Wie hat ein deutscher Soldat und Katholik den Zweiten Weltkrieg erlebt?

Johannes Lünig und seine Frau Lucia
Johannes Lünig und seine Frau Lucia
Credit: Johannes Lünig
Johannes Lünig mit Kameraden
Johannes Lünig mit Kameraden
Credit: Johannes Lünig
Johannes Lünig in Italien
Johannes Lünig in Italien
Credit: Johannes Lünig

Im Zweiten Weltkrieg waren auf deutscher Seite gezwungenermaßen auch viele Katholiken im Einsatz. Wie haben sie den Krieg als überzeugte katholische Christen erlebt? CNA Deutsch sprach mit einem ehemaligen Soldaten über seine Erfahrungen.

Können Sie sich den Lesern kurz vorstellen?

Mein Name ist Johannes Lünig. Am 2. September dieses Jahres werde ich 99 Jahre alt. Als gläubiger Katholik bin ich in Halberstadt aufgewachsen. Während meiner Schulzeit besuchte ich das dortige Franziskanergymnasium. In Halberstadt war ich in der Pfarrei St. Andreas einer von 32 Ministranten, die jeden Sonntag in der Messe dienten. Wohlgemerkt ohne – wie heute oft der Fall – weibliche Messdiener. Meine Mutter hat mich und meine Geschwister katholisch erzogen und die ganze Familie ging sonntags zur Messe. Vor dem Krieg habe ich in der Pfarrei in Halberstadt eine katholische Jugendgruppe geleitet. Der Pfarrer hatte uns an vielen Wochenenden mit zwei Bannern – einem Christus- und einem blauen Marienbanner – auf die Huysburg mitgenommen. Später, nach dem Krieg, gab es dort noch lange ein Priesterseminar.

Leider hat uns der Rektor der Franziskanerschule, als Hitler an die Macht kam, in die Hitlerjugend umgewandelt. Dann mussten wir in Sechserreihen mit Landsknechtstrommeln durch Halberstadt marschieren. Zwölf Novizen der Franziskanerschule mussten in die Waffen-SS eintreten. Wer sich weigerte, wurde standrechtlich erschossen. 1942 kam mein Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, und ich erhielt in der Schlacht bei Monte Cassino das Eiserne Kreuz 2. Klasse und später das Verwundetenabzeichen, da ich dort mein Bein verlor.

An welchen Fronten haben Sie während des Zweiten Weltkrieges gekämpft?

Ausgebildet wurde ich in Göttingen bei der 71. Infanterie-Division im 211. Reiterzug: Ich meldete mich freiwillig als Reiter, da man dort einige Vorteile gegenüber der Infanterie genoss. Die Division nahm an der Schlacht um Moskau teil, wurde dort aufgerieben und zur Auffrischung nach Deutschland zurückverlegt. Zuerst kamen wir nach Dänemark, wo wir weiter ausgebildet wurden. Hier gab es besseren Sold und gutes Essen, worüber wir uns alle sehr freuten. Dann ging es weiter nach Triest, das auf dem Balkan liegt. Von dort aus kämpften wir gegen die Partisanen in Lipica, die dort immer wieder Pferde stahlen. Dort gibt es nämlich eine der besten Pferderassen der Welt. Unsere Einheit ritt los, um die Pferde zu verteidigen. Es gelang uns, die Partisanen in die Flucht zu schlagen und sie zu retten. Nach dem Krieg schrieb mir das Gestüt sogar und lud meine Familie und mich zu einem Besuch ein. Nach diesem Erfolgserlebnis wollte ich mich erst in Triest freiwillig für das Afrikakorps melden. Die passende Wüstentarnuniform hatte ich schon bekommen. Doch daraus wurde nichts, denn Rommel musste sich aus Afrika zurückziehen. So wurde ich nach Castel Gandolfo verlegt, wo unsere Tagesrationen sehr dürftig waren. Wir bekamen nur eine Schnitte am Tag. Zum Glück erlaubte uns unser Offizier an Weihnachten 1943 eine Sonderverpflegung und wir sangen mit der ganzen Einheit Weihnachtslieder. Dann ging es nach Süden, Richtung Monte Cassino. Dort angekommen, erhielt ich für das Halten einer Stellung das Eiserne Kreuz 2. Klasse, welches ich zu Hause stolz meinem Vater präsentierte. Daraufhin kaufte er mir eine zusätzliche Uniform und einen Degen.

