Hilfswerke besorgt über Lage der Christen und anderer Minderheiten in Afghanistan

Die 2009 fertig gestellte Abdul-Rahman-Moschee ist eine der größten Moscheen Afghanistans.
Die 2009 fertig gestellte Abdul-Rahman-Moschee ist eine der größten Moscheen Afghanistans.
Daniel Wilkinson / US-Außenministerium / Wikimedia (CC0)
Thomas Heine-Geldern
Thomas Heine-Geldern
ACN
Archvibild von Kämpfern der Taliban des Jahres 2010
Archvibild von Kämpfern der Taliban des Jahres 2010
ISAF / isafmedia / Wikimedia (CC BY-SA 2.0)
Taliban-Anführer Hibatullah Achundsada
Taliban-Anführer Hibatullah Achundsada
VOA / Wikimedia c(CC0)

Afghanistans verängstigte Christen müssen sich nach der Übernahme der Macht durch die Taliban auf eine neue Runde der Verfolgung gefasst machen, warnen christliche Führer und Hilfsorganisationen.

"Wir raten den Menschen, in ihren Häusern zu bleiben, weil es jetzt zu gefährlich ist, hinauszugehen", sagte ein afghanischer Christenführer gegenüber der Hilfsorganisation International Christian Concern (ICC).

Der Mann, dessen Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt wurde, sagte, dass die wenigen Christen im Lande befürchteten, dass die Taliban bald Christen ins Visier nehmen könnten.

Afghanistan ist zu über 99 Prozent muslimisch, die Mehrheit davon sind Sunniten. Es gab bis zur Evakuierung westlicher Staatsbürger und Ortskräfte etwa 200 Katholiken im Land. Heute sollen sich Schätzungen zufolge bis zu 10.000 Personen christlichen Glaubens im Land befinden, ebenso vereinzelt Buddhisten und Hindus.

Nach der strengen Auslegung der Scharia, die auch in Afghanistan vor der Machtübernahme durch die Taliban galt, wird der Abfall vom Islam als Apostasie betrachtet und mit dem Tod bestraft. Konvertiten vom Islam zum Christentum sind daher im Visier islamischer Extremisten.

"Es ist eine unsichere Situation für das ganze Land", hieß es in einer Erklärung des Leiters von Open Doors in Asien, einer überkonfessionellen Mission zur Unterstützung verfolgter Christen.

Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten waren bis zum 21. Mai etwa 100.000 Menschen in diesem Jahr ausgewandert oder vertrieben worden. Diese Zahl hat sich seitdem Schätzungen zufolge verdoppelt.

Vor der Machtübernahme durch die Taliban setzte Open Doors Afghanistan auf seiner Weltbeobachtungsliste auf Platz zwei, was die Verfolgung anbelangt, die "nur geringfügig weniger repressiv ist als in Nordkorea".

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Das Hilfswerk "Kirche in Not" - Aid to the Church in Need (ACN) - äußerte ähnliche Bedenken. Thomas Heine-Geldern, der Exekutivpräsident von ACN, ermutigte die internationale Gemeinschaft, "ihre Stimme zum Schutz der Menschenrechte für alle Bürger Afghanistans zu erheben, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass nach unserer Einschätzung die Religionsfreiheit besonders bedroht sein wird".

Mit der Wiedererlangung der Kontrolle über Afghanistan durch die Taliban und der Umbenennung des Landes von "Islamische Republik Afghanistan in "Islamisches Emirat Afghanistan", so Heine-Geldern, "können wir erwarten, dass der sunnitische Islam die offizielle Religion sein wird, die Scharia wieder eingeführt wird und die in den letzten 20 Jahren hart erkämpften Freiheiten für die Menschenrechte, einschließlich eines relativen Maßes an Religionsfreiheit, zurückgenommen werden".

ACN hat in den letzten 22 Jahren einen jährlichen Bericht über die Religionsfreiheit veröffentlicht. Afghanistan "war immer unter den Ländern, die dieses Grundrecht am meisten verletzen", sagte Heine-Geldern, insbesondere in den letzten drei Jahren.

