Die modernen Kommunikationsmittel haben der Coronavirus-Pandemie etwas von ihrer Gnadenlosigkeit genommen. Isolierte, besonders alte Menschen finden im Telefon einen treuen Freund. Das Internet versendet leicht einen Gruß und fragt nach dem Befinden von Bekannten. "Radio Horeb" gewinnt neue Hörer für seine aufbauenden Sendungen. Sogar die verschlossenen Kirchen öffnen sich, und Priester feiern die Eucharistie ohne Gemeinde, damit Gläubige virtuell an ihr teilnehmen können. Allerorten verweisen Diözesen und Pfarreien auf TV-Gottesdienste. Das katholische Fernsehen EWTN schickt ein "Sonderprogramm" mit einer Fülle von liturgischen Daten – von der Heiligen Messe mit Papst Franziskus am Morgen bis zur Anbetung des Allerheiligsten am Abend.

In der Mitte all dieser Ankündigungen steht die Eucharistie, "auf die alles Tun der Kirche als auf sein Ziel hinstrebt". Deren Frucht begegnet den Gläubigen in der heiligen Speise von Leib und Blut Christi. Doch die erfreuliche, technisch hergestellte Teilnahme am Messopfer ist nur eine virtuelle; sie schießt daher den realen Empfang in der heiligen Kommunion aus. Nun kennt die Kirche aus ihrer Geschichte eine spirituelle Übung, die solch wesentlichen Mangel in gewisser Weise ausgleichen kann: die "geistige Kommunion". Sie wurde lange Zeit vergessen. Der jüngste "Katechismus der katholischen Kirche" erwähnt sie nicht einmal. Offenbar hat aber die Corona-Plage manchen wieder an sie erinnert; denn sie wird bei medialen Übertragungen da und dort erwähnt. Es ist gut, daß die Gläubigen von den Kommentatoren aus dem "Off" im Augenblick des Kommunion-Empfangs angeleitete werden, Christus geistig aufzunehmen. Folgendes alte Gebet etwa wäre möglich:

"Herr, allmächtiger Vater, ich danke Dir für alle Deine Wohltaten und ganz besonders dafür, dass Du mich mit dem kostbaren Leib und Blut Deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, geistig speisen möchtest. Ich bitte Dich, lass dieses Heilige Sakrament mir zur Quelle des Erbarmens und zum ewigen Heil gereichen. Amen."

Not und Chance legen es nun nahe, der komplexen Geschichte dieser mentalen Kommunion kurz nachzugehen.

"Tätige Teilnahme"

Die "Liturgische Bewegung" des vergangenen Jahrhunderts und das Vaticanum II haben uns wieder sensibel gemacht für den aktiven Mitvollzug des Gottesdienstes.  Zeichen und Formen, Licht und Farben, Lieder und Worte sollen als heiliges Spiel über die Sinne das Herz des Menschen erreichen. So schenkt die wahrnehmbare Gestalt den Feiernden etwas vom Geschmack des Glaubens. "Actuosa participatio"  wurde zum Schlüsselwort für den heiligen Dienst.

Das beflügelte auch den Kommunion-Empfang. Er war ja leider zu einer Seltenheit geworden; sonst wären Katholiken kaum im Kirchengebot aufgefordert worden, wenigstens einmal im Jahr die Heilige Kommunion zu empfangen. Auch hatten das Kommuniondekret des heiligen Papstes Pius X. vom August 1910 und die Neufassung des eucharistischen Nüchternheitsgebotes (1964) die Barriere für den Zutritt gesenkt. Doch nun war es offensichtlich: die "Tätige Teilnahme" konnte kaum dichter vollzogen werden, als im Empfang der heiligen Kommunion.

