9. August 2025
In der heutigen Gesellschaft erkranken viele Menschen unbemerkt an Depressionen. Oft bleibt das Leid im Verborgenen, überdeckt vom Alltag, übersehen von der Umwelt, überhört vom Lärm der Leistungsgesellschaft. Der Filmemacher Christian Peschken, der regelmäßig für CNA Deutsch und EWTN über die Vereinten Nationen in Genf berichtet, hat sich diesem Schweigen mit künstlerischen Mitteln gestellt. Sein Kurzfilm Lautlos ist eine stille Annäherung an das Unsichtbare, das viele betrifft, aber selten besprochen wird.
Im Interview mit CNA Deutsch sprach Peschken über seine Motivation, über die Kraft analoger Bilder, den Verzicht auf klassische Dialoge – und darüber, warum sein christlicher Glaube ihn gerade in existenziellen Themen zum Hinschauen drängt.
Sie sagen, Sie seien „gesegnet“, nie selbst an Depression erkrankt zu sein. Was hat Sie dennoch innerlich so stark bewegt, dass Sie sich diesem Thema filmisch widmen mussten?
Auch wenn ich selbst nie an Depression erkrankt bin, hat sie mein Leben auf eine leise, aber tiefgreifende Weise berührt. Menschen, die mir nahestehen, leiden und haben darunter gelitten – und ich musste lernen, dass man manchmal ganz nah dran ist und doch nichts tun kann. Diese Ohnmacht, dieses Schweigen, das sich zwischen Worte legt, hat mich nicht mehr losgelassen.
Mein Kurzfilm Lautlos entstand aus dem Bedürfnis, dieser Stille eine Stimme zu geben. Nicht mit Erklärungen, sondern mit Bildern, mit Atmosphäre, mit einer Sprache jenseits der Worte. Ich wollte spürbar machen, was oft im Verborgenen bleibt – und vielleicht auch zeigen, dass wir nicht allein sind, selbst wenn es sich manchmal genau so anfühlt.
Warum haben Sie sich bewusst für 16mm-Schwarz-Weiß-Film entschieden? Was bewirkt dieses Medium im Zuschauer?
Die Entscheidung für 16mm-Schwarz-Weiß-Film war für mich weit mehr als eine stilistische Wahl – sie war eine Rückkehr zu meinen filmischen Wurzeln. Ich komme aus dem analogen Film, habe als Kameramann auf 16mm und 35mm gelernt, unter anderem bei der damaligen Kinowochenschau „Blick in die Welt“. Diese Zeit hat mich geprägt: Der Umgang mit echtem Filmmaterial – mit all seiner Haptik, seinen Begrenzungen und seiner Schönheit – schärft nicht nur den Blick, sondern auch das Bewusstsein für den Moment.
16mm Schwarzweiß hat für mich eine ganz besondere Aura. Es schafft eine gewisse Zeitlosigkeit, eine emotionale Tiefe, die digital oft schwer zu erreichen ist. Das Filmkorn, das Licht, die Unschärfen – all das bringt eine Verletzlichkeit ins Bild, die zum Thema von Lautlos passt. Es geht in diesem Film nicht um Schärfe oder Perfektion, sondern um Zwischenräume, um das, was sich nicht klar greifen oder benennen lässt.
Ich glaube, dass dieses Medium auch beim Zuschauer etwas auslöst: eine Entschleunigung, eine Öffnung. Man spürt, dass hier nicht nur abgebildet, sondern gespürt wurde – auch auf technischer Ebene. Der analoge Film trägt eine Seele in sich. Und genau das wollte ich: einen Film machen, der atmet, der sich erinnert, der sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst ist – so wie es die Menschen oft sind, über die Lautlos erzählt.
Der Film verzichtet auf klassische Dialoge. Welche Rolle spielen die inneren Stimmen – und warum war Ihnen diese Form so wichtig?
Der Verzicht auf klassische Dialoge war eine bewusste Entscheidung – denn Depression spricht oft nicht in klaren Sätzen. Sie entzieht sich der Sprache, zieht sich zurück in eine Art inneres Echo. Genau dieses Empfinden wollte ich in Lautlos erfahrbar machen. Die inneren Stimmen im Film sind keine erklärenden Monologe, sondern Fragmente, Gedankenfetzen, Empfindungen – brüchig, tastend, manchmal fast flüsternd.
Mir war wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem nicht gesprochen, sondern empfunden wird. Die Zuschauer sollen nicht „verstehen“, sondern spüren, was es heißt, wenn sich das Leben nach innen verlagert. Worte reichen da oft nicht. Deshalb wurde die Ton-Ebene zu einer der wichtigsten Erzählstrukturen des Films.