Wie konnte man als praktizierender Katholik diesen Krieg geistig durchstehen? Wie lief das Glaubensleben während des Krieges ab? Gab es Heilige Messen bei der Wehrmacht?

Generell gab es in unserer Einheit wenig bis keine Zeit für Messen und auch keine Priester. Nur im Feld gab es einen Priester, der die Verwundeten begleitete, manchmal in den letzten Minuten ihres Lebens. Trotzdem hatte ich immer ein Gebetsbuch in der Brusttasche. Während der Kämpfe in Monte Cassino hatte man kaum Zeit zum Beten. Da ging es vor allem ums Überleben. In der zerstörten Heimatkirche St. Andreas haben wir 1945, kurz nach Ende des Krieges, endlich wieder eine Messe gefeiert. Leider war das gesamte Mittelschiff durch Kampfhandlungen im Ort zerstört worden. Gemeinsam haben alle Anwohner angepackt und die Kirche wieder aufgebaut. Im Jahr 2015, lange nach dem Krieg, feierten wir dann in Monte Cassino einen Gottesdienst zum Jahrestag der Schlacht mit den Fallschirmjägern der Bundeswehr und Soldaten aller Nationen, die an den Kämpfen beteiligt waren.

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Wurde man nicht als praktizierender Katholik als Feind der nationalsozialistischen Ideologie angesehen?

In der Wehrmacht war das kein Problem, viele meiner Kameraden waren selbst katholisch. Auch vorher wurde unser Glaube akzeptiert, aber eher aus machtpolitischen Gründen. Schließlich brauchte man die katholischen Männer als Soldaten. Kanonenfutter für den Krieg.

Sie haben Pater Gereon Goldmann während der Schlacht um Monte Cassino getroffen. Dieser war Franziskanerpater bei der Waffen-SS und schrieb später ein Buch über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Wie war Ihre Begegnung mit ihm und welchen Eindruck hatten Sie von ihm?

Die Begegnung war flüchtig, er ging an mir vorbei. Der Kampfeinsatz ließ leider keine Zeit für ein richtiges Gespräch.

Nach dem Mörserbeschuss der Amerikaner haben Sie ein Bein amputiert bekommen. Wie ging es dann für Sie weiter?

Nach meiner Verwundung hat mich das Rote Kreuz nach Piccolo verlegt, wo mir das Bein amputiert wurde. Danach brachten mich die Sanitäter nach Bitburg in ein Kloster. Dort gab es super Essen und die Nonnen haben meine Wunde versorgt. Im Kloster bekam ich auch ein Sturztraining, damit ich mit nur einem Bein auch zurechtkomme. Meine Prothese bekam ich dann in Halberstadt in der sowjetischen Besatzungszone.

Dort störten wir dann mit der katholischen Jugendbewegung drei Propagandaveranstaltungen von Walter Ulbricht, dem damaligen Staatspräsidenten der DDR, mit kritischen Fragen. Anschließend musste ich fliehen, weil er uns verhaften lassen wollte. Zum Glück war das, bevor die Grenze dicht gemacht wurde. Insgesamt habe ich nach dem Krieg sechs Jahre im Osten gelebt. Nach meiner Flucht aus der DDR heiratete ich 1951 meine Frau Lucia, die leider schon 2009 verstorben ist.

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Immer. Und die Muttergottes. Ohne Gott hätte ich die Beinamputation und den Krieg nicht überlebt. Ich bin immer noch christ-katholisch. Bis heute halte ich stets Fürbitte für alle Verstorbenen meiner Familie.

Jedesmal wenn ich morgens mein Gebet für sie verrichte, fällt – egal ob es bewölkt ist oder nicht – ein Lichtstrahl in meine Gebetsecke.