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Philosoph Hüntelmann im Gespräch: Was versteht man unter der Autonomie des Gewissens?

Die Erschaffung Adams

Rafael Hüntelmann, geboren 1958 in Düsseldorf, ist ein deutscher Philosoph, Verleger und Autor, der sich intensiv mit scholastischer Philosophie auseinandersetzt. Als Gründer und Leiter des Verlags editiones scholasticae sowie Geschäftsführer des Instituts für Thomistische Philosophie hat er entscheidend zur Verbreitung thomistischen Gedankenguts beigetragen. Hüntelmann lehrt Philosophie am Internationalen Priesterseminar St. Petrus in Wigratzbad und an der Baronius-Akademie in Berlin. In diesem Interview mit CNA Deutsch spricht er über die Autonomie des Gewissens und wie sie aus der Sicht der scholastischen Philosophie zu bewerten ist.

Was ist das Gewissen?

Hier liegen eine Reihe von Missverständnissen vor, die beseitigt werden sollten, bevor man über die Autonomie des Gewissens spricht.

Das Wort „Gewissen“ setzt sich zusammen aus der Vorsilbe „Ge-„ und „Wissen“. Die Vorsilbe Ge- bedeutet etymologisch so viel wie „zusammen“ oder „mit“. Damit bezeichnet das Gewissen ein „Mit-Wissen“. Dieses Mitwissen ist ein Wissen darüber, was moralisch richtig ist. Das Gewissen ist also kein Gefühl oder Teil eines anderen seelischen Vermögens oder gar ein eigenes Vermögen, wie die Werteethik meint, sondern es gehört zum Verstand.

Das Gewissen ist ein echtes Wissen des praktischen Verstandes, der auf moralische Prinzipien angewendet wird. Die Tätigkeit des Gewissens ist das moralische Urteil, d. i. das Gewissensurteil. Dieses richtet sich nach objektiven Kriterien und urteilt über die moralische Qualität einer Handlung, also Gut und Böse (oder unter bestimmten Bedingungen: neutral). Es geht im Gewissen also um die Anwendung theoretischer Erkenntnisse, nämlich des Sittengesetzes, bzw. des Naturrechts, auf konkrete Situationen und Handlungen. Und das funktioniert im Prinzip wie bei einem logischen Schluss nach der Art: Lügen ist moralisch verwerflich. In einer bestimmten Situation stehe ich vor der Frage, ob ich einer Person die Wahrheit sagen soll oder nicht. Der Schluss des Gewissens lautet: „Sage die Wahrheit!“

Was verstehen Sie unter der Autonomie des Gewissens und wo hat diese Idee ihren Ursprung?

Die Rede der Gewissensautonomie hat ihren Ursprung in der Aufklärung der frühen Neuzeit, wird aber besonders prominent durch Immanuel Kants Moralphilosophie. Autonomie des Gewissens bedeutet, dass das Gewissen unabhängig von äußeren Faktoren, Gesetzen, Zwängen oder Autoritäten moralische Urteile fällen kann. Da das Gewissen in diesem Verständnis so etwas wie eine innere Stimme ist, gibt es dem Menschen aus seiner Autonomie heraus die Fähigkeit zu einem solchen Urteil.

Die Autonomie bedeutet die Selbstbestimmung, die Selbstgesetzgebung des Menschen aus seiner Vernunft. Die Person ist nach Kant gewissermaßen Selbstgesetzgeber und darin besteht nach Kant die Würde des Menschen. Die Frage ist, woher die „innere Stimme“ ihre Gesetze bezieht, wo der Ursprung dieser autonomen Gewissensurteile ist. Vor allem bleibt offen, worauf das Gewissen gerichtet ist, der Gegenstand des Gewissens, also die Ziele und Zwecke. Handelt es sich um eingegossene Ideen?

Kann das Gewissen auch verbildet sein, und wie hat die Scholastik bzw. Neuscholastik dieses Problem behandelt?

Da es sich bei der Tätigkeit des Gewissen um ein Urteilen handelt, kann es auch zu Fehlurteilen kommen. Nach Thomas von Aquin und der scholastischen Philosophie insgesamt ist die sinnliche Erkenntnis immer gewiss (unter den natürlichen Voraussetzungen, dass z. B. keine Krankheit der Sinne vorliegt etc.). Das Gleiche gilt bei der Erfassung von Begriffen, d. h. den Wesenheiten. Ein Urteil besteht aber aus der Zusammensetzung von Begriffen und hier kann es zu falschen Urteilen kommen. Das gilt natürlich auch für die Urteile des Gewissens.

