"Von Johannes XXIII. zu Franziskus haben sich die Beziehungen zum Judentum verbessert"

Der heilige Johanns Paul II. umarmt Elio Toaff, den damaligen Chefrabbiner Roms, am 13. April 1986
L'Osservatore Romano

Vor fünfzig Jahren hat sich die Art und Weise, wie die katholische Kirche mit anderen Religionen in Beziehung tritt, für immer verändert, als die Erklärung des Zweite Vatikanische Konzil Nostra Aetate eine nie da gewesene Welle der Zustimmung auslöste – eine Revolution, die seither mit jedem Papst neuen Aufschwung erfahren hat, wie ein Rabbi sagte.

Mit dem Hl. Johannes XXIII. kam die Revolution. Ihm gebührt das Urheberrecht“ so Rabbi David Rosen zu CNA in einem Interview vom 28. Oktober.

Er hat wirklich die Beziehungen von einst verändert, als die Juden als Personen angesehen wurden, die keine Integrität und eigene Legitimität besitzen“ sagte er. Statt bestrebt zu sein, dass durch Schuldzuweisung und Leiden die Juden das Christentum stützen, hat dieser Heilige die Sichtweise verändert.

Wenn die Juden Johannes XXIII. heiligsprechen hätten können, so hätten sie es wahrscheinlich weit vor der katholische Kirche getan.“

Rosen ist internationaler Direktor für interreligiöse Fragen beim Amerikanisch-Jüdischen Komitee und Mitglied des Großrabbinats von Israel. Ebenso gehört er der Komission des Heiligen Stuhls für die Religiösen Beziehungen zum Judentum an.

Der Rabbi ist neben Vertretern anderer Religionen aus der gesamten Welt vom 26. bis 28. Oktober in Rom, anlässlich der Konferenz zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Veröffentlichung von Nostra Aetate, der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.

Gefördert vom Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog und der Päpstlichen Kommission für die Religiösen Beziehungen zum Judentum, soll die Konferenz als ein Moment interreligiösen Dialogs und interreligiöser Überlegungen dienen.

Als Nostra Aetate vom seligen Paul VI. am 28. Oktober 1965 veröffentlicht wurde, wurde zum ersten Mal explizit von Bischöfen ausgesprochen, dass die Kirche „nichts von alledem ablehnt, was wahr und heilig ist“ in anderen religiösen Traditionen und die Katholiken aufgefordert nach „Gespräch und Zusammenarbeit“ mit den Anhängern anderer Religionen zu streben.

 

Ein "Geist der Bürderlichkeit"

Das Dokument veränderte vor allem die katholischen Beziehungen zur jüdischen Welt, prangerte „alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben“ an und erklärte man könne „die Ereignisse seines (= Christi) Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.“

In seiner Stellungnahme sagte Rosen, dass die Konferenz hervorragend verlaufen wäre und bislang „intensive und teilweise leidenschaftliche“ Diskussionen hervorgerufen hätte, ebenso einen starken Geist der Brüderlichkeit und der Einsatzbereitschaft zwischen den Religionen.

Unter den bei der Konferenz vertretenen Religionen sind Buddhismus, Hinduismus, Judentum, Jainismus und Sikhismus.

Diese Art der Zusammenkunft „war etwas, das vor Nostra Aetate definitiv nicht möglich war“ sagte der Rabbi. In der Menschheitsgeschichte gab es noch nie so viel Zusammenarbeit und Engagement der verschiedenen Glaubensrichtungen wie heute und es ist ein exponentiell wachsender Bereich“, was großenteils der Erklärung zu verdanken ist.

Wenn auch das Dokument einen bedeutsamen Fortschritt in der Verbesserung des Verhältnisses zwischen Juden und Katholiken dargestellt hat, so hatte dieser Prozess eigentlich schon vor dem Konzil durch von Johannes XIII. getätigte Schritte begonnen, sagte Rosen.

Vom „gute Papst“ weiß man, dass er Tausenden von Juden das Leben gerettet hatte, als er während des Zweiten Weltkriegs Apostolischer Delegat für die Türkei war, indem er gefälschte, aber echt aussehende Dokumente und Papiere anfertigte für jüdische Flüchtlinge, die nach Palestina zu fliehen versuchten. Er bildete ein Netzwerk aus anderen Kirchenvertretern und neutralen Politikern, die er anwarb, um ihm in seinen Bemühungen, die Juden zu retten und zu beschützen, zu helfen.

Während er Papst war, gewährte er ungefähr 120 Privataudienzen für jüdische Einzelpersonen und Gruppen, einschließlich Vertretern der Regierung Israels.

 

Gebete für die Bekehrung der Juden entfernt

In den ersten Jahren seines Pontifikats, das von 1958 bis 1963 dauerte, entfernte er mehrere Gebete aus den Feiern der Sakramente und aus liturgischen Zelebrationen, in denen Juden als für den Tod Christi verwantwortlich genannt werden, was die Abneigung gegen die Juden förderte oder aber das Beten für ihre Bekehrung.