Geistige Kommunion

Andererseits darf dieser löbliche auch nicht totalisiert werden. Sonst würde der Ausschlag des Pendels der Kirche einen kostbaren pastoralen Schatz nehmen: die mentale Kommunion. Groß ist die Anzahl der Heiligen und Kirchenlehrer, die ihn ansprechen und uns nahebringen. Er tritt vor allem dadurch hervor, daß solche Lehrer so stark auf die geistlichen Früchte des Eucharistie-Empfangs abheben. Die griechischen Theologen Basilius (+379) und Gregor von Nazianz (+390) sehen die Wirkung des Kommunionempfangs in der Begnadung mit dem Geist Gottes; Hilarius von Poitiers (+367) bezeichnet den Genuss des irdischen Christus als Mitteilung des trinitarischen Lebens; Johannes Chrysostomus (+407) erinnert daran, daß nach Pauli Wort der "Leib des Herrn zu unterscheiden" (1 Kor 11,29) ist und folgert, die sakramentale Wirklichkeit beziehe sich nicht auf die Sinne; sie müsse im Glauben vom geistlichen Menschen empfangen werden. Für all diese Kirchenväter steht das zeichenhafte Essen des Leibes Christi nicht in sich; es zielt auf seine gnadenhafte Wirkung.Augustinus (+431) treibt diese gemeinsame Auffassung auf die Spitze. In seinen Predigten zum Johannes-Evangelium formuliert er den für unser Thema fundamentalen Satz: "Ut quid paras dentes et ventrem? Crede, et manducasti! – Warum bereitest du die Zähne und den Leib? Glaube - und du hast gegessen" (PL 35,1602)! Der Theologe relativiert in seiner prägnanten Sprache die greifbare Dimension am Eucharistie-Empfang.

So trat zunehmend für die Pastoral die geistige Kommunion hervor, in der lediglich die sakramentalen Früchte unabhängig vom sakramentalen Zeichen empfangen werden. Daß diese Übung dann später so stark um sich griff, hatte teils problematische, teils verständliche und teils gute Gründe: die starke Zunahme an Kirchengliedern durch ihre staatliche Freiheit (312); die Christianisierung großer Bevölkerungsgruppen durch rasche Missionierung; eine für die Mitfeier mangelnde theologische Kenntnis des Messopfers.   

Im Mittelalter führte dann später auch das ausgeprägte Sündenbewußtsein zur Verbreitung der geistigen Kommunion. Kriege, Pest und andere Seuchen quäl­ten die Menschen und erscheinen ihnen oft als Strafe Gottes auch für das eigene Vergehen. Und dann war da das Wort des Apostels Paulus, Gott werde die unwürdige Teilnahme am eucharistischen Mahl nicht ungestraft las­sen: "Wer unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich das Gericht, da er den Leib des Herrn nicht unterscheidet. Darum sind un­ter euch viele Schwache und Kranke und so manche entschlafen" (1 Kor 29f.). Wer jedoch die "Gei­stige Kommunion" begehrte, war nicht betroffen; denn sie konnte nie unwür­dig empfangen werden. – Viel später kam die Zeit, daß Christen aus Lauheit dem Tisch des Herrn fernblieben. Da mußte sogar in ei­nem Kirchengebot gefordert werden: Katholi­ken haben wenigstens einmal im Jahr die heilige Kommunion zu empfangen. Dieser geraffte Rückblick läßt erkennen, daß die geistige Kommunion Licht und Schatten verbreitete und demnach so manchen Formen christlicher Frömmigkeit ähnlich ist. Dennoch wird sie in den Dekreten des Konzils von Trient (1545 – 1563) bestätigt und im Tridentinischen Katechismus nachdrücklich empfohlen.

