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"Nigerias Regierung tut nicht genug, um die Christen im Land zu schützen"

Demonstration in Nigeria 2018
Erzbischof Augustine Obiora Akubeze

Nigeria ist ein weltweit einzigartiges Land. Seine Einwohner sind fast zu gleichen Teilen Christen und Muslime. Hier lebt etwa ein Fünftel der afrikanischen Bevölkerung. Eine Krise, die in Nigeria nicht entschieden angegangen wird, würde sich letztlich auf ganz Afrika auswirken. Der katholische Erzbischof von Benin-Stadt und Präsident der nigerianischen Bischofskonferenz, Monsignore Augustine Obiora Akubeze, spricht in einem Interview mit der Stiftung Kirche in Not / Aid to the Church in Need (ACN) von den ernsten politischen Problemen, die sich aus der derzeitigen Unsicherheit im Land aufgrund der Gräueltaten sowohl der Terrorgruppe Boko Haram als auch anderer radikaler Gruppen wie der Fulani ergeben.

Wie würden Sie die derzeitige Situation der Christen in Nigeria beschreiben?

Ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin, in einem einzigen Interview ein getreues Bild von Nigeria zu vermitteln. Ich werde es versuchen, wohl wissend, dass ich dabei Gefahr laufe, aus Zeitgründen und aufgrund der Komplexität Nigerias eine unbefriedigende Antwort zu geben.

Die gegenwärtige Situation in Nigeria spiegelt eine selbstverschuldete, unnötige Spannung wider. Wir haben es mit einem politisch polarisierten Land zu tun. Leider waren und sind einige unserer politischen Führer für Entscheidungen, Erklärungen und Ernennungen verantwortlich, die manche Nigerianer in einigen Gebieten dazu veranlassen, die Einheit des Landes immer wieder in Frage zu stellen. Wir leben in einem Nigeria, in dem die Verfassung das föderalistische Prinzip anerkennt. Dies bedeutet, dass alle Sektoren des Landes in der Verwaltung der Bundesinstitutionen vertreten sein müssen. Dieses Prinzip wurde eingeführt, damit sich alle Nigerianer willkommen fühlen und wissen, dass Nigeria allen gehört. Angesichts der enormen Herausforderung durch die jetzige große Unsicherheit – sie war mit Ausnahme der Zeit des Bürgerkriegs in Nigeria noch niemals so groß – hat die derzeitige Bundesregierung Nigerias jedoch beschlossen, bei der Besetzung sensibler Posten auf höchst fragwürdige Weise vorzugehen. So gehören praktisch alle Armeechefs, die den Präsidenten beraten, derselben ethnischen Gruppe der Hausa-Fulani an. Daher sind 95 Prozent von ihnen Muslime. Und das in einem Land, in dem etwa 50 Prozent Christen sind. Die für die Sicherheit zuständige Behörde wird in einer multireligiösen und multiethnischen Nation von einer einzigen religiösen Gruppe, einer einzigen ethnischen Gruppe, geleitet! Wir Mitglieder der Katholischen Nigerianischen Bischofskonferenz haben uns wiederholt gegen diese Haltung der Bundesregierung ausgesprochen. Darüber hinaus haben wir uns mit dem Präsidenten getroffen und unsere völlige Unzufriedenheit mit diesem Vorgehen der Regierung zum Ausdruck gebracht.

Sicherheitsprobleme treten im Land seit Jahren auf. Boko Haram bedroht Nigeria seit einem Jahrzehnt. Kann man sagen, dass die Terrorgruppe zwar verwundet, aber nicht besiegt ist?