Indem er das Zweite Vatikanische Konzil einberief, hat Johannes XXIII. den nötigen Raum geschaffen, in dem die Kirche ihr Verhältnis zu den anderen Religionen neu überdenken konnte, was schließlich in der Veröffentlichung von Nostra Aetate gipfelte.

Rosen merkte an, dass - obgleich auch der seligen Paul VI., der das Dokument publizierte, den Spuren Johannes XXXIII. gefolgt und auch als erster Papst ins Heilige Land gepilgert war - die Kirche vor allem unter dem Pontifikat von Johannes Paul II. in ihrer Beziehung zu den Juden einen „Riesenschritt nach vorne“ gemacht hat.

Dieser Schritt ist sowohl „der eigenen Lebensgeschichte Johannes Pauls II. geschuldet, als auch der Tragödie Polens, sowie der Tragödie des jüdischen Volkes, die er in seinem eigenen Fleisch und in seiner eigene Erfahrung erlebte“ erklärte der Rabbi.

Einer der engsten Kindheitsfreunde des polnischen Heiligen war der Jude Jerzy Kluger. Kluger war auch bei der Begegnung Johannes Pauls II. mit polnischen Bürgern in Rom, kurz nach seiner Wahl, anwesend.

Eines der ersten Treffen, die ein neu gewählter Papst hat, ist jenes mit Personen aus seinem Heimatland und der jüdische Freund des Heiligen durfte nicht fehlen.

Johannes Paull II. führt eine lange Bilanz erster päpstlicher Begegnugnen mit jüdischen Personen: 1979 war er der erste Papst, der nach Ausschwitz ging, um die Juden zu ehren, die in den Konzentrationslagern gestorben waren; 1986 betrat er als erster Papst eine Synagoge, was zuletzt im 1. Jahrhundert geschehen war; er war der erste Papst, der 1993 den Staat Israel anerkannte und der erste Papst der 1994 im Vatikan öffentlich an den Holocaust erinnerte. Auch war er der erste Papst, der einen langjährigen jüdischen Freund in einer päpstlichen Residenz als Gast aufnahm und ehrte.

Rosen wies besonders auf den Besuch des heiligen Johannes Paul II. in der Synagoge in Rom 1986 hin, sowie auf seine Wallfahrt ins Heilige Land und sagte, dass diese Besuche „in der Welt Bilder geschaffen haben, welche diese radikal neue Beziehung zu den Juden aufgezeigt haben, für die er eine große Leidenschaft besaß.“

Während Benedikt weiter auf das Erbe vom Hl. Johannes Paul II aufbaute „haben wir mit Papst Franziskus einen neuen Höhepunkt erreicht“ sagte der Rabbi.

 

"Papst Franziskus kennt die jüdische Gemeinde besser als seine Vorgänger"

Es hat in der Geschichte wohl seit dem ersten Papst, Petrus, noch nie einen Papst gegeben, der die jüdische Gemeinde so gut gekannt hat wie dieser als Erwachsener“ sagte er und verwies darauf, wie der damalige Erzbischof von Buenos Aires und spätere Kardinal Bergoglio oft Synagogen und jüdische Zelebrationen besuchte.

Was Papst Franzikus betrifft „haben wir es hier nicht mit jemandem zu tun, der nur vom Verstand her oder auch mit dem Herzen begreift, dass dies getan werden muss.“

Franziskus ist jemand, der es „in sich trägt, so als wäre ihm das Verständnis der jüdischen Realität in Fleisch und Blut übergangen - so verbunden ist er damit. Und das ist ganz eindeutig eine neue und bedeutsame Phase in dieser wunderbaren Veränderung unserer Beziehungen.“

Als Teil der Feierlichkeiten anlässlich des fünfzigsten Jahrestags von Nostra aetate hat Papst Franziskus seine Generalaudienz vom Mittwoch dem interreligiösen Dialog gewidmet.

Zusätzlich zur Katechese des Papstes zu diesem Thema waren als weitere Redner dieser Audienz unter anderem aufgetreten Kardinal Jean Louis Tauran, Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog und Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Wenn es um das Thema des Dialogs geht, so Rosen, akzeptiert er nicht, dass dieser nur ein „Mittel“ sei, sondern sieht den Dialog als „Wert an und für sich“.

Sich gegenseitig zu kennen ist unerlässlich, um sich gegenseitig zu lieben, wie wir berufen sind; und die Liebe ist es, die im Grunde die Welt verändert“ sagte er und fügte hinzu, dass Papst Franzikus´ Fokus im Bezug auf den Dialog sei, gemeinsam die Herausforderungen der heutigen Zeit anzugehen.

Als Beispiele führte er die Thematiken rund um die Umwelt und die Verteitdigung der Heiligkeit des menschlichen Lebens an als Bereich, in denen alle Religionen zum Wohl der Menscheheit zusammenarbeiten müssen.

Das sind Bereiche, in denen es so viel zu tun gibt und wir müssen immer mehr zusammenarbeiten, vor allem angesichts der schrecklichen Herausforderungen der wachsenden Gewalt, des Extremismus und der Immigration“ sagte er.