"Fratelli Tutti": Was jeder über die neue Enzyklika von Papst Franziskus wissen sollte

Papst Franziskus
CNA / Petrik Bohumil

Der Traum von einer weltweit vereinten, in Religion und Kultur vielfältigen Menschheitsfamilie, friedlich und gerecht dank "sozialer Freundschaft" und Geschwisterlichkeit: Dieser Traum ist Programm und Anliegen der Enzyklika "Fratelli Tutti" von Papst Franziskus, die am heutigen 4. Oktober veröffentlicht worden ist. 

Folgende fünf Punkte sollte jeder Katholik über "Fratelli Tutti" wissen. Die gesamte Enzyklika im Wortlaut hat der Vatikan auf seiner Webseite veröffentlicht.

1. Ein Traum in einem Satz

Wie der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King formuliert der Pontifex seinen Traum in einem griffigen Satz:

"Träumen wir von einer einzigen Menschheit, wie Weggefährten vom gleichen menschlichen Fleisch, wie Kinder der gleichen Erde, die uns alle beherbergt, jedem mit dem Reichtum seines Glaubens oder seiner Überzeugungen, jedem mit seiner eigenen Stimme, allen Geschwistern."

Für diesen Traum zitiert das Schreiben, das in seiner deutschen Fassung 82 Doppelseiten  – über 150 Buchseiten – dick ist, aus einer Vielzahl von Beiträgen, vor allem von Franziskus in den vergangenen Jahren – vom "TED"-Talk bis zur "Erklärung über die Brüderlichkeit" – um in 287 Abschnitten diesen zu entfalten. 

Tatsächlich zitiert zwar der Papst vor allem sich selbst, aber auch immer wieder Benedikt XVI., Johannes Paul II. und viele andere – bis hin zu Georg Simmel.

2. Echte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

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Er habe sich besonders von Franz von Assisi, aber auch von nichtkatholischen Brüdern inspirieren lassen, schreibt Franziskus: Eben vom oben bereits erwähnten Martin Luther King, aber auch dem anglikanischen Bischof Desmond Tutu, dem indischen Politiker Mahatma Gandhi sowie vielen anderen. 

Besonders erwähnt – gleich fünf Mal – wird allerdings der Großimam der ägyptischen Moschee und Universtität Al Azhar, Ahmad Al-Tayyib. Von dem hat sich Papst, wie er betont, besonders anregen lassen – wie schon in Punkt 1 erwähnt.

Wer sich bei "Brüderlichkeit" nicht nur an Abu Dhabi, sondern auch an das Motto der Aufklärung und Französischen Revolution erinnert fühlt – Liberté, Égalité, Fraternité – der findet es in Absätzen 103-105 erklärt: "Die Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit) ist nicht einfach die Folge aus der Achtung individueller Freiheit oder aus einer gewissen geregelten Gleichheit", schreibt der Papst, denn "Brüderlichkeit fügt der Freiheit und Gleichheit noch positiv etwas hinzu": Sie verhindert vor allem, dass Gleichheit populistisch missbraucht oder als Gleichmacherei verstanden wird – und schließt auch zum Beispiel die Todesstrafe aus, das Abgrenzen gegen Flüchtlinge hinter Mauern, oder die Ausbeutung der Umwelt. Das sind nicht nur zentrale Themen von Fratelli Tutti, sondern dieses Pontifikats.

3. Individualismus, Relativismus und Ideologien gefährden diesen Traum

"Der Individualismus macht uns nicht freier, gleicher oder brüderlicher. Die bloße Summe von Einzelinteressen ist nicht in der Lage, eine bessere Welt für die gesamte Menschheit zu schaffen", bekräftigt der Papst (Nr. 105). Und auch der "Relativismus ist keine Lösung", schreibt Franziskus wörtlich (Nr. 206). "Unter dem Deckmantel von vermeintlicher Toleranz führt er letztendlich dazu, dass die Mächtigen sittliche Werte der momentanen Zweckmäßigkeit entsprechend interpretieren". 

Auch hier also die Warnung, nicht den Blick zu verkürzen oder verfälschen lassen. In verschiedenen Ländern gehe zudem eine von gewissen Ideologien durchdrungene "Idee des Volkes und der Nation mit neuen Formen des Egoismus und des Verlusts des Sozialempfindens" einher (Nr. 11). 

4. Wirtschaft und Technologie müssen dem Traum dienen

Franziskus warnt: "Es gibt wirtschaftliche Regeln, die sich als wirksam für das Wachstum, aber nicht für die Gesamtentwicklung des Menschen erweisen", (Nr. 21). Kritisch setzt sich der Papst daher auch mit Wirtschaft und Technologie insgesamt auseinander – mit Blick auf deren Verständnis einer "offenen Welt".

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Diese drohe sonst nur, dem Profit zu dienen, auf Kosten der Natur wie des Menschen – bis hin zur Sklaverei (Nr. 24). Und auch die "Technologie macht ständige Fortschritte, doch 'wie schön wäre es, wenn die Zunahme der Innovationen (...) auch mit einer immer größeren Gleichheit und sozialen Inklusion einhergehen würde!" (Nr. 31)

Man dürfe auch "nicht übersehen, dass in der digitalen Welt gigantische wirtschaftliche Interessen am Werke sind, die ebenso subtil wie invasiv Kontrolle ausüben und Mechanismen schaffen, mit denen das Gewissen und demokratische Prozesse manipuliert werden", schreibt der Pontifex.

5. Religionen gemeinsam im Dialog 

Religionen sollten gemeinsam im Dialog sich für Frieden und Freundschaft engagieren, so Franziskus weiter. Mehr noch: Geschwisterlich können Religionen – wie es sein Aufruf mit Imam Ahmad Al-Tayyib formuliert habe – im "Namen aller Menschen guten Willens an allen Orten der Welt (...) die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab" annehmen.

Dieser Kern des Aufrufs mit dem muslimischen Gelehrten zur Brüderlichkeit ist noch einmal vollständig in der Enzyklika enthalten (Nr. 285). 

Ein gemeinsames Gebet

In einem "Gebet zum Schöpfer" wird dieser Traum des Papstes zum Schluss als Anliegen vor Gott gebracht:

Herr und Vater der Menschheit,
du hast alle Menschen mit gleicher Würde erschaffen.
Gieße den Geist der Geschwisterlichkeit in unsere Herzen ein. Wecke in uns den Wunsch nach einer neuen Art der Begegnung, nach Dialog, Gerechtigkeit und Frieden.
Sporne uns an, allerorts bessere Gesellschaften aufzubauen
und eine menschenwürdigere Welt
ohne Hunger und Armut, ohne Gewalt und Krieg.
Gib, dass unser Herz sich
allen Völkern und Nationen der Erde öffne,
damit wir das Gute und Schöne erkennen,
das du in sie eingesät hast,
damit wir engere Beziehungen knüpfen
vereint in der Hoffnung und in gemeinsamen
Zielen. Amen.

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