Partnersuche digital: Tod der Romantik oder praktisches Werkzeug?

Junge Frau mit Smartphone
Shutterstock / Danupol Noodam

Wie finde ich den oder die richtige? Heutzutage versuchen es viele per App – etwa "Tinder". Nicht alle digitalen Dienste machen dabei den potentiellen Partner zum Objekt für Sofortbefriedigung. Es kommt darauf an, auch bei Apps und Websites zu differenzieren, sagen Experten.

Junge Singles sind zu sehr damit beschäftigt, nach links und rechts über ihr Handy zu wischen und oberflächliche, vorübergehende Verbindungen aufzubauen, um echte Liebe mit echten Menschen zu finden. Die Romantik sei tot, behauptet die Autorin Nancy Jo Sales.

Was Tinder von den meisten anderen Dating-Apps oder Online-Dating-Erfahrungen unterscheidet, sind die Geschwindigkeit und der knappe Aufbau der App. Aufgrund eines Fotos, eines Vornamens und eines Alters allein entscheiden Benutzer, ob sie ein Profil nach links oder nach rechts wischen – es also ablehnen oder Interesse daran bekunden – wollen.

Mittels GPS-Tracking gibt die App den Benutzern sehr genau an, wie weit entfernt sich eine mögliche Übereinstimmung, ein mögliches Match, befindet und macht damit denen das Leben leichter, die nur auf der Suche nach einem flüchtigen Abenteuer sind.

Oberflächlichste Dating-App aller Zeiten?    

Die größte Kritik an Tinder? Es ist eine sehr oberflächliche App, die Menschen in schnell beurteilte Bedarfsartikel auf einem Bildschirm verwandelt.

In dem Artikel "Tinder: Die oberflächlichste Dating App aller Zeiten" von Pete Cashmore, erschienen im Jahr 2013 bei "The Guardian", erklärte der Autor den so genannten "Igitt-Faktor", den Tinder trotz eines gewissen trotz Suchtpotenzials im Vergleich zu der Dating-App Twine hat.

"Von beiden Apps scheint Tinder schlimmer, einfach weil es so verächtlich oberflächlich erscheint. Es gibt hunderte und abertausende von Frauen, über die man fast nichts weiß, und trotzdem beurteilt man sie durch ein einziges, spontanes Wischen. Es ist eine fingerschnipsende Hymne auf die augenblickliche Befriedigung im Smartphone-Zeitalter. Es macht süchtig."

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Matt Fradd ist ein bekannter katholischer Autor, Apologet und unter anderem Gründer von "The Porn Effect", einer Website mit dem Ziel, "die Realität hinter der Phantasie von Pornographie zu entlarven und Menschen darauf vorzubereiten, sich davon zu befreien." In seiner Arbeit hat der in den USA lebende Australier schon viele Geschichten gehört von jungen Menschen und ihrem Ringen, die Objektivierung von Menschen durch Pornographie zu überwinden.

Fradd, vierfacher Familienvater, findet CNA gegenüber sehr harte Worte für Tinder.

"Tinder ist für Leute, die lieber keine Prostituierte bezahlen wollen".

Er fügt hinzu: "Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Menschen diese App nicht benutzen, weil sie eine anständige Beziehung suchen".

Und tatsächlich geben ihm viele Nutzer Recht. In dem Artikel in der "Vanity Fair" sagte Alex, dass Dating-Apps Romantik verändert hätten in den Wettbewerb: "Wer hat mit den besten und den heißesten Mädchen geschlafen?"

"Man kann zwei oder drei Mädels an der Bar ansprechen und die beste davon aussuchen, oder einfach ein paar hundert Menschen pro Tag bei Tinder durchwischen – der 'Stichprobenumfang' ist dort um vieles größer", so Alex.

Der in den USA arbeitende Australier nimmt kein Blatt vor den Mund: "Pro Woche macht man in etwa zwei oder drei Tinder-Dates aus und die Chancen mit allen zu schlafen, stehen gut. Man könnte also im Jahr um die 100 Mädels flachlegen."

Auch wenn Fradd recht haben mag: Tinder müsse nicht immer nur auf diese Weise funktionieren, argumentieren Nutzer. Es sei durchaus möglich, durch die App Menschen zu finden, die auf ein gutes, altmodisches Rendezvous gehen wollen.

Das sagen die Tinder-Nutzer

Ross, ein Mittzwanziger, von Nebraska nach New York City gezogen und von klein auf Katholik, hat sowohl Dating-Apps als auch und Internetseiten zu einem je jeweils gleichen Teil ausprobiert. "Location, location, location" -- also der Ort, so sein Resümee, sei bei der Anmeldung bei Tinder wohl der wichtigste Faktor, ob man ein potentielles Date oder einen One-Night-Stand findet.