Kommt es häufiger zu solchen moralischen Fehlurteilen in einer bestimmten Angelegenheit, – sagen wir im Bereich der Sexualität – dann kann dadurch das Gewissen verbildet werden. Zu solchen Fehlurteilen des Gewissens und zu einer Verbildung des Gewissens kommt es nach scholastischer Auffassung öfter, wenn ein klares Gewissensurteil durch die Vorherrschaft der Sinnlichkeit getrübt wird und dann gegen das Gewissensurteil gehandelt wird. Dies führt auf die Dauer zu einem verbildeten Gewissen.

Philosophen wie Immanuel Kant argumentierten, dass das Gewissen Ausdruck der praktischen Vernunft ist und dass der Mensch moralisch verpflichtet ist, seinem Gewissen zu folgen, unabhängig von äußeren Autoritäten. Inwiefern irren moderne Philosophen wie Kant in Bezug auf die Autonomie des Gewissens und wo haben diese Irrtümer Einfluss genommen auf die Theologie?

Wie bereits einleitend gesagt, ist das Gewissen ein Vermögen der praktischen Vernunft und insofern hat Kant natürlich Recht. Auch Thomas von Aquin und die meisten Scholastiker sind der Auffassung, dass der Mensch seinem Gewissen folgen muss und zwar auch einem irrenden Gewissen. Der Grund dafür lässt sich folgendermaßen verständlich machen: Oft meldet sich das Gewissen bereits, bevor eine moralisch relevante Handlung ausgeführt wird.

Nehmen wir an, dass das Gewissensurteil über die in Frage stehende Handlung falsch ist, dass ich aber davon überzeugt bin, dass mein Gewissensurteil richtig ist. Zunächst gibt es eine Verpflichtung, mich gut zu informieren und mir ggf. Rat zu holen. Setzen wir voraus, ich habe mich soweit wie möglich informiert und auch beraten lassen, bin aber weiterhin davon überzeugt, dass das, was mir mein Gewissen sagt, richtig ist. Muss ich in einem solchem Fall meinem (irrenden) Gewissen folgen?

Ganz allgemein gilt, dass ein richtiges Gewissensurteil nichts anderes ist als ein zutreffendes Urteil über das objektive moralische Gesetz (anders gesagt: das Naturrecht). Das Gewissen wendet dieses moralische Gesetz auf eine bestimmte Handlung in einer bestimmten Situation an und deshalb muss ich grundsätzlich dem Gewissensurteil folgen. Dies gilt aber ebenso für ein irrendes Gewissen, also ein Gewissensurteil, bei dem ich nicht, trotz verschiedener Bemühungen um Information und Rat, mein gefasstes Urteil für richtig halte.

Die Philosophie spricht in diesem Fall von einem „unüberwindlich irrenden Gewissen“. Ich muss dann diesem Urteil folgen, denn ich bin (wenn auch irrtümlicherweise) davon überzeugt, dass mein Urteil dem objektiven moralischen Gesetz entspricht. Dem Gewissensurteil ist in jedem Fall zu folgen. Anderenfalls würde ich nicht das Gute wollen, das durch das objektive moralische Gesetz ausgedrückt wird, sondern etwas Böses.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Das Gewissen sagt mir, dass die geplante Handlung gut ist. Dies alles setzt allerdings voraus, dass ich alles unternehme um ein falsches Urteil ggf. zu revidieren. Denn sobald ich mir bei meinem Gewissenurteil nicht sicher bin, bin ich verpflichtet, nicht zu handeln, sondern mich weiter zu informieren und an geeigneter Stelle Rat zu holen. Hier gibt es eine Unterscheidung zwischen einem theoretischen und praktischen Zweifel, worauf ich nicht weiter eingehen möchte (vgl. Bernhard Kälin: Ethik, S. 75f.).

Der zweiten Teil der Frage betrifft nun die von Kant und anderen modernen Philosophen vertretene Auffassung der Autonomie des Gewissens. Allerdings sollte betont werden, dass die moderne Auffassung von Autonomie sich von der kantischen Auffassung unterscheidet. Nach Kant unterliegt die Autonomie des rationalen Wesens dem Sittengesetz. Seine Theorie des Sittengesetzes ist allerdings äußerst schwach, denn es gibt bei Kant faktisch kein im echten Sinne objektives Sittengesetz im Sinne der traditionellen aristotelisch-scholastischen Philosophie.

