Selten hat mich eine Nachricht so schockiert wie jene, dass Sylke Tempel letzte Woche in Berlin in dem Hurrikan "Xavier" von einem Baum erschlagen wurde, als sie in dem Sturm aus dem Auto ausstieg, um zu sehen, ob es noch ein Durchkommen gab durch die Schäden, die das Unwetter vor ihr in einer Schneise durch die Hauptstadt schlug. 

"Sie war eine gute Katholikin, auf ihre Art, das weißt Du," schrieb mir später am Morgen mein alter Freund und Kollege Hannes Stein aus New York dazu, nachdem ich ihn in der Nacht von dem absrurden Unfall unterrichtet hatte, der es am selben Tag  schon auf das Titelblatt der Bild-Zeitung schaffte. "Es ist unfassbar. Ich sitze hier und weine. Dein Hannes." 

Dass sie eine "gute Katholikin" war, wusste ich nicht, ahnte es aber. Und ich habe Sie leider auch nie getroffen, noch jemals gesehen.

Doch wenn ich in meinem Email-Programm in einem Suchkommando den Namen "Sylke Tempel" eingebe, dann kommen mir da sogleich einige hinreißend freundliche und neugierige Korrespondenzen mit ihr entgegen, bei denen ich mich jetzt schon freue, das eine oder andere Thema davon mit ihr dereinst im Himmlischen  Jerusalem hoffentlich noch einmal vertiefen zu können. Bis dahin vermisse ich sie aber jetzt schon und zwar sehr.

Im März 2013 bat sie mich etwa von Berlin aus in Rom darum, für die Zeitschrift "Internationale Politik" (IP), deren Chefredakteurin sie inzwischen geworden war, ein Stück über einen  möglichen neuen nächsten Papst zu schreiben, worauf ich ihre eine Phantasie über einen  eventuell chinesischen Nachfolger Petri lieferte, der sich dann später dann doch als  kaum weniger überraschender Argentinier entpuppte.  

Aufregender finde ich heute allerdings ein anderes Stück, zu dem Sylke Tempel mich im Februar 2011 herausforderte, aus Anlass der voraus gegangenen Neujahrsrede Benedikt XVI, in  der der Papst aus Deutschland auf quasi revolutionäre Weise die Religionsfreiheit zur "Mutter aller Grundrechte" erklärte.

Diesem Text  von 2011 ist auch sechs Jahre später kaum ein Wort hinzuzufügen, den CNA-Deutsch hier – mit einer Verbeugung vor Sylke Tempel, die der Herr über Leben und Tod nach seinem geheimen  Ratschluss am 5. Oktober 2017 zu sich gerufen hat – im Wortlaut noch einmal veröffentlicht: 

Die Mutter aller Grundrechte

Alabasterfenster platzten. Flammen schossen die kostbaren Vorhänge entlang zur Decke hoch. Der Altar war umgestürzt, die Kirche brannte lichterloh. Vor den Flammen gröhlte der Mob in den Straßen Nikodemias. Doch die Schandtat war kein ordinäres Progrom. Es war eine Art Reichs-Alabaster-Nacht - sozusagen. Gewiss war es ein Gräuel, das sich jedoch einer kühlen Berechnung Diokletians (ca. 240 – 312), verdankte, des Reform-Kaisers auf dem Sitzkissen der römischen Cäsaren, der mit diesem Brand am 23. Februar 303 das Fanal zur systematischsten Christenverfolgung setzte, die das Römische Reich je gesehen hatte.

Konstantinopel war noch nicht gegründet, Nikodemia - das heutige Izmit in der Türkei – hatte der Imperator ab dem Jahr 284 zu seiner Residenz ausbauen lassen. Von hier aus organisierte er seine große Reform und darin seinen Feldzug gegen die vielen tausend Christen des Reiches, von Spanien bis Palästina und von Köln und Mainz bis Karthago und Memphis in Ägypten. Erst acht Jahre später, am 30. April 311 wurde die Kampagne offiziell beendet. Ihr Ziel war die Vernichtung des Christentums, die Ausrottung ihrer Anhänger und die Zerschlagung der Kirche. Das Motiv: Der "Religionsfriede" zwischen den vielen Kulten und Göttern Roms – und damit der Friede der Götter untereinander – sollte wiederhergestellt werden, den die Christen mit ihrem Wahrheitsanspruch in den Augen vieler Konkurrenten nachhaltig störten.

