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Sozialethiker Schallenberg: Moral und Recht ohne Gott degradieren den Menschen

Peter Schallenberg

„Das sozialethische Erbe von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.“ – so lautete in dieser Woche das Thema einer Veranstaltung an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Zehn namhafte Wissenschaftler beteiligten sich daran, eine Bilanz zu ziehen.

Peter Schallenberg, der Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn, ging einen Schritt weiter: Der gegenwärtig namhafteste Sozialethiker im deutschen Sprachraum wagte eine intensive Auseinandersetzung mit der Wiederentdeckung des augustinischen Naturrechts bei Joseph Ratzinger.  

Zuerst erinnerte Schallenberg an eine tiefe Grundwahrheit: „Der Mensch kommt zutiefst nicht zu sich selbst durch das, was er tut, sondern durch das, was er empfängt. Er muss auf das Geschenk der Liebe warten, und Liebe kann man nicht anders denn als Geschenk erhalten.“

Um diese anspruchsvolle Behauptung verständlich zu machen, erinnerte der Referent an zwei Tatsachen bei der Geburt eines Menschen: Niemand zeugt sich selbst, und niemand bringt sich selbst auf die Welt. Der Mensch kann also die Perspektive einnehmen, das Leben als Geschenk zu begreifen.

Peter Schallenberg forderte die Zuhörer weiter heraus: „Dass die Liebe des Menschen höchste Möglichkeit und tiefste Notwendigkeit in einem darstellt, und dass dies Nötigste zugleich das Freieste und Unerzwingbarste ist, das bedeutet eben, dass der Mensch zu seinem Heil auf ein Empfangen angewiesen ist.“

Joseph Ratzinger hatte diese Sätze in seiner „Einführung in das Christentum“ formuliert.

Die Rückkehr zur ursprünglich geschenkten Liebe wird – so Schallenberg – am Beispiel des verlorenen Sohnes deutlich, der zwar seinen Hunger und seine überlebensnotwendigen Bedürfnisse mit den Futterschoten der Tiere hätte stillen können, jener Lebewesen, mit denen er den Drang zur Bedürfnisbefriedigung teilt, dem aber kein Mensch von dem lebensnotwendigen Überfluss der Liebe gab. Diesen Defekt menschlicher Lebenstüchtigkeit bezeichne man theologisch als Ursünde und Erbsünde.

Das Leben werde zu wirklichem Leben nur, wenn es seine Form aus dem Blick auf Gott hin empfange, zitierte der Paderborner Theologe den verstorbenen Papst. „Die Liturgie bündelt brennglasartig die Erfahrung einer größeren Freiheit des Menschen zum Guten im Angesicht einer größeren Liebe.“ Fazit: „Der Mensch kann und darf und soll der Logik Gottes und seiner Liebe vertrauen und darauf mit seinem Leben in Liebe antworten: Ein erster Kern des christlichen Naturrechts.“

In einem weiteren Schritt beschrieb Schallenberg einen inneren Dreiklang von Kult, Recht und Ethos. Kultur erwachse aus dem Kult, aus dem Dankopfer an Gott: „Moral und Recht, die nicht aus dem Blick auf Gott kommen, degradieren den Menschen, weil sie ihn seines höchsten Maßes und seiner höchsten Möglichkeiten berauben, ihm den Blick auf das Unendliche und Ewige absprechen.“ Eine Ordnung der menschlichen Dinge, die Gott nicht kenne, verkleinere den Menschen. Das innere Land erst, der Raum der Liebe Gottes, mache das äußere Land der Gerechtigkeit und des Gesetzes bewohnbar; erst vom Kult her gelinge der Weg zur Kultur.

Das Recht und seine der Willkür entzogenen Gesetze erschienen dann als ein institutionalisiertes Ethos und verbürgten den moralischen Grundwasserspiegel des puren Überlebens. „Recht und Moral sind Ausformulierungen des von Gott in die menschliche natürliche Vernunft gelegten Ursinnes einer lebensdienlichen Welt.“ Recht und Ethik gründen in jener Art von Naturrecht, das auch als Vernunftrecht bezeichnet werden kann, fasste Schallenberg zusammen.

In einem dritten Schritt räumte er ein von der Epoche der Aufklärung aufgebautes Hindernis beiseite. Damals hatte man versucht, die wesentlichen moralischen Normen so zu verstehen und zu begründen, dass sie auch für den Fall gelten würden, dass es Gott nicht geben sollte. An Blaise Pascal und seine berühmte Wette anknüpfend sagte Schallenberg: „Es ist besser, von der Existenz des vollkommenen Gottes im Leben auszugehen, da man im Zweifelsfall alles an Sinn gewinnt – weiteren Horizont und größere Sicht auf Mensch und Leben – und nichts verliert.“

Damit werde aber die entscheidende Neuheit des Christentums überhaupt berührt: Der Logos, also der Sinn von Geschichte und personaler Existenz, sei selbst Person, als Person des Schöpfers aber vom Wesen her Liebe und als Person des Erlösers vom Wesen her vergebende und neuen Anfang setzende Liebe.

Kurz und prägnant formulierte daher Joseph Ratzinger: „Dies ist die eigentliche Neuheit des Christentums: Der Logos, die Wahrheit in Person, ist auch die Sühne.“ Alles aber hänge an dem zentralen Dogma der Menschwerdung Gottes. „Hier ist das Wesen und zugleich das Ärgernis des Christentums erreicht.“

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