Am 1. Oktober 1986 hat die Glaubenskongregation ein Schreiben an die Bischöfe der Weltkirche publiziert, von Präfekt Joseph Kardinal Ratzinger verfasst und von Johannes Paul II. autorisiert, in dem Weisungen für die Seelsorge vorgelegt werden, die homosexuell veranlagte Menschen betrifft. Die Weltkirche antwortete damit auf aktuelle Debatten und Gegebenheiten in den 1980er-Jahren. Forschungsergebnisse anderer Wissenschaften finden dabei Berücksichtigung.

Kardinal Ratzinger legt dar: „Der Standpunkt der katholischen Moral fußt auf der menschlichen Vernunft, die durch den Glauben erleuchtet und von der bewußten Absicht geleitet ist, den Willen Gottes, unseres Vaters, zu erfüllen. Auf diese Weise befindet sich die Kirche zum einen in der Lage, von den wissenschaftlichen Forschungsergebnissen lernen zu können, zum anderen aber auch, deren Gesichtskreis zu übersteigen. Sie ist sich dessen sicher, daß ihre umfassendere Sicht die komplexe Wirklichkeit der menschlichen Person achtet, die in ihren geistigen wie körperlichen Dimensionen von Gott geschaffen und dank seiner Gnade zum ewigen Leben berufen ist.“

Die homosexuelle Disposition sei, so der Präfekt, nicht „in sich sündhaft“, wie die Kirche lehre, werde aber als „objektiv ungeordnet“ angesehen. In Abschnitt 6 des Dokuments verweist Kardinal Ratzinger auf die Erschaffung des Menschen und das christliche Menschenbild: „Die Schöpfungstheologie, wie sie im Buch Genesis vorliegt, bietet für das angemessene Verstehen der durch die Homosexualität aufgeworfenen Probleme den grundlegenden Gesichtspunkt. In seiner unendlichen Weisheit und in seiner allmächtigen Liebe ruft Gott alles ins Dasein, als Ausdruck seiner Güte. Er erschafft den Menschen als Mann und Frau nach seinem Abbild und Gleichnis. Deshalb sind die Menschen Gottes Geschöpfe und dazu berufen, in ihrer geschlechtlichen Bezogenheit aufeinander die innere Einheit des Schöpfers widerzuspiegeln. Sie tun dies in einzigartiger Weise in ihrer Mitwirkung mit ihm bei der Weitergabe des Lebens, und zwar im Akt des gegenseitigen Sich-Schenkens in der Ehe.“

Der Apostel Paulus stellt in seinen Briefen zudem das homosexuelle Verhalten – somit also Praktiken in der antiken Lebenswelt und -wirklichkeit – „als ein Beispiel für die Blindheit hin, welche die Menschheit übermächtigt hat“. Die Kirche ist an die Heilige Schrift gebunden. In dem Sinne wird festgehalten: „Die Kirche, die ihrem Herrn gehorsam ist, der sie gegründet und ihr das sakramentale Leben eingestiftet hat, feiert den göttlichen Plan der Liebe und der Leben schenkenden Vereinigung von Mann und Frau im Sakrament der Ehe. Einzig und allein in der Ehe kann der Gebrauch der Geschlechtskraft moralisch gut sein. Deshalb handelt eine Person, die sich homosexuell verhält, unmoralisch.“

Nur in der „komplementären Vereinigung“, die einzig in der sakramental geschlossenen Ehe von Mann und Frau ihren Platz hat, mit der Weitergabe des Lebens verknüpft ist und der Selbsthingabe entspricht, besteht, so Ratzinger, das „Wesen christlicher Liebe“. Die kirchliche Morallehre diene der recht verstandenen „Freiheit und Würde des Menschen“.