Diokletian war nicht der erste Christenverfolger unter Roms Imperatoren. Er knüpfte an unzulängliche Vorarbeiten seiner Vorgänger Decius und Valerius (zwischen 250 bis 260) an, doch sporadische Christenverfolgungen hatte es im römischen Reich schon seit Kaiser Nero (37 – 68) immer wieder gegeben. Denn im Varieté der vielen Kulte des toleranten Rom waren die Christen, die den Zauber der Heiden nicht mitmachten, quasi als Spielverderber aufgetreten. Als kämen sie von einem anderen Stern. Weil sie weder den Götten noch den Kaisern opferten, galten sie als "Atheisten". Auch die Juden beharrten auf einem einzigen Gott, vor dem die "Götzen" der anderen nur Staub seien, doch die Christen benahmen sich, als würden sie diesen Gott persönlich kennen.

Deshalb versuchte Diokletian nun, ihrem Treiben in vier Verfolgungswellen endgültig ein Ende zu machen. In einem ersten  Edikt von 303 verbot er ihre Gottesdienste, verfügte die Zerstörung ihrer Kirchen, die Konfiszierung und Verbrennung ihrer heiligen Schriften, ein generelles Ämterverbot und die Verhaftung christlicher Staatsbeamter. Frei gelassene Christen, die zuvor Sklaven gewesen waren, wurden wieder in den Sklavenstand zurück versetzt. Christen der Oberschicht durften keine Prozesse mehr führen, keine Testamente mehr erlassen und verloren alle Ämter und Privilegien. Von da an hatten Christen keine Bürgerrechte mehr im römischen Reich.

In einem zweiten Edikt verfügte er die Einkerkerung ihrer Gemeindevorsteher. In einem dritten Edikt ordnete er an, ihre Priester und Bischöfe durch Folter zum Abfall von ihrem Glauben zu zwingen. In einem vierten Edikt von 304 befahl er schließlich die Todesstrafe für alle, die sich weigerten, ihm ein paar Weihrauchkrümel als Brandopfer darzubringen. Die Ablehnung diess Opfers galt als Religionsfrevel, als Staatsfeindschaft und als Majestätsverbrechen. Wer sich in diesen Staatskult nicht integrieren wollte, sollte nun vernichtet werden. Dieser Maßnahme konnten viele Christen nicht mehr standhalten. Eine große Zahl aber widerstand jeder Drohung und ließ sich eher kreuzigen, enthaupten, verbrennen, ertränken, vor die Löwen oder in ungelöschten Kalk werfen, als den Glauben an Jesus Christus öffentlich zugunsten eines anderen Kultes zu verleugnen. Vor solchem Starrsinn konnten viele Untersuchungsrichter oft nur den Kopf schütteln.

Diokletians Reichsreform war schließlich erfolgreich. Sie sicherte Roms Fundamente im Westen bis zum 5. im Osten bis zum 7. Jahrhundert. Seine Kultreform hingegen scheiterte vollständig. Wie schon manche seiner Vorgänger hatte er der Christenheit damit nur zahllose Märtyrer mehr geschenkt, die in der katholischen und orthodoxen Welt noch bis heute  – von Petrus und  Paulus bis zu Polykarp oder Sebastian und Laurentius – namentlich erinnert und verehrt werden. Eine enorme Zahl christlicher Namen sind die Namen von Märtyrern. Die liturgische Heiligenverehrung der Christenheit nahm mit den standhaften Opfern der Antike ihren Anfang.

Ein Jahr nach Diokletians Tod gewährte sein Nachfolger Konstantin den Christen im Jahr 313 volle Gleichberechtigung im Römischen Weltreich. Die "Konstantinische Wende" schloss das Tor hinter dem letzten Vernichtungskrieg Roms gegen die Märtyrerkirche der jungen Christenheit für immer.