"Unsere Analyse lässt leider nicht viel Raum für Hoffnung" auf Besserung in dieser Hinsicht, erklärte er. "Alle, die nicht die extremen islamistischen Ansichten der Taliban vertreten, sind gefährdet, auch die gemäßigten Sunniten".

Alle religiösen Minderheiten, einschließlich der Anhänger anderer islamischer Sekten, "werden unter noch größerer Unterdrückung leiden".

"Dies ist ein großer Rückschlag für alle Menschenrechte und insbesondere für die Religionsfreiheit in diesem Land", sagte er.

Heine-Geldern äußerte außerdem die Sorge, dass die Zahl der Länder, die das Islamische Emirat Afghanistan anscheinend anerkannt haben, "nicht nur die Taliban legitimiert, sondern auch autoritäre Regime in der ganzen Welt, insbesondere in der Region, ermutigt".

"Die internationale Anerkennung der Taliban wird auch als Magnet für kleinere radikal-islamische Gruppen wirken und eine neue Konstellation religiöser terroristischer Gruppierungen schaffen, die historische Formationen wie Al-Qaida und den Islamischen Staat verdrängen könnten", sagte er und fügte hinzu, dass dies die ohnehin schon bedrückende Situation für religiöse Minderheiten in der Region weiter verschlechtern würde.

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Heine-Geldern sagte, dass der Regimewechsel "zahllose heikle diplomatische Fragen" in Bezug auf den Zustand der Menschenrechte in Afghanistan aufgeworfen habe.

"Die Tatsache, dass die meisten westlichen Botschaften geschlossen werden und internationale Beobachter abreisen, wie sie es 2011 in Syrien taten, ist kein gutes Zeichen."

Ein Jesuitenpater, der 2014 von den Taliban in Afghanistan gefangen gehalten wurde, gab der internationalen Gemeinschaft die Schuld an der aktuellen politischen Krise im Land.

Pater Alexis Prem Kumar, der von Juni 2014 bis Februar 2015 in Taliban-Gefangenschaft war, sagte, die amerikanische Intervention in Afghanistan habe wenig zur Stärkung des afghanischen Volkes beigetragen.

In einem Interview mit der katholischen Nachrichtenseite "Matters India" sagte der Priester, dass der Frieden nur dann nach Afghanistan zurückkehren werde, "wenn die internationale Gemeinschaft das Land seinen eigenen Leuten überlässt."

Pater Kumar, ehemaliger Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, fügte hinzu, dass die internationale Gemeinschaft "für die Übernahme Afghanistans durch die Taliban verantwortlich ist."

"Im Jahr 2001, als die US-Streitkräfte in Afghanistan einmarschierten, gab es nicht viel Widerstand von Seiten der Taliban", sagte der Priester, der fünf Jahre lang in dem Land gearbeitet hat.

"Jetzt, 20 Jahre später, als die Taliban die großen Städte Afghanistans erobert haben, gab es auch nicht viel Widerstand", fügte er hinzu.

"Das wirft die Frage nach der Existenz und dem Zweck der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan auf", so Kumar.

Die afghanische Regierung hatte am 15. August erklärt, die Macht friedlich an die Taliban abzugeben. Kabul, die Hauptstadt Afghanistans, wurde unter dem afghanischen Anführer Hibatullah Achundsada kampflos eingenommen und wenig später das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Der bisherige afghanische Präsident, Ashraf Ghani, war bereits zuvor aus dem Land geflohen.

Die Taliban verkündeten wenig später eine Generalamnestie und versicherten gegenüber Medien, das Land vereint und friedlich führen zu wollen. Westliche Medienberichte bezweifeln diese Darstellung der Machthaber.

Die Taliban hatten Afghanistan bereits von 1996 bis 2001 kontrolliert. Während dieser Zeit wurde eine strenge Auslegung der Scharia durchgesetzt. So war unter anderem das Spielen von Musikinstrumenten verboten, und Mädchen sollten ab einem bestimmten Alter nicht mehr zur Schule gehen.

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Übersetzt, gekürzt und redigiert aus dem englischen Original.