Die Musik von dem Wiesbadener Schauspieler, Pianisten und Komponisten Michael Moog de Medici war dabei ein zentrales Element. Seine Kompositionen sind keine klassische Filmmusik, sondern eher eine zweite emotionale Stimme – ein tiefes, atmosphärisches Gewebe, das sich mit den Bildern verbindet, sie trägt, manchmal auch durchbricht. Seine Musik schafft eine Schwingungsebene, die zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren vermittelt.
Gerade weil der Film so reduziert ist, mussten Bild, Klang, innere Stimme und Musik umso stärker miteinander atmen – wie eine fragile Choreografie der Wahrnehmung. Diese Form war für mich nicht nur eine künstlerische Entscheidung, sondern eine Notwendigkeit. Denn alles andere hätte sich für das Thema zu laut, zu eindeutig angefühlt.
Sie sprechen von Ihrem Glauben als innerem Antrieb. Welche Rolle spielt das Christentum konkret in Ihrer künstlerischen Arbeit – gerade bei so existenziellen Themen wie psychischem Leid?
Mein Glaube ist für mich kein Sonntagsprogramm, sondern etwas, das mich ganz praktisch durchs Leben trägt – und auch durch meine Arbeit. Gerade wenn es um Themen wie seelisches Leid oder innere Dunkelheit geht, gibt mir das Christentum eine klare Haltung: Schau nicht weg.
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In der Bibel finde ich immer wieder Stellen, die mich tief berühren und zugleich herausfordern. Zum Beispiel: „Weint mit den Weinenden“ (Röm 12,15). Das ist so schlicht – aber eigentlich alles, worum es geht. Nicht analysieren, nicht erklären, einfach da sein. Mittragen.
Oder Psalm 34: „Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind.“ Das ist kein frommer Spruch, sondern eine echte Ansage. Wenn Gott den Zerbrochenen nahe ist, will ich es auch sein. Nicht als Retter, sondern als Mensch.
Auch die Geschichte vom barmherzigen Samariter beschäftigt mich immer wieder. Der Typ hatte keinen Plan, aber ein Herz. Er hat nicht gefragt, ob der andere dankbar ist, oder ob es sich „lohnt“. Er hat einfach geholfen. Das ist für mich gelebter Glaube – und genau das versuche ich filmisch umzusetzen.
Lautlos ist deshalb auch so geworden, wie er ist: kein Film, der laut etwas sagen will, sondern einer, der still etwas fühlt. Die innere Stimme, die Musik, die Bilder – das alles ist für mich eine Form von Hinwendung. Im besten Fall so etwas wie Nächstenliebe in künstlerischer Sprache.
Sie beschreiben den Film als „Spiegel für die blinden Flecken der Gesellschaft“. Welche dieser blinden Flecken wollen Sie besonders sichtbar machen?
Wir leben in einer Welt, in der du funktionieren sollst – möglichst reibungslos, möglichst optimiert. Alles, was nicht ins Bild passt – Erschöpfung, Rückzug, seelische Schmerzen – wird schnell weggedrückt oder übersehen. Genau da liegen für mich die blinden Flecken: bei den stillen Kämpfen, die keiner mitkriegt, weil sie nicht laut sind.
Lautlos will genau da hinschauen, wo sonst gerne weggesehen wird. Nicht, um Mitleid zu erzeugen, sondern um Bewusstsein zu schaffen. Für all die Menschen, die hinter einem Lächeln verschwinden. Für das Unausgesprochene, das man nur spürt, wenn man sich wirklich einlässt.
Ein großer blinder Fleck ist auch unser Umgang mit psychischer Schwäche. Wer seelisch strauchelt, gilt schnell als „nicht belastbar“ oder „komisch“. Dabei trägt fast jeder etwas mit sich rum. Nur reden wir nicht drüber – weil wir es nie gelernt haben.
Ich glaube, der Film trifft einen Nerv, gerade weil er keine großen Erklärungen liefert. Er konfrontiert dich eher mit der Frage: Wen in meinem Umfeld habe ich vielleicht nicht wirklich gesehen? Und auch: Was ist mit mir selbst?
Der Film will kein Drama erzählen, sondern ein Bewusstsein öffnen. Er lädt dazu ein, genauer hinzusehen – auch auf sich selbst. Denn vielleicht sind diese blinden Flecken nicht irgendwo „da draußen“, sondern mitten in uns. Und vielleicht beginnt Veränderung genau dort, wo wir uns trauen, sie zu erkennen.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.