Die Opferzahlen waren gewaltig, die die Christenheit damals in ihrer kollektiven Erinnerung abgespeichert hatte, mit vielen Namen und persönlichen Daten, und dennoch, es waren gleichsam "peanuts" gegen das, was später kam. Das war nicht nur unter den muslimischen Regimes, die ab dem Jahr 622 von der neuen Wüstenreligion im östlichen, südlichen und westlichen Mittelmeerraum etabliert wurden. Auch Japans junge Christenheit war nach 1587 furchtbaren Verfolgungen ausgesetzt, und immer wieder die Christen des schwarzen Kontinents. Zu Tode kamen auch zahllose Christen in dem letzten schwarzen und totalitären Jahrhundert unter den Nazis oder den Sowjets. Goebbels Motto zur Behandlung der Christen lautete "Totschweigen oder totschlagen!" Mit dem "Führer" wollte er sich die Pfaffen richtige nach dem Endsieg vorknöpfen, nachdem mit den Juden "aufgeräumt" war. Doch der Berufstand, der in den KZs statistisch am höchsten vertreten war, waren katholische Priester. Lenins letzter Wunsch hingegen war es noch auf seinem Sterbebett, den Begriff "Krestyanin" (Christen), mit dem die russischen Bauern seit den Tagen der Kiever Rus bezeichnet wurden, durch den neuen Begriff "Sowjets" zu ersetzen - und die Kultur hinter dem Begriff vollständig zu zerschlagen. Für sieben Jahrzehnte war das fast gelungen.

Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.

Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.

Doch die größte Christenverfolgung der Weltgeschichte fand nicht in der Antike oder gestern oder vorgestern statt, sondern die erleben wir heute, auf beispiellose Weise, und weltweit. Christen wird in vielen Ländern eine Vielzahl von Rechten vorenthalten, wie das Recht auf den Schutz vor willkürlicher Verhaftung, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Zugang zu Gerichten, Gleichheit vor dem Gericht, das Recht auf Familie, die Minderheitenschutzrechte, die Rechte von Frauen, die Rechte von Kindern und nicht zuletzt das Folterverbot – vor allem aber auch das Recht, die eigene Religion frei zu wählen oder auch zu wechseln. Alles in allem ist es eine Not, die den Plagen der Antike nicht nachsteht.

Von rund 100 Millionen Menschen, die derzeit "aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus Verfolgung erleiden", spricht das überkonfessionelle Hilfswerk "Open Doors" (http://www.opendoors-de.org/) nach Auswertung der Beobachtung ihrer vielen Mitarbeiter in 52 Ländern rund um den Globus. Es ist eine streng konservative und skeptische Schätzung, die all jene nicht mitzählt, die aufgrund ihrer christlichen Herkunft oder ihrer christlichen Namen in verschiedenen Ländern benachteiligt werden. Die zusammen hängende Landkarte der Verfolgung erstreckt sich in verschieden intensiver Farbe vom Maghreb in Afrika bis nach Nordkorea in Asien. Es ist ein riesiges Weltreich, zusammen gesetzt aus vielen islamischen, einigen streng atheistischen Ländern und manchen Staaten des hinduistischen Indien, in dem es für viele Formen der Unterdrückung ohne jede Absprache keinen Imperator braucht, der noch eine systematische Verfolgung anordnet.

In vielen Ländern sperrt der Staat Einzelne oder Gruppen von Christen wegen ihres Glaubens ein und verletzt, foltert oder tötet sie. Verfolgung herrscht aber auch dann, wenn Christen nicht erlaubt ist, Kirchen zu bauen oder sich zu versammeln, wenn die Registrierung einer christlichen Gemeinde oder Organisation nur unter Schikanen oder gar nicht möglich ist. Die Grenzen zwischen Verfolgung und Diskriminierung sind immer fließend. In den vergangenen Jahren hat sich die Verfolgung von Christen zunehmend von staatlicher Seite auf die private Ebene der Nachbarn und Dorfgemeinschaften verlagert. Für die Opfer macht es keinen Unterschied, wer sie verfolgt – wobei in vielen Staaten Übergriffe kaum verhindert werden, weder durch die Polizei noch das Militär und später meist nur ungenügend oder gar nicht untersucht werden.

