31 Oktober, 2020 / 7:00 AM
Um klare Aussagen war und ist die evangelische Theologin, ehemalige Landesbischöfin und EKD-Vorsitzende Margot Käßmann nie verlegen. Im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" antwortete sie in der Ausgabe 30/2013 auf die Frage, wie sie zur Jungfrauengeburt stehe: "Da bin ich ganz Theologin des 21. Jahrhunderts. Ich glaube, dass Maria eine junge Frau war, die Gott vollkommen vertraut hat. Aber dass sie im medizinischen Sinne Jungfrau war, das glaube ich nicht."
Zustimmen würden hier vermutlich viele Gläubige aller christlichen Konfessionen, gewiss auch manche Theologen, die auf Analogien der religionsgeschichtlichen Schule vertrauen und eine eher symbolische Deutung nahelegen. Einfluss nahm dies auch auf die Exegese und Verkündigung in der römisch-katholischen Theologie, wie diese an vielen Fakultäten heute gelehrt wird.
Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. weist die Parallelen zu den Vorstellungen der Pharaonenwelt und der griechischen Mythologie indessen souverän ab.
Er schreibt: "In den Berichten der Evangelien bleiben die Einzigkeit des einen Gottes und der unendliche Unterschied zwischen Gott und Kreatur voll gewahrt. Es gibt keine Vermischung, keinen Halbgott. Gottes schöpferisches Wort allein wirkt Neues. Jesus, der aus Maria geboren wird, ist ganz Mensch und ganz Gott, beides unvermischt und getrennt, wie das Glaubensbekenntnis von Chalkedon im Jahr 451 präzisieren wird." (Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Prolog: Die Kindheitsgeschichten. Freiburg im Breisgau 2012, 61)
Wir begegnen bei der geistlichen Lektüre der Evangelien also nicht einer frommen Mythologie oder modernen Symbolerzählungen. Die Frohe Botschaft ist kein Märchen, sie spricht von Jesus Christus, der für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Viele Gläubige heute, die besonders die Gottesmutter verehren, glauben und wissen auch von innen her, dass das stimmt – natürlich sind sie ebenso wie Frau Käßmann und viele andere moderne Theologen Menschen des 21. Jahrhunderts, die auch elektrisches Licht oder einen Computer benutzen und für den Fortschritt der Medizin beispielsweise dankbar sind. Deswegen aber halten sie die Jungfrauengeburt noch nicht für einen Mythos.
Aber sie vertrauen gläubig darauf, dass Gott auch Gott ist – und dass Marias Ja-Wort über Weihnachten entschieden hat. So schreibt Benedikt XVI.: "Es wird uns eine ganz demütige und gerade doch so umstürzend große Geschichte erzählt. Es ist der Gehorsam Marias, der Gott die Tür öffnet. Gottes Wort, sein Geist schafft in ihr das Kind. Er schafft es durch die Tür ihres Gehorsams." Wer möchte, kann das im Lukas-Evangelium nachlesen und mag leise darüber meditieren, wie der Engel der Verkündigung zu Maria tritt und wie sie annimmt, was Gott ihr anträgt. Vielleicht hat diese himmlische Freude niemand schöner und berührender dargestellt als der Erminoldmeister im Hohen Dom zu Regensburg – den lachenden Engel Gabriel und die scheue, demütige und frohe Maria, die nicht weltlich unterwürfig, sondern wahrhaft gottergeben und sanft lächelnd sich dem Willen Gottes öffnet: "So geschieht Neuschöpfung, die sich aber doch an das freie Ja des Menschen Maria bindet. Vielleicht kann man sagen, dass die stillen und verworrenen Träume der Menschheit vom neuen Anfang in diesem Geschehen Wirklichkeit geworden sind – in einer Wirklichkeit, wie sie nur Gott schaffen konnte." (ebd., 64)
Wer einfachen Herzens gläubig ist, der nimmt heute mit und wie Maria dankbar an, was ihm auferlegt und verheißen ist, sicherlich im Wissen darum, dass der Weg auf den Spuren Gottes und in der Nachfolge des Herrn nicht einfach sein wird.
Warum aber, so können wir uns – und vielleicht auch uns selbst – fragen, nehmen Menschen Anstoß an der Wahrheit des Glaubens? Warum wirken Jungfrauengeburt und Auferstehung aus dem Grab wie ein "Skandal für den modernen Geist"? Benedikt erwägt, dass Gott für sich aufgeklärt verstehende Christen zwar "in Ideen und Gedanken" wirken dürfe, "aber nicht an der Materie". Doch in den Evangelien werde Gott nichts Absurdes oder Unsinniges zugeschrieben, das auf eine weltkluge Weise gedeutet werden müsste. Es gehe "um das Positive", nämlich "um Gottes schöpferische Macht, die das ganze Sein umfängt". Die Jungfrauengeburt gehöre, wie der Glaube an die Auferstehung des Herrn, zu den "Prüfsteinen des Glaubens".
Wäre Gott nur eine luftige Idee, die wir für eine moralische Welt bräuchten, so genügte auch ein philosophischer Weisheitslehrer, der die Vernünftigkeit eines guten Lebens demonstrierte. Unser Glaube aber ist mitnichten eine Philosophie. Die Jungfrauengeburt bezeichnet Benedikt als "grundlegendes Element unseres Glaubens" und als "Leuchtzeichen der Hoffnung": "Wenn Gott nicht auch Macht über die Materie hat, dann ist er eben nicht Gott. Aber er hat diese Macht, und er hat mit Empfängnis und Auferstehung Jesu Christi eine neue Schöpfung eröffnet. So ist er als Schöpfer auch unser Erlöser." (ebd., 65) Als Menschen des 21. Jahrhunderts dürfen wir daran glauben – und uns in gotteskindlicher Dankbarkeit darüber freuen.
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