Boko Haram greift die Nigerianer seit vielen Jahren an. Diese Terrorgruppe, die dem IS die Treue geschworen hat, operiert im Nordosten Nigerias, hat aber auch in der Bundeshauptstadt Abuja Anschläge verübt. Boko Haram verfolgt eine extremistische religiöse Ideologie: Nigeria soll in eine islamische Republik verwandelt werden. Einerseits lehnen sie alles Westliche ab, andererseits benutzen sie westlich hergestellte Waffen und Munition, um unschuldige Nigerianer, sowohl Muslime als auch Christen, anzugreifen. Zurzeit konzentrieren sie sich auf die Ermordung und Entführung von Christen. Die Reaktion der Regierung darauf war für die meisten Nigerianer weitgehend unbefriedigend. Während wir dieses Interview führen, wird die von Boko Haram verschleppte Leah Sharibu immer noch gefangen gehalten. Erst vor einigen Wochen wurde der örtliche Regierungsvorsitzende der Christlichen Vereinigung Nigerias von Boko Haram enthauptet. Der 58-jährige verheiratete Pastor Lawan Andima, Vater von neun Kindern, wurde nur deshalb getötet, weil er ein Christ war.

Glauben Sie also, dass die Regierung nicht genug tut, um die Christen zu schützen?

Der nigerianische Präsident hat kürzlich erklärt, dass er über die fortdauernde Ermordung von Nigerianern, zumeist Christen, schockiert ist. Viele Nigerianer fragen sich, ob der Präsident in einem Paralleluniversum lebt: Wie kann er jetzt überrascht tun, nachdem einige von uns an Massenbegräbnissen von Christen teilgenommen haben, die von Boko Haram getötet wurden? In der Tat: Die Regierung tut nicht genug, um sowohl Christen als auch Muslime zu schützen. Vor einigen Tagen schlug die Nationalversammlung einstimmig vor, dass der Präsident die militärische Führung austauscht, weil sie das Leben der Nigerianer nicht schützt. Da sich der gesetzgebende Zweig der Regierung zum größten Teil aus Mitgliedern der Regierungspartei zusammensetzt, spiegelt ein solcher Vorschlag die Unzufriedenheit der Nigerianer mit dem Ausmaß der Inkompetenz der nigerianischen Regierung beim Schutz von Leben und Eigentum wider. Wir in der Katholischen Nigerianischen Bischofskonferenz haben bereits in einer Stellungnahme erklärt, dass eine Regierung, die nicht in der Lage ist, ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zum Schutz von Leben und Eigentum nachzukommen, allmählich ihre Legitimität verliert.

Es wird von immer mehr Angriffen auf Christen durch andere radikale Gruppen als Boko Haram, etwa durch die Fulani, berichtet. Wie wirkt sich das auf die Situation der Christen in Nigeria aus?

In der Vergangenheit beschränkten sich die ernsthaften Sicherheitsprobleme auf ein bestimmtes Gebiet, den Nordosten Nigerias. Heute herrscht jedoch überall Unsicherheit. Heute werden in allen Gebieten Nigerias Menschen entführt, um Lösegeld zu fordern. Es gibt viele Fälle von Zusammenstößen zwischen Viehhirten und Bauern, wobei die Viehhirten überwiegend muslimische Fulani aus dem Norden sind, genauso wie der Präsident. Sie bewegen sich mit beispielloser Unverfrorenheit in Nigeria auf der Suche nach Weideland für ihr Vieh. Es wird von zu vielen Fällen in allen Teilen des Landes berichtet, in denen diese Viehhirten in das Ackerland eindringen und dies mit Waffen, sogar mit Schusswaffen, tun. Die von der internationalen Gemeinschaft bereits als terroristische Gruppe bezeichneten Viehhirten handeln völlig ungestraft. Dass diese Männer nicht strafrechtlich verfolgt werden, nährt den Glauben, dass sie die Unterstützung der Bundesregierung haben. Ich muss zwar zugeben, dass ich keine schlüssigen Beweise dafür habe, dass diese Gruppe die Unterstützung der Regierung hat. Weil sie aber nichts dagegen tut, und offenkundig keinen wirklichen Willen hat, die Zunahme dieser Verbrechen zu stoppen, ist es schwierig, die Nigerianer davon zu überzeugen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der einseitigen Ernennung von Militärführern und dem Ausbleiben einer Verfolgung der Täter gibt, die solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die offenbar selektive Tötung von Christen verüben.