Der moderne Autonomiebegriff wurde und wird hingegen beeinflusst vom Existenzialismus, der relativistischen und postmodernen Ethik. Hier wird der Begriff „Autonomie“ äquivalent zu den Begriffen der „Selbstbestimmung“ und „Selbstgesetzgebung“ verwendet, bzw. der Entscheidung eines freien Wesens für sich selbst zu entscheiden.

Dieser Autonomie wird dann alles andere untergeordnet, so z. B. auch das vermeintliche „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ oder ein „Recht auf Abtreibung“. Hier hätte Kant deutlich widersprochen, auch wenn seine Argumente für diesen Widerspruch schwach sind, denn er kann nicht erklären, warum solche vermeintlichen „Rechte“ dem von ihm gemeinten „Sittengesetz“ auf der Grundlage einer moralischen Autonomie widersprechen. Das kantische „Sittengesetz“ wird durch den Willen der Person gesetzt.

Der Gedanke der Autonomie ist falsch. „Denn wir sind nicht der Ursprung unserer eigenen Natur als Menschen, d.h. als rationale Sinnenwesen, und können dies auch niemals sein. Wir sind als solche vernunftbegabte Sinnenwesen erschaffen worden und finden uns als solche in dieser Welt vor. Daher kann es nicht sein, dass die Vernunft sich selbst ihre Gesetze gibt. Die Gesetze, unter denen der Mensch steht, sind Gesetze, die aus seiner rationalen Natur folgen und durch die diese Natur vervollkommnet wird. Thomas von Aquin thematisiert selbst die Frage, ob der Mensch Ziel seiner selbst ist, und bestreitet dies (S. Th. I-II 3.5). Er argumentiert, dass nur etwas, das außerhalb des Menschen liegt, sein Ziel sein kann, denn alle Dinge sind auf ein Gut gerichtet, das das letzte Ziel aller Dinge ist, und dies ist Gott“ (R. Hüntelmann: Natürliche Ethik, S. 135).

Für die Theologie ist es grundsätzlich unmöglich, die menschliche Autonomie an die oberste Stelle zu setzen, denn der gläubige Mensch – unabhängig von einer bestimmten Religion – untersteht Gott und Gott allein ist im echten Sinne autonom. Wenn daher der Begriff der personalen Autonomie in der Theologie auftaucht, muss man Gott einen untergeordneten Platz in der Theologie zuordnen bzw. man verteidigt eine deistische Theologie, bei der Gott den Menschen als „autonomes Wesen“ erschaffen hat und ihn anschließend sich selbst überlässt. Eine solche Theologie ist jedenfalls mit keiner Offenbarungsreligion vereinbar.

Luthers berühmte Aussage „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ bei seinem Auftritt vor dem Reichstag in Worms 1521 verdeutlicht, wie wichtig ihm das individuelle Gewissen war, insbesondere in seiner Opposition gegen die kirchliche Autorität. Ist es legitim, die Autonomie des Gewissens zu nutzen, um Reformen innerhalb der katholischen Kirche zu fordern, wie es beispielsweise der Synodale Weg tut? Warum nicht?

Wenn man von einem „autonomen Gewissen“ ausgeht, dann kann man sich auch auf dieses berufen, um Reformen in der Kirche, bzw. um eine Revolution in der Kirche – denn darum handelt es sich beim Synodalen Weg tatsächlich – durchzusetzen.

Bei dieser Frage geht es vor allem darum, was das Gewissen ist und worauf es sich bezieht. Das Gewissen ist kein bloß subjektives Urteilsvermögen, mit dem sich nach eigenem Belieben über moralische Sachverhalte urteilen lässt. Der erste Gegenstand des Gewissens ist das Gute und zwar das höchste Gut. Das höchste Gut ist, philosophisch bzw. mit Aristoteles gesagt, die Glückseligkeit und theologisch ist diese Glückseligkeit identisch mit Gott bzw. der Gemeinschaft mit Gott. Jede einzelne Handlung des Menschen ist grundsätzlich auf dieses allgemeine Gut gerichtet.