Die großen aggressiv atheistischen Ideologien aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind seit dem Berliner Mauerfall auf dem Rückzug und zur Domäne einiger Bestseller-Autoren geworden. Auch in China oder Kuba ist die große Feindschaft zur Religion zusammen gebrochen, nicht jedoch das kommunistische Projekt der totalitären Kontrolle und der Furcht vor jeder Freiheit, ohne die das Christentum nur schwerlich gedeiht. Da nichts dem Machtmonopol der Kommunistischen Partei nahe kommen darf, greift die Regierung der Volksrepublik China stark und repressiv in das Leben aller Religionsgemeinschaften ein. Von allen Christen werden dabei besonders misstrauisch die Katholiken vom chinesischen Staat betrachtet, weil zu den besonderen Aufgaben des Papstes in Rom die Ernennung von Bischöfen für die verschiedenen Diözesen gehört. Das lehnt die Regierung in Peking als "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" strikt ab. Zusammengerechnet haben Chinas Bischöfe und Priester schon tausende von Jahren im Gefängnis verbracht. Das paranoide Wahnsystem Nordkoreas aber hat dem Land einen Spitzenplatz in der Verfolgung seiner Christen weltweit beschert.

Zugenommen hat hingegen in den letzten Jahrzehnten die Unterdrückung religiöser Gemeinschaften aus religiösen Motiven, wie in Indien, wo Hindus stark an Einfluss gewonnen haben, die einen Staat schaffen wollen, in dem für andere Religionen kein Platz sein soll. Das ist die Ideologie der "Hindutva", die Indien in eine "reine" Hindu-Nation verwandeln will. Christen und Mitglieder anderer Minderheiten - wie die Muslime - werden da vor die Wahl gestellt, entweder zur Religion der Hindus zu konvertieren oder die Gegend zu verlassen. Die Gesetze bedrohen jeden Nicht-Hindu, der auf irgendeine Weise für seine Religion wirbt. Für "unerlaubte Bekehrungsversuche" werden hohe Geldbußen und Gefängnisstrafen von drei bis fünf Jahren verhängt. Der Bundesstaat Orissa im Osten Indiens gilt als Hochburg dieser Bewegung, wo es in den letzten Jahren zu schweren Anschlägen auf christliche Siedlungen kam. Im Dezember 2007 und im August 2008 wurden hier mehr als hundert Christen getötet, Tausende verletzt, ihre Wohnhäuser niedergebrannt und ihre Kirchen zerstört. 50.000 Christen sind vertrieben worden. Etwa drei Viertel der Menschen im Bundesstaat Orissa gehören zu den Dalits, den Kastenlosen, den Unberührbaren auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Pyramide, in bitterer Armut, wo Menschen für Hungerlöhne auf den Feldern und Plantagen der Großgrundbesitzer arbeiten. Die Christen Orissas hingegen setzen sich für gerechtere Löhne ein und dafür, dass auch die Dalits die Schulen besuchen und eine gute Ausbildung erhalten. Solche Tendenzen sind den Großgrundbesitzern natürlich nur aus religiösen Motiven verhasst.

Ähnlich ist es in einigen islamischen Ländern, wo intolerante religiöse Bewegungen in den letzten Jahrzehnten aus vielen Gründen Bedeutung und Einfluss gewinnen. In manchen dieser Länder hat der zunehmende gesellschaftliche Druck auf die Christen zu einer Massenabwanderung geführt. Im Irak hat sich die Anzahl der Christen sei 2002 halbiert. Im Libanon ist er von 4 auf 1,5 Millionen zurückgegangen. Im Iran gibt es nur noch 7000 Christen. Die alte klassische Haltung der islamischen Welt duldet zwar Christen wie Juden als Minderheiten unter sich, als Bürger zweiter Klasse. Sie dürfen ihre Religion beibehalten, aber mit vielen Einschränkungen: Eine Ausbreitung ihres Glaubens wird nicht gestattet. Mission ist strikt untersagt. Der Bau neuer Kirchen ist meist unmöglich, die Reparatur alter Kirchen wird oft sehr erschwert. Die nötigen staatlichen Genehmigungen sind nur schwer zu bekommen, die bürokratischen Hürden solcher Prozeduren sind Legion.

Dass in den letzten Jahrzehnten die Radikalisierