Den Titel seines Buches, „Der Dritte Weltkrieg. Das Undenkbare denken“ versteht Jamal Qaiser als Plädoyer für den Frieden. Spannend formuliert und historisch fundiert geht er in dem Buch der Frage nach, wie es gelingen kann, die Menschheit vor einem Dritten Weltkrieg zu bewahren.

Jamal Qaiser ist ein pakistanisch-deutscher Buchautor, Unternehmer, Politikberater, Friedensaktivist und UN-Beauftragter des Diplomatic Council. Wir erwähnten es in dem Interview der letzten Woche bereits, dass er im Alter von acht Jahren mit seiner Familie von Pakistan nach Deutschland zog.

In seinem Buch werden aktuelle Gefahrenquellen beleuchtet und gangbare Lösungswege aufgezeigt.

In Ihrem Buch weisen Sie ja auch darauf hin, das die Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurden, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern, und Papst Franziskus sprach wiederholt von einem Dritten Weltkrieg in der globalisierten Welt, der stückweise ausgetragen wird und in dem die wachsende Zahl von Konflikten zwar nur bestimmte Gebiete des Planeten direkt betrifft, aber in Wirklichkeit alle. Sind wir nicht schon mitten drin im Dritten Weltkrieg?

Ich meine, was wir sagen können, ist, dass wir dem Dritten Weltkrieg sehr nahe sind. Und indirekt sind wir in viele Kriege verwickelt, angefangen mit dem Arabischen Frühling und davor dem Afghanistan-Krieg und sogar den Drohnenangriffen auf Pakistan und den Irak. Wenn wir zurückblicken, gibt es eine Menge Kriege, die passiert sind. Aber ich denke, die kritische Situation dieses Mal ist, dass es ein Krieg in Europa ist. Es gab zwar zuvor einen Krieg in Europa in Jugoslawien, dem ehemaligen Jugoslawien, aber es gab keine Bedrohung gegen Russland.

Jetzt befinden wir uns also im Krieg. Das habe nicht ich, sondern die deutsche Außenministerin gesagt, dass wir uns im Krieg gegen Russland befinden. Und die Russen tun auch so, als wenn das so wäre. Sie denken, dass wir einen Krieg gegen sie führen. Und sie erinnern sich an die Geschichte, das nämlich von unserem Teil der Welt aus, von unserer Seite aus, im Zweiten Weltkrieg etwa 27 Millionen Menschen durch unseren Krieg, den Zweiten Weltkrieg, getötet wurden, was wir auch nicht vergessen sollten.

Also ja, wir haben einen Krieg in Europa, in der Ukraine, einen – in gewisser Weise – Stellvertreterkrieg von Amerika und Russland. Beide Supermächte verfügen über eine Menge nuklearer Arsenale. Also wir werden sehen, was dabei herauskommt. Wir leben in einer gefährlichen Welt.

Papst Franziskus sagte 2015 während seines USA-Besuchs vor dem Kongress, dass der blutgetränkte Waffenhandel die Wurzel des Übels sei, die Ursache für Krieg. Geht es nicht auch jetzt im Ukraine-Krieg in erster Linie um Waffenhandel, Profitgier und Macht, oder um was geht es Ihrer Meinung nach?

Ich denke, dass es im Ukraine-Krieg nicht nur um Gier und Geld geht, sondern eher um imperialistische Weltpolitik. Ich denke, Russland will wieder eine Supermacht werden und sucht nach Wegen, um diese Stärke zu erreichen, um eine imperialistische Weltpolitik zu betreiben. Und sie haben die Petro-Dollars satt und die imperialistische amerikanische Politik. Aber was sie tun, verstößt definitiv gegen die internationale Charta und internationales Recht. Sie hatten kein Recht, in ein Land einzumarschieren. Auch wenn sie mit Schwierigkeiten in der Vergangenheit zu kämpfen hatten, viele Dinge passiert sind, wie die Putsche und Probleme im Jahr 2008 und 2014. Aber was auch immer geschah, sie hatten trotzdem nicht das Recht, in ein Land einzumarschieren.

Das war definitiv unrecht. Und ich würde Russland als Aggressor bezeichnen, daran besteht kein Zweifel. Aber wir sollten auch, wenn wir die Gesamtsituation beurteilen wollen, sehen und verstehen, was wir falsch gemacht haben, dass die Situation so schlimm wurde. Wir müssen die Fehler also auch bei uns selbst suchen. Und dann wird es einen Ausweg geben, wie wir den Krieg beenden können. Aber indem wir verkünden, dass wir die Gewinner sein werden und Russland der Verlierer, und das der Weg sei, den Krieg zu gewinnen? Ich denke, das ist wirklich lächerlich und widerwärtig. Das wird uns nicht helfen.

Auf der anderen Seite hat Russland wirtschaftlich gesehen viele Freunde gewonnen. Wenn Sie die Philippinen sehen, wenn Sie sehen, wie Indien mit ihnen Handel treibt, und wenn Sie China sehen, wie China sich auf den Pakt zubewegt, und wenn Sie sehen, wie die Araber mit ihnen den Petro-Dollar verlassen und in den Yuan-Handel einsteigen. Also viele Dinge verändern sich in der Weltpolitik. Aber solange der Krieg andauert, denke ich, können wir von der westlichen Seite aus keine sehr intelligente Weltpolitik betreiben. Wir wollen stärker als Russland bleiben. Wir wollen unsere Wurzeln erhalten, aber dieser Krieg hilft uns definitiv nicht weiter.

Und auf der anderen Seite, wenn wir sehen, dass das Land angegriffen wird und es sich verteidigen muss, dann müssen wir ihm auf jeden Fall helfen. Wir können nicht einfach sagen, da ist ein Land, das gerade angegriffen wurde, und sie töten Kinder, Frauen, Männer und Soldaten. In einem demographisch wirklich sehr schwachen Europa töten sie so viele Soldaten und wir sitzen einfach daneben und sagen, wir warten, bis Russland alle Männer dort drüben getötet hat. Das ist auch widerwärtig und dumm. Die NATO muss den Krieg beenden, und die Beendigung des Krieges kann nur durch Diplomatie und nicht die Entsendung weiterer Truppen herbeigeführt werden.

Viele Medien in Deutschland verbreiten die Meldungen, dass man Russland nicht einfach als Nachbar sehen darf, sondern als Feind. Ist es nicht unklug und dient in keinem Falle dem Frieden, wenn man sich das Land, das gleich hinter Polen beginnt und auf der anderen Seite bis nach China reicht – und ich bezeichne Russland, genau so wie die Ukraine, als Nachbarländer –, dass man sich den Nachbarn zum Feind macht? Amerika ist so gesehen sehr weit entfernt von „unserem“ so oft als Feind titulierten Nachbarn?

Nun, da haben Sie recht, aber wir sollten trotzdem nicht vergessen, ich meine, selbst wenn Ihr Nachbar ein Krimineller ist, müssen Sie ihn aufhalten. Wissen Sie, in meiner Religion, dem Islam, lehrt man uns zum Beispiel drei Stufen der Moral. Die erste ist, wenn du die Macht hast, musst du hingehen und ihn mit deiner Hand aufhalten. Also, du musst das Militär dorthin schicken und niemand wird getötet, zum Schutz der Menschen. Wenn du die Macht dazu hast. Wenn du nicht die Macht dazu hast, musst du deine Stimme erheben und sagen, dass diese Aggression falsch ist. Und sprich so laut wie möglich. Wenn du nicht einmal das tun kannst, dann ist die dritte Stufe einfach der Gedanke in deinem Gewissen, dass das, was jemand tut, schlecht ist.

Vielleicht haben wir nicht die Macht, den Krieg zu beenden, aber wir sollten zuallererst erkennen, dass unser Nachbar etwas sehr Schlimmes tut, kein Zweifel daran. Aber die Sache ist die: Was wir nicht tun, nämlich nicht mit ihm sprechen. Wir gehen einfach in die Ukraine und kommen zurück und provozieren alles noch viel mehr. Das ist nicht die Lösung. Wir müssen Stärke zeigen, aber wir müssen auch kommunizieren und wir müssen einen Ausweg finden, denn die Amerikaner werden früher oder später aus dem Krieg aussteigen und dann sind sie weg. Wie Sie gesagt haben, sind die USA weit weg, aber wir müssen mit diesen Menschen, unseren Nachbarn, auch zukünftig leben.

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Unsere europäische Außenpolitik sollte also so selbstbewusst sein, dass wir auch den Amerikanern sagen: Hört zu, wir sind an diesem Punkt und jetzt beenden wir den Krieg und machen nicht alles, was die Amerikaner mit diesem Land machen wollen. Wir müssen also versuchen, die Gerechtigkeit auf beiden Seiten zu wahren. Wir müssen Stärke gegenüber der NATO-Seite zeigen und wir müssen Stärke der russischen Seite gegenüber zeigen, um der beste Vermittler zu sein, um den Krieg zu beenden.

Beste Vermittler werden jetzt benötigt, und der Vatikan bzw. der Papst könnte sich als solcher entpuppen. Wie ich eingangs erwähnte, beteiligt sich der Vatikan zur Zeit an einer Friedensmission, um den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu beenden. In diesem Zusammenhang, auch wenn es offiziell nicht in den Zusammenhang gestellt wird, ist es möglicherweise ein gutes Zeichen, dass der Vatikan und das orthodoxe Moskauer Patriarchat, die nach den Irritationen wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine ihren Dialog „eingefroren“ hatten, diesen wieder fortsetzen.

Am 3. Mai traf der Außenamtschef der russischen Kirche, Metropolit Antonij, mit dem Leiter der Vatikanbehörde für die Ostkirchen zusammen. Am Ende einer päpstlichen Audienz begrüßte der Metropolit den Papst und führte ein kurzes Gespräch mit ihm. Papst Franziskus küsste, wie bei solchen Begegnungen üblich, das Medaillon der Ikone der Mutter Gottes, das orthodoxe Metropoliten tragen. Anschließend überreichte der Papst dem Metropoliten eine Pontifikatsmedaille, während Metropolit Antonij ihm im Gegenzug eine Muttergottes-Ikone in einem Etui überreichte.

Original-Interview aufgenommen in Wiesbaden von Kamerafrau Patricia Peschken | Deutscher Sprecher: Jan Terstiege | Redaktionelle Bearbeitung, Übersetzung, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN und CNA Deutsch.

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