"Der Ort, an dem Du lebst, ist so entscheidend", betonte er gegenüber der CNA in einem E-Mail-Interview. "In Nebraska suchen Frauen über Tinder Freundschaften und ernste Beziehungen. Das machen sie wirklich … In New York wollen sie (die meisten) hingegen nur Ablenkung, Aufmerksamkeit und oder einen One-Night-Stand, aber keine Emotionen oder feste Bindungen."

Holly, ebenfalls Mitte 20, ist eine gläubige Katholikin, und wohnt in Kansas City. Sie erzählt, dass sie mit der App Erfolg hatte, ein Date zu finden – ein ziemlich ordentliches noch dazu.

"Ich hatte ein großartiges Tinder-Date. Zugegeben, es war mein bisher einziges Tinder-Date, aber wir sind danach sogar ein paar Mal miteinander ausgegangen, bevor Schluss war. Zu der Zeit hat Tinder mich ein bisschen wahnsinnig gemacht, aber ich habe dann kurzum beschlossen, mich einfach drauf einzulassen und insgesamt war es eine schöne Erfahrung".

Viele junge Menschen, die Tinder genutzt haben, argumentieren ebenfalls, dass die Kritik der "Oberflächlichkeit" von Tinder ein wenig übertrieben sei, wenn man bedenke, dass es auch beim Dating immer darum gehe, ob der potentielle Partner körperlich attraktiv ist oder nicht.

"Wo liegt der Unterschied, ob ich bei einem Typen, wenn ich ihn attraktiv finde, nach rechts wische und wenn nicht, nach links, oder ob ich einen Typen, anspreche, den ich an der Bar sehe und der mir gefällt? Wir fällen die ganze Zeit vorschnelle Urteile. Warum ist es plötzlich so viel schlimmer, wenn ich es online mache?", fragte Michelle, eine Mittzwanzigjährige und praktizierende Katholikin, die in Chicago lebt.

Sie hat auf jeden Fall die unheimlichere Seite von Tinder erlebt: Jungs haben ihr "Ranglisten" mit einer Skala von 1 bis 10 geschickt und noch andere, weniger freundliche Nachrichten. Trotzdem betonte sie, dass man ihrer Meinung nach die App als eine Möglichkeit nutzen könne, um vielleicht einige neue Menschen persönlich kennenzulernen und Empfehlungen zu bekommen, für Dinge, die man in der Stadt unternehmen könne.

"Ich denke, Tinder oder jede andere Dating-App sofort als 'Rummach-'App oder als eine sehr schlechte Sache abzustempeln, widerspricht der Annahme, dass die Dinge moralisch neutral sind", sagte Michelle.

"Genau wie Alkohol nicht von Natur aus schlecht ist, aber zum Bösen gebraucht werden kann, glaube ich auch nicht, dass Tinder von Natur aus böse ist. Ich denke auf jeden Fall, dass man Tinder nutzen kann, wenn man es gebraucht, um Menschen zu treffen – und nicht um nur mit ihnen rumzumachen."

Die Moralität von Tinder

Zugegeben: Es ist ein bisschen schwierig, jemanden in der katholischen Welt zu finden, der mit moralischer Autorität speziell zu Dating-Apps etwas sagen kann. Wegen der massiven Verbreitung von Smartphones, gefolgt von dem explosiven Anstieg von Dating-Apps, aber auch wegen des Zölibats haben nur sehr wenig Geistliche und Moral-Experten solche Dating-Apps eigentlich einmal selbst benutzt.

Auch Pater Gregory Plow, T.O.R., hat – er ist junger Priester und Mönch – noch nie Tinder benutzt. Aber täglich hat er als Direktor der Studentenwohnheime an der Universität der Franziskaner in Steubenville, Ohio mit jungen Menschen zu tun. Hunderte Studenten wohnen in den Unterkünften, die er leitet und betreut. 

Pater Plow findet, dass Katholiken drei Faktoren berücksichtigen sollten, um die Moral, die Sittlichkeit einer Handlung einzuschätzen – oder eben einer Sache wie Tinder.

"Immer, wenn es darum geht, die Sittlichkeit einer Handlung zu erkennen, die nicht ausdrücklich von der Lehre der Kirche definiert ist, müssen wir den den Gegenstand, die Absicht und die Umstände untersuchen", sagte er, und verwies auf Absatz 1757 des Katechismus der Katholischen Kirche.