In allem was wir erstreben und wollen, wollen wir Glückseligkeit. Dieses Ziel des menschlichen Lebens kann aber auch verfehlt werden und es wird nur erreicht, durch die Beachtung des Naturrechts. Das Naturrecht ist ein objektives Gesetz, das in „die Herzen der Menschen eigeschrieben ist“, wie Paulus sagt und das wir durch das Gewissen erkennen. Das oberste Gesetz des Naturrechts ist selbstevident und lautet: „Man soll das Gute tun und das Böse lassen“. Prinzipiell könnten alle anderen Gebote und Verbote aus diesem obersten Gesetz abgeleitet werden, wie Thomas von Aquin meint, aber da unser Erkenntnisvermögen beschränkt ist, können wir uns bei der Ableitung und der Anwendung auf konkrete Situationen irren. Wenn wir uns irren sind wir verpflichtet, diesen Irrtum zu korrigieren und alles zu unternehmen, um unser Urteil zu überprüfen.

Beim Satz Luthers „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ kommt es darauf an, worauf er diese Aussage bezieht und ich glaube nicht, dass Luther dies im Sinne der Autonomie verstanden hat. Wenn das individuelle Gewissen von den Normen des Naturrechts und theologisch von der Offenbarung abweicht, gibt es kein Recht, andere dahin zu bringen, dass sie meinen eigenen Überzeugungen folgen, auch wenn ich selbst dieser Überzeugung folgen sollte und zwar mit allen Konsequenzen, die mir u. U. daraus erwachsen.

Bei der Forderungen des sogenannten Synodalen Wegs handelt es sich in vielen Fällen um moralische Fragen, bei denen deren Vertreter eine Position vertreten, die sehr deutlich dem Naturrecht und der Lehre der Kirche widersprechen. Ich glaube daher, dass dies keine Angelegenheit des gebildeten Gewissens sein kann, da ganz offensichtlich ist, dass z. B. die Forderungen nach einer Änderung der Sexualmoral vollkommen dem Naturrecht und ebenso der Offenbarung und der verbindlichen Lehre der Kirche widersprechen. Ich glaube, dass kein halbwegs gebildetes Gewissen der Überzeugung sein kann, dass praktizierte Homosexualität, voreheliche sexuelle Beziehungen oder Kontrazeption – um nur drei Beispiele zu nennen – moralisch gut sind. Nur durch eine völlige Verkennung des Ziels und Zwecks der Sexualität kann man derartige Praktiken rechtfertigen.

Die Ursache dafür, dass man gleichwohl solche Praktiken rechtfertigt, liegt m. E. darin, dass der „Ruf des Gewissens“ über längere Zeit überhört bzw. ignoriert wurde. Hinzu kommen in der westlichen Welt auch die gesellschaftlichen Umstände, die das Gewissen korrumpieren, wie dies z. B. auch in der islamischen Welt mit der Vielehe geschieht.

Einige Forderungen des synodalen Wegs betreffen weniger moralische als vielmehr dogmatisch-theologische Fragen. Entscheidungen des verbindlichen Lehramts stehen ein für alle Mal fest und können nicht revidiert werden. Wenn ich mit dieser Lehre der Kirche nicht übereinstimme, werde ich die Kirche verlassen und mich einer Gemeinschaft anschließen, die meine Auffassung teilt, mit den Konsequenzen, die daraus erwachsen.

Inwieweit ist die Autonomie des Gewissens als Prinzip tatsächlich realitätsfern, und welche philosophischen Annahmen oder Fehler könnten dazu führen, dass dieses Konzept als illusorisch erscheint?

Diese Frage wurde bereits beantwortet. Autonomie im heutigen Verständnis bedeutet in Bezug zur Moral „Selbstgesetzgebung“. Bei Kant ist diese Selbstgesetzgebung an die Vernunft gebunden, es ist die Vernunft, die sich ihre Gesetze selbst gibt. Dabei ist eine Beliebigkeit ausgeschlossen, denn nach Kants formaler Ethik lautet das Prinzip der Selbstgesetzgebung, dass ich stets so handeln muss, dass die Maxime meiner Handlung jederzeit zum allgemeinen Gesetz werden kann. Ließe sich mit Kant in Bezug zur Sexualethik die Maxime setzen: „Praktiziere deine Sexualität völlig frei und uneingeschränkt, sofern du keiner anderen Person einen Schaden zufügst“?