Gerechtigkeit und Frieden gehen immer Hand in Hand. Wer echten Frieden wünscht, muss Gerechtigkeit fördern. Damit in Nigeria Frieden und Sicherheit herrschen können, muss es für jeden einzelnen Nigerianer politische, religiöse, ethnische, wirtschaftliche und juristische Gerechtigkeit geben. 

Kürzlich hat uns die Entführung von Seminaristen in Kaduna und der Mord an einem von ihnen, Michael Nnadi, schockiert. Wie bekannt ist, wurden die anderen drei freigelassen. Können Sie uns etwas über ihren Gesundheitszustand sagen?

Wir haben die Nachricht mit Trauer im Herzen aufgenommen. Leider steht die Entführung der Seminaristen in einem Kontext mit anderen Entführungen von Priestern und Ordensleuten durch die gleiche Gruppe, die die Nigerianer terrorisiert. Zu viele Priester und Ordensleute sind in letzter Zeit entführt worden. Wie ich erfahren habe, werden die freigelassenen Seminaristen derzeit behandelt. Über den Gesundheitszustand der Seminaristen weiß ich zwar nichts Konkretes, aber laut den Berichten von Gefangenen können wir zweifellos davon ausgehen, dass sie große Qualen erlitten haben und tief traumatisiert sind. Die Ermordung von Michael Nnadi schmerzt und macht uns traurig. Zu wissen, dass er ein Waisenkind war, macht es schmerzhafter. Mögen seine Seele und die Seelen aller, die in den Händen dieser Verbrecher gestorben sind, in Frieden ruhen.

Wie kann die Sicherheit von Gotteshäusern und weiteren kirchlichen Stätten wie Seminaren, Konventen und Klöstern gewährleistet werden?

Alle Institutionen versuchen, Sicherheit in ihren Gotteshäusern zu gewährleisten. Laut lokalen Berichten reagieren damit die religiösen Führer auf die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung. Einige Kirchen nehmen die Dienste der nigerianischen Polizei für den Sonntagsgottesdienst in Anspruch und müssen für die bereitgestellte Sicherheit bezahlen. Je nach Gegend wird auch privates Sicherheitspersonal angeheuert, in einigen Fällen melden sich die Gläubigen selbst freiwillig, um für die Sicherheit zu sorgen.  Zurzeit gibt es keine einheitliche Situation hinsichtlich der Sicherheitsmaßnahmen für Gotteshäuser und Seminare. Aber den meisten der privaten Sicherheitsdienste, die eingestellt werden, fehlen die Mittel, um mit dem Ausmaß der Bedrohung durch die Fulani-Viehhirten und Boko Haram fertig zu werden. 

Können wir etwas tun, Ihnen in diesem Bereich zu helfen?

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Zunächst einmal möchte ich Ihnen für das fortwährende Interesse Ihrer Stiftung an der Not der leidenden Menschen und insbesondere an der Not der Armen in Nigeria danken. Ihre Unterstützung war für viele Nigerianer eine große Hilfe, insbesondere für unsere Brüder und Schwestern in den nördlichen Diözesen.

Ein Bereich, in dem meiner Meinung nach westliche Länder und Medien eine große Hilfe leisten könnten, ist die Berichterstattung über die Gräueltaten in Nigeria. Die Zahl der Tötungen ist einfach erschreckend. Vielleicht würde sich die nigerianische Regierung bei einer umfassenden westlichen Berichterstattung unter Druck gesetzt fühlen, zu handeln. Darüber hinaus würden die Regierungen der Mitgliedsländer der Europäischen Union und Amerikas wahrscheinlich moralisch verpflichtet fühlen, nach Wegen zu suchen, um das Leben von Christen und anderen Nigerianern zu schützen, die ständig von Boko Haram und den Fulani-Viehhirten angegriffen werden.

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