Bosnien: "Wurzeln der katholischen Minderheit können nicht ausgerottet werden"

Früherer Erzbischof von Sarajewo zieht Bilanz, erklärt, was den Exodus bei den Katholiken weiter vorantreiben wird

Wallfahrt katholischer Kroaten im Erzbistum Vrhbosna
Wallfahrt katholischer Kroaten im Erzbistum Vrhbosna
Kirche in Not
Kardinal Puljić, emeritierter Erzbischof von Vrhbosna (Sarajewo
Kardinal Puljić, emeritierter Erzbischof von Vrhbosna (Sarajewo
Kirche in Not
Im Krieg zerstörte Kirche im Erzbistum Vrhbosna.
Im Krieg zerstörte Kirche im Erzbistum Vrhbosna.
Kirche in Not
Sarajewo
Sarajewo
Terekhova / Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Es ist das Ende einer Ära: 31 Jahre lang war Vinko Kardinal Puljić Erzbischof von Vrhbosna mit Sitz in Sarajewo. Ende Januar ist er in Ruhestand gegangen. In seine Amtszeit fielen der Bosnienkrieg und die schwierigen Aufbaujahre danach. Im Interview mit Volker Niggewöhner vom weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ spricht der Kardinal über die anhaltenden Spannungen und die Benachteiligung der katholischen Minderheit in Bosnien und Herzegowina.

Volker Niggewöhner: Herr Kardinal, Sie wurden Ende 1990 zum Erzbischof von Vrhbosna (Sarajewo) ernannt. Haben Sie damals bereits geahnt, welche schweren Zeiten den Menschen im ehemaligen Jugoslawien bevorstehen?

Vinko Kardinal Puljić: Ich hatte es damals nicht geahnt, obwohl mir klar war, dass der Übergang vom Kommunismus zu einem demokratischen System nicht einfach sein wird. Als mich Papst Johannes Paul II. verpflichtet hatte, diesen Dienst anzunehmen, hat er gesagt, dass schwere Zeiten auf uns zukommen werden. Ich erinnere mich ganz gut an seine Worte bei meiner Bischofsweihe: „Sei mutig, die Kirche sendet dich, du gehst nicht in deinem eigenen Namen!“

Die ersten Jahre Ihres bischöflichen Dienstes waren durch den Krieg geprägt, der im April 1992 begann. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Als der Krieg ausbrach und ich die Nachrichten bekam von den Zerstörungen und Vertreibungen, fühlte ich mich wie Hiob. Ich habe zu viel Blut gesehen, so viele Tote und Verletzte, so viel Schmerz erlitten. So oft bin ich selbst in Gefahr gewesen. Ich wurde damals gefragt, ob ich Angst habe. Meine Antwort: Auch ich bin nur ein Mensch, aber die Liebe, die mich trägt und führt, um die Menschen zu ermutigen und zu trösten, ist viel stärker.

Ein Krieg hinterlässt immer Wunden in den Seelen der Betroffenen. Was haben Sie als Kirche unternommen, um Frieden und Versöhnung zu stiften?

Während des Krieges hat die Kirche versucht, den Menschen beim Überleben zu helfen. Die Hilfe wurde immer unabhängig von der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit verteilt. Wir haben auch schon während des Krieges versucht, den Weg des interreligiösen Dialogs einzuschlagen; nach dem Krieg haben wir einen „Interreligiösen Rat“ gegründet, in dem wir einen Geist des Dialogs und des Friedens pflegen.

Das Abkommen von Dayton beendete 1995 nach dreieinhalb Jahren den Krieg in Bosnien und Herzegowina. Wie blicken Sie auf die Entwicklung seither?

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Das Abkommen hat dem Krieg ein Ende gesetzt, aber leider brachte es keinen gerechten Frieden. Es war ein großer Fehler der Weltgemeinschaft, unser Land Bosnien und Herzegowina in zwei Teile zu spalten. Damit haben die Mächtigen die ethnischen Säuberungen legalisiert. Sie haben eine staatliche Struktur geschaffen, die nicht funktionieren kann.

Die Bestimmungen des Friedensvertrages von Dayton, die unter anderem auch die Unterstützung von rückkehrwilligen katholischen Flüchtlingen vorsah, sind bis heute nicht umgesetzt. Warum nicht?

Das Geld, das als Unterstützung für die Rückkehr der Flüchtlinge geschickt wurde, gelangte nicht in die Hände der Menschen. Es kam in die Hände der Regierung, die nicht viel für die Rückkehr getan hat.

Sie haben immer wieder einen „verborgenen Exodus“ der Christen aus Bosnien-Herzegowina beklagt, der bis heute anhält. Was sind die Gründe dafür?

Zuerst sind es wirtschaftliche Gründe, dass die Menschen aus dem Land gehen. Ich denke aber, dass das Unrecht und die Ungerechtigkeit eine noch größere Rolle spielen. Hier gilt nicht gleiches Recht für alle. Das politische Spiel mit dem Wahlrecht zum Beispiel hat die Menschen müde gemacht: Die Kroaten, die in Bosnien und Herzegowina fast alle katholisch sind, bilden die kleinste ethnische Gruppe der gesamten Bevölkerung im Lande, etwa 17 Prozent. Bei den Wahlen aber wählen die muslimischen Bosniaken Vertreter für die die kroatische Bevölkerung in die Regierung. Diese Tatsache wird den Exodus bei den Katholiken weiter vorantreiben.

Gibt es weitere Benachteiligungen für Katholiken?

Benachteiligungen gibt es sowohl vor dem Gesetz als auch in der Öffentlichkeit. Wenn sich jemand darüber beschwert, wird er sofort in Medien und auch in der Politik angegriffen.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der katholischen Kirche in Bosnien und Herzegowina?

Die katholische Kirche in Bosnien und Herzegowina hat in ihrer Geschichte sehr schwierige Zeiten überstanden, vor allem das kommunistische Regime. Ich glaube, sie hat immer noch die Kraft, auch die aktuell schwierigen Zeiten zu überstehen. Unsere Wurzeln sind hier so tief, dass sie nicht leicht ausgerottet werden können.

Sie sind ein langjähriger Projektpartner von „Kirche in Not“. Wie haben Sie in den vergangenen 31 Jahren die Zusammenarbeit erlebt?

Wir mussten hier nach dem Krieg viele zerstörten Kirchen und andere Gebäude wieder aufbauen. Da der Staat den Wiederaufbau von Kirchen nicht unterstützt hat, war die Hilfe, die wir von „Kirche in Not“ erhielten, für uns von großer Bedeutung. Besonders dankbar sind wir auch für die Unterstützung einiger pastoralen Aktivitäten, wie der Synode in unserer Erzdiözese. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um allen Wohltätern meinen herzlichen Dank auszusprechen. Werden Sie nicht müde, das Gute zu tun!