröffentlicht, wie die "Catholic News Agency" berichtet, die englischsprachige Schwesteragentur von CNA Deutsch.
Der Erzbischof entschuldigte sich bei den Opfern und begrüßte die mehr als 30 Empfehlungen des Berichts "in Demut und mit einem tiefen Gefühl des Bedauerns".
"Im Namen der katholischen Kirche von Montreal und in meinem eigenen Namen möchte ich den Opfern, Angehörigen und Pfarrgemeinden sagen, wie sehr wir es bedauern, dass Sie die Auswirkungen solch schrecklicher krimineller Taten erlebt haben, die nie und nimmer passieren sollten", sagte Erzbischof Christian Lépine, als der 276-seitige Bericht am 25. November veröffentlicht wurde.
Anfang 2021 wird eine statistische Prüfung der Bistumsakten bis zum Jahr 1940 beginnen. Sie zielt darauf ab, Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker zusammenzustellen.
Der Täter im Fall des Capriolo-Reports, ein Priester namens Brian Boucher, wurde im Januar 2019 wegen des sexuellen Missbrauchs zweier Jungen verurteilt. Der Kinderschänder konnte jahrelang ungehindert als Pfarrer arbeiten, weil das Erzbistum nichts unternahm – so die bittere Bilanz des Untersuchungsberichts der unabhängigen Richterin.
Kurienkardinal Marc Ouellet und der verstorbene Kardinal Turcotte gehörten laut "CBC News" zu den Verantwortlichen, die zumindest teilweise über Bouchers Fehlverhalten informiert waren
Ouellet war Leiter des Priesterseminars, in dem Boucher Seminarist war.
Bouch wurde bereits im Priesterseminar mehrfach "auffällig", so der Capriolo-Report. Er war unhöflich, aggressiv und hatte Ende der 1990er Jahre "eine sehr enge und besorgniserregende Beziehung zu einem kleinen Jungen". Diese Beziehung wurde jedoch nie untersucht.
In einem anderen Fall verbrachte Boucher eine ganze Nacht mit einem 18-jährigen Studenten aus Mexiko. Die Männer rauchten Cannabis und betranken sich, bis der junge Mann ohne Schuhe mitten in einem Schneesturm aus dem Pfarrhaus floh, weil der Priester gegen ihn einen sexuellen Annäherungsversuch unternommen hatte.
Im Jahr 2003 hatte Boucher eine "körperlich missbrauchende" Beziehung mit einem 19 Jahre alten Mann, so der Report weiter. Der Priester wurde zu einer psychologischen Behandlung geschickt – aber es wurden keine disziplinarischen Maßnahmen ergriffen.
Zu einer Untersuchung kam es schließlich im Jahr 2015, nachdem Boucher behauptet hatte, selber Opfer eines homosexuellen Missbrauchs durch einen viel jüngeren Priester gewesen zu sein.
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Die Ermittlungen ergaben, dass Boucher der Täter war, und den jungen Mann sexuell missbraucht hatte. Der damalige Weihbischof Thomas Dowd leitete die Untersuchung, die zu dem Schluss kam, dass es zudem "mindestens zwei minderjährige Opfer" gab.
Das Ausmaß des Versagens der Bischöfe und ihrer Ordinariate im Umgang mit dem Fall Boucher erschüttert die Kirche in Quebec in ihren Grundfesten. Katholiken wie Kurt Reckziegel fordern laut der "Canadian Broadcasting Corporation" (CBC) nun den Rücktritt Verantwortlicher.
"Ich muss Ihnen sagen, dass ich überwältigt bin von dem, was Richterin Capriolo zusammengestellt hat", sagte Reckziegel laut CBC. Der Katholik gehört zur Pfarrei Unserer Lieben Frau von der Verkündigung in der Stadt Mount Royal, wo Boucher von 2005 bis 2014 als Pfarrer tätig war.
"Ich bin traurig. Es ist unfassbar", sagte Reckziegel dem Rundfunksender. Der Katholik und weitere Gemeindemitglieder hatten sich bereits vor Ankunft Bouchers in der eigenen Pfarrei mit Kirchenvertretern getroffen: So weit verbreitet waren die – begründeten – Gerüchte über dessen "kontrollierende Persönlichkeit, autoritären Führungsstil und Nähe zu jungen Buben". Die Bedenken wurden vom Erzbischöflichen Ordinariat zurückgewiesen.
Für das Verhalten der Bischöfe und ihrer Verwaltung habe er keinerlei Verständnis, so Reckziegel. Er – wie so viele entsetzte Katholiken in Kanada, aber auch in änhlichen Fällen weltweit – fordern personelle Konsequenzen. Unterdessen sitzt Boucher für acht Jahre in Haft.
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