"Was den 'Gegenstand' Apps im Allgemeinen und als Erfindung angeht, so ist dieser nicht an und für sich schlecht. Wie die meisten anderen Technologien, sind Apps grundsätzlich moralisch neutral", sagte er. "Apps besitzen jedoch die ganz bestimmte Eigenschaft, vergänglich zu sein, was sich auf die beiden anderen Komponenten - also Absicht und Umstände - auswirken kann, die Faktoren für die Beurteilung der Moral einer Handlung sind."

Die vorübergehende, oberflächliche Natur des Wischens aufgrund eines einzelnen Bildes bei Tinder könne moralisch gefährlich werde, wenn dieselbe Mentalität auf Beziehungen mit Menschen übertragen werde, sagte er. Anstatt einzuhalten und sich die Zeit zu nehmen, um echte Beziehungen zu schaffen, könnten manche Menschen entscheiden, zum nächstbesten Angebot weiterzuziehen, da sie so viele Optionen hätten.

"Darum sind Dating-Apps unmoralisch, soweit sie unpersönlich und vergänglich sind, oder mit der Absicht genutzt werden, Befriedigung und Belustigung zu erzielen", sagte er.

"Wenn aber Online-Dating-Apps oder andere solcher Dienstleistungen einen Menschen unterstützen, zu einem anderen Menschen zu finden, um dann in der Einzigartigkeit einer Beziehung oder einer Ehe die Liebe Gottes zu teilen, dann können sie sittlich gut sein."

Es kommt auf den Dienst an

Das Beunruhigende an Tinder im Vergleich zu Online-Dating-Seiten, die es auch für Katholiken gibt – im deutschsprachigen Raum etwa "kathTreff" – sei die Schnelligkeit, mit der Menschen in Objekte gewandelt werden, sagt Mary Beth Bonacci, eine katholische Rednerin und Autorin eines Standardwerks zur  Theologie des Leibes von Johannes Paul II.

"Der gesamte Dating-Bereich ist voll von Möglichkeiten, eine menschliche Person in eine Ware umzudeuten. Wir sind so damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was wir für uns selbst wollen, dass wir vergessen, dass wir mit einem anderen Menschen umgehen – einem Abbild und Gleichnis Gottes. Das war schon immer eine Versuchung".

"Aber der Schnellfeuer-Charakter von Tinders 'Scan und Wischen' macht es leicht, viele, viele Menschen innerhalb eines kurzen Zeitraums für Waren zu halten. Das ist für mich das Erschreckendste."

Bonacci sagt, dass es zwar möglich sei, über Apps wie Tinder jemanden zu finden, der Interesse an einer echten Dating-Beziehung habe. Die Chance sei aber relativ gering im Vergleich zu anderen Online-Dating-Seiten, bei denen es umfangreichere Profile gibt.

Jemanden so schnell wie möglich persönlich zu treffen sei der Schlüssel, um herauszufinden, ob ein Treffer Online oder in einer App die Chance hat, sich in eine echte Beziehung zu entwickeln. Aber Apps wie Tinder würden nicht gerade helfen, der Romantik ein neues Leben einzuhauchen, bezweifelte sie.

"Alles ist augenblicklich. Der fast-anonyme Sex ist natürlich das Gegenteil von allem Romantischen oder Respektvollen. In den alten Zeiten der Fleischbeschauung in einer Single-Bar musste man sich noch schick anziehen, das Haus verlassen, ein paar Drinks bezahlen und zumindest so tun, als sei man wirklich an der anderen Person interessiert."

Die Kirche habe die Pflicht, betonte sie, den jungen Menschen bessere Alternativen in der Dating-Welt zu bieten, als die Sofortbefriedigung, die sie in der weltlichen Kultur finden.

"Der Artikel in der Vanity Fair erinnerte mich einmal mehr daran, dass wir Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Alternative bieten müssen zu der erniedrigenden, rummachenden Welt, die sie umgibt. Wir können sie nicht heraus ekeln. Sie brauchen Inspiration, um sich in die wahre Schönheit von christlicher Sicht der menschlichen Sexualmoral zu verlieben", sagte sie.

"Sie müssen ihre eigene Würde, ihre eigene Bedeutung sehen und erkennen, wie Respekt gegenüber ihren Körpern und der wunderschönen Sprache der menschlichen Sexualität der einzige Weg ist, um die wahre Liebe zu finden. Wir müssen es. Wir können nicht zulassen, dass eine weitere Generation von Kindern in diese Jauchegrube fällt."

Zuerst veröffentlicht am 28. Dezember 2015

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