Zur Aktualität

Für die heutige Seelsorge verdient die geistige Kommunion aus sie vielen Gründen neue Beachtung. Da ist hochaktuell die Corona-Pandemie, die zum Grund wurde für diese Zusammenstellung. Aber auch die verschiedenen Vorstöße, den Eucharistie-Empfang für nichtkatholische Christen zu öffnen, wäre sie zu beachten. In den Auseinandersetzungen zur Enzyklika von Papst Franziskus zur Kommunion Wiederverheiratet-Geschiedener blieb sie bislang völlig unerwähnt. Obwohl sich im Umgang mit Betroffenen zeigt, daß sie solchen Paaren zu einer willkommenen geistlichen Hilfe wurde, also nicht als Schreitisch-Spekulation abgetan werden kann. Nicht zuletzt sollten wohl die Weisungen der Heiligen und anderer Kirchenväter, die sie lanciert haben, heute wieder die Praxis des Kommunionempfangs in unseren Gemeinden beeinflussen: Daß nicht schon der äußere Empfang der Kommunion ihren Sinn erreicht: Für die Begegnung mit Gott b rauchen wir fraglos den greifbaren Vollzug; doch ohne die Öffnung des Herzens bleibt dieser leer. Darum betet der Priester nach seiner eigenen Kommunion seit dem 5. Jahrhundert (Sacramentarium Leonia­num) mit gefalteten Händen still für sich: "Quod ore sumpsi, Domine, mente capiam – ich möchte im Herzen aufnehmen, was ich mit dem Munde empfangen habe." Die geistige Begegnung mit dem Herrn fällt demnach nicht automatisch mit der leiblichen Aufnahme seines Leibes und Blutes zusammen.

Von realer Gegenwart

Nun soll mit der geistigen Kommunion allerdings nicht der Vorrang des Imaginären vor dem faktischen Leben propagiert werden. TV-Teilnahme an der Heiligen Messe und mentale Annäherung an den Herrn sind lediglich eine Notlösung. Wenn der Allmächtige uns – hoffentlich bald – wieder ein ungefährdetes Leben gibt, wird nur jemand den virtuellen Ersatz wählen, dem die Realität verwehrt ist. Das festzuhalten erscheint besonders dringlich in einem Klima, das uns zu "second-hand"-Konsumenten macht, mit Vorspiegelungen betört und der realen Gegenwart entfremdet. Zu dieser Zeitkrankheit kommt etwas Anthropologisches: wir sind nicht nur Geist. Wer sich mit der Christus-Nähe im Herzen begnügt, mag sich auch fragen: Muß denn Glaube überhaupt materiell vermittelt, gar an Orte und Handlungen gebunden sein? Ja, er muß! Denn der Mensch gründet nicht in sich, sondern er wird begründet in dem Mitsein mit den Dingen, in dem Mitsein mit den Menschen. "Unser Geist ist nur im Mitsein mit dem Leib, wie freilich auch unser Leib, sein biologisches Sein nur im Sein vom Geistigen her besteht" (Joseph Ratzinger).

Last-not-least will das Spezifisch-Liturgische bedacht sein. Vom Urchristentum an betonten die Glaubensvätern für die Eucharistie neben dem Herrengedenken immer die Verbundenheit der Getauften. Bei Paulus finden wir die Wendung "EPI TO AUTO – an demselben Ort", der wie ein Fachausdruck für die gottesdienstliche Feier erscheint (1Kor 11,20; 14,23, aber auch Apg 2,46). Einen sehr frühen Hinweis auf solche Versammlungen an einem Ort gibt Justin dem Märtyrer (+165) : "Am Tag der Sonne kommen alle, die in den Städten oder auf dem Lande wohnen, am selben Ort zusammen…". In den Johannes-Akten, nicht-kanonische Apostelakten aus dem 3. Jahrhundert, lesen wir: "Darum kamen alle Brüder zusammen, und Johannes begann zu ihnen zu reden". Die eucharistische Gemeinschaft mit dem Herrn kann demnach nicht auf eine individuell-private Begegnung mit Christus, dem "Gast und Bräutigam der Seele", verkürzt werden. Wieder ist der heilige Augustinus ein unnachahmlicher  Lehrer. Bei ihm heißt es über den Ritus des Kommunion-Empfang: "Man sagt euch 'Der Leib Christi', und ihr antwortet 'Amen'. Seid denn Glieder dieses Leibes, damit euer Amen wahr sei!" Und dann nochmals: "Seid denn, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid" (PL 38,1247).

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