Der Präfekt der Glaubenskongregation spricht 1986 gesellschaftliche Trends und Meinungen an, ebenso den „enormen Druck“, der auf die Kirche ausgeübt würde, diese Formen der Sexualität und Partnerschaft zu legitimieren. Zugleich schreibt er: „Auch innerhalb der Kirche hat sich eine Tendenz entwickelt, die, von Pressionsgruppen mit unterschiedlichen Namen und verschiedenem Umfang gebildet, den Eindruck zu erwecken sucht, als ob sie sämtliche homosexuelle Personen, die katholisch sind, vertreten würde. Tatsächlich sind jedoch ihre Anhänger zumeist auf jene Personen begrenzt, die entweder die Lehre der Kirche nicht kennen oder sie irgendwie zu untergraben suchen.“ Auch dieser Gefahren wegen wird insbesondere eine aufmerksame Seelsorge für homosexuelle Menschen gefordert.

Jede Form der Diskriminierung gegenüber homosexuellen Personen wird scharf verurteilt: „Es ist nachdrücklich zu bedauern, daß homosexuelle Personen Objekt übler Nachrede und gewalttätiger Aktionen waren und weiterhin noch sind. Solche Verhaltensweisen verdienen, von den Hirten der Kirche verurteilt zu werden, wo immer sie geschehen. Sie bekunden einen Mangel an Achtung gegenüber anderen Menschen, der die elementaren Grundsätze verletzt, auf denen ein gesundes staatliches Zusammenleben fußt. Die jeder Person eigene Würde muß nämlich immer respektiert werden, und zwar in Wort und Tat und Gesetzgebung.“ Zugleich wird daran erinnert, dass ein Leben in Keuschheit geboten sei – wie dies für alle unverheirateten Christen gelte.

Kardinal Ratzinger formuliert weiterhin: „Was sollen demnach homosexuelle Personen tun, die dem Herrn folgen wollen? Grundsätzlich sind sie dazu aufgerufen, den Willen Gottes in ihrem Leben zu verwirklichen, indem sie alle Leiden und Schwierigkeiten, die sie aufgrund ihrer Lage zu tragen haben, mit dem Kreuzesopfer Christi vereinigen. Für den Glaubenden ist das Kreuz ein segenbringendes Opfer, weil aus jenem Tod Leben und Erlösung erstehen. Auch wenn jeder Aufruf, das Kreuz zu tragen oder das Leiden eines Christen in dieser Weise zu verstehen, voraussichtlich von einigen belächelt werden wird, sei daran erinnert, daß dies der Weg zur Erlösung für all jene ist, die Christus nachfolgen.“ Diese Pastoral soll im Einklang mit der Lehre der Kirche stehen: „Nur das Wahre kann letzten Endes auch pastoral sein. Jeder aber, der die Position der Kirche mißachtet, verhindert, daß homosexuelle Männer und Frauen jene Sorge erfahren, derer sie bedürfen und auf die sie ein Recht haben.“

Joseph Ratzinger erinnert an die biblische Anthropologie und lädt zu einem vertieften Nachdenken darüber ein, um die Fixierung auf die Sexualität, die in der Gesellschaft vorherrscht, zu überwinden und die Würde der Person stärker zu achten: „Die menschliche Person, die nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, kann nicht adäquat beschrieben werden, wenn man sie auf ihre geschlechtliche Ausrichtung eingrenzt. Jeder Mensch auf dieser Erde hat persönliche Probleme und Schwierigkeiten, aber auch Möglichkeiten zu wachsen, Fähigkeiten, Talente und eigene Gaben. Die Kirche bietet den gerade heute empfundenen dringend nötigen Zusammenhang für die Sorge um die Person des Menschen an, wenn sie sich weigert, eine Person ausschließlich als ‚heterosexuell‘ oder ‚homosexuell‘ einzustufen, und darauf besteht, daß jeder Person dieselbe fundamentale Identität zukommt: Geschöpf zu sein und durch die Gnade Kind Gottes, Erbe des ewigen Lebens.“

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