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Hilfsorganisationen haben Äthiopien verlassen, aber „die Seelsorger blieben“

Tesfaselassie Medhin, äthiopisch-katholischer Bischof von Adigrat

Der Krieg in der äthiopischen Region Tigray hat zu Massenmorden und sexueller Gewalt an Frauen und Mädchen geführt. Nun engagiert sich die Kirche bei der Therapie und Seelsorge für die traumatisierte Bevölkerung. Das berichtete der äthiopisch-katholische Bischof Tesfaselassie Medhin aus Adigrat bei einem Besuch in der internationalen Zentrale des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ (ACN) in Königstein im Taunus.

Folter und Massaker

„Die Menschen in Tigray haben die Hölle erlebt: Es gab Gruppenvergewaltigungen und Morde vor den Augen der Familien. Mehr als eine Million Menschen wurden getötet. Es fanden Folter und Massaker statt“, sagte der Bischof, dessen Diözese die gesamte Region Tigray im Norden Äthiopiens an der Grenze zu Eritrea umfasst. Während des Konflikts, der 2020 seinen Anfang nahm und im November 2022 durch ein Friedensabkommen offiziell beendet wurde, sei die Region vollständig abgeriegelt gewesen; auch Hilfslieferungen seien nicht durchgekommen, berichtete Medhin: „Wir waren völlig abgeschnitten. Internet und Telefon haben nicht funktioniert, wir konnten das Haus nicht mehr verlassen.“

Manche Priester seiner Diözese habe er seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Denn auch nach dem Friedensabkommen sei rund ein Drittel der Region Tigray besetzt und unzugänglich. Er zollt den Seelsorgern hohen Respekt: „Aufgrund der Gefahren haben alle Hilfsorganisationen unsere Region verlassen. Aber die Priester und Ordensleute – unter ihnen 30 ausländische Missionare – sind alle dageblieben.“

Ein „wahrer Albtraum“ sei es gewesen, nicht zu wissen, was mit den Menschen seiner Diözese geschehe, erklärte der Bischof. Dennoch habe er bereits während des Krieges in seiner Bischofsstadt Adigrat ein medizinisches Zentrum aufgebaut. Menschen konnten sich dort vertraulich behandeln lassen. „Wir Katholiken machen nur ein Prozent der sieben Millionen Einwohner Tigrays aus, aber aufgrund des Einsatzes im Gesundheits- und Bildungsbereich haben wir für 25 Prozent der Bevölkerung große Bedeutung“, betonte Medhin.

Traumabehandlungen mit geistlicher Dimension

Nach dem offiziellen Kriegsende sei insbesondere der Bedarf an Seelsorge und Betreuung von traumatisierten Menschen sehr hoch. Viele Menschen seien bei den Kämpfen verstümmelt worden oder könnten die erlebten Grausamkeiten nicht verarbeiten. Die äthiopisch-katholische Diözese führt für diese Menschen spezielle Kurse durch, die neben der psychologischen Hilfe auch pastorale Aspekte umfassen, wie der Bischof erklärte: „Eine Bewältigung der traumatischen Erfahrungen ist nicht möglich, ohne sich dem Geschehenen zu stellen. Es muss aber auch die geistliche Dimension berücksichtigt werden. Darum sind unsere Programme biblisch gestützt und werden geistlich begleitet.“ „Kirche in Not“ wird diese Traumabehandlungen zukünftig finanziell unterstützen. 

In Adrigat würden sich noch immer 50.000 vertriebene Menschen aufhalten, die nicht in ihre Heimatorte zurückkehren könnten, schilderte Medhin die aktuelle Situation. Die Straßen seien unsicher, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Tausende Menschen in der Region würden weiterhin durch Gewalt, Nahrungsmittelknappheit und eine mangelnde medizinische Versorgung sterben, beklagte der Bischof: „Wie kann die Welt da einfach nur zuschauen?“

Einer der tödlichsten Konflikte weltweit

Der Konflikt in der Region Tigray ist Beobachtern zufolge einer der tödlichsten weltweit. Auslöser war ein Streit um die Macht zwischen der Zentralregierung unter Premierminister Abiy Ahmed und der lange in Tigray regierenden Tigray’s People Liberation Front (TPLF). Die Regierungstruppen wurden aus dem Nachbarland Eritrea und von ethnischen Milizen aus dem Inland unterstützt. Mit dem Friedensabkommen von Anfang November 2022 ist es wieder möglich, humanitäre Hilfen in die Region zu bringen. Vorbei ist der Konflikt aber nicht. 

Äthiopien ist mit rund 110 Millionen Einwohnern aus über 80 Ethnien einer der bevölkerungsreichsten Staaten Afrikas. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung gehören der äthiopisch-orthodoxen Kirche an. Während der Kämpfe wurden vereinzelt auch Übergriffe auf Kirchen und Klöster gemeldet. Die Gewalt war jedoch nicht religiös, sondern politisch motiviert.

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