Diese Maxime liegt heute, ob bewusst oder unbewusst, der modernen, autonomen Sexualmoral zugrunde. Kant würde diese Maxime schon deshalb ausschließen, weil sie selbstbezogen ist und die eigene Befriedigung im Blick hat, was nach Kant radikal ausgeschlossen werden muss. Er kritisiert auf dieser Grundlage sogar die klassische Ethik, da diese nach Glückseligkeit strebt. Wenn diese Selbstbezogenheit nicht ausgeschlossen würde, könnte ich mir z.B. auch die Maxime setzen, reich und vermögend zu werden. Nach Kant muss die autonome Vernunft alle subjektiven Intentionen vollständig ausschließen, um eine objektive Ethik zu konstruieren. Davon sind Vertreter der modernen autonomen Ethik weit entfernt. Hier wird der Begriff „Autonomie“ oft im Sinne einer subjektiven Autonomie, einer freien, ungebundenen Selbstbestimmung verstanden, die allenfalls durch die „Freiheit der Anderen“ beschränkt werden darf. Dieser Autonomie werden alle anderen moralischen Gebote untergeordnet, wie heute z.B. besonders bei der Diskussion über die Euthanasie deutlich wird. Aus dem Begriff der „Autonomie“ wird das „Recht auf einen selbstbestimmten Tod“ abgeleitet.

Vieles in der Euthanasiedebatte hängt am Begriff der „Verfügbarkeit“ bzw. am Begriff der „Veräußerlichung“. Verfüge ich allein über mein Leben oder ist das Leben unverfügbar? Ist das Leben veräußerlich, wie mein Auto oder mein Haus, oder ist das Leben unveräußerlich? In der Euthanasiedebatte gilt als oberstes Argument: Alle Rechte sind veräußerbar. Es gibt ein Recht auf Leben. Das Recht auf Leben ist veräußerbar.

Dass diese Argumentation zwar logisch gültig aber falsch ist, liegt an der ersten Prämisse. Veräußerbar sind im Prinzip Eigenschaften wie mein Haus, meine Haarfarbe oder mein Eigentum. Aber mein Leben ist keine Eigenschaft, sondern das, was diesen Eigenschaften zugrunde liegt und daher ist das Leben nicht veräußerbar. Dazu könnte und müsste noch viel mehr gesagt werden, was aber hier nicht zur Debatte steht.

Jede menschliche Handlung ist auf ein Ziel gerichtet, das in Bezug zu dem Endziel des Menschen nur ein Mittel ist. Die Zwischenziele werden erst durch das Endziel sinnvoll. Zwischenziele kann ich mir natürlich jederzeit selbst setzen, doch das Endziel muss auf jeden Fall ein objektives, vorgegebenes Ziel sein und dies ist in philosophischer Sichtweise die Glückseligkeit.

Was Glückseligkeit bedeutet kann nicht dem subjektiven Gutdünken überlassen sein, sondern ist objektiv vorgegeben. Dies bedeutet zugleich, dass der Weg zum Endziel ebenfalls einen objektiven Charakter hat und dies ist das Sittengesetz oder das Naturrecht. Dieses folgt aus der menschlichen Natur, aus seinem Wesen und wer gegen das Naturrecht verstößt, der handelt gegen seine eigene Natur und so gegen die Glückseligkeit, d.h. er wird, sofern er nicht umkehrt, niemals glücklich werden. Eine autonome Moral würde bedeuten, dass sich der Mensch nicht nur die Zwischenziele, sondern auch das Endziel selbst setzt. Er wäre sich selbst Weg und Ziel allen Handels, ohne objektive Grundlage.

Das eigentliche Problem der autonomen Moral liegt viel tiefer und betrifft die Metaphysik. Denn Vertreter einer Autonomie des Menschen werden weder das Naturrecht anerkennen, noch ein Wesen oder eine objektive Natur des Menschen, aus der sich das Naturrecht ergibt. Daher müsste die Diskussion zunächst bei dieser metaphysischen Frage ansetzen. Die gesamte klassische Morallehre und die traditionelle Moraltheologie haben zur Voraussetzung, dass es eine objektive, unveränderliche menschliche Natur gibt, aus der sich ein objektives Sittengesetz ergibt. Werden diese Voraussetzungen in Frage gestellt, was bereits seit dem Spätmittelalter bei William Ockham der Fall ist, dann gibt es keine gemeinsame Grundlage mehr für eine Debatte mit Vertretern der Autonomie des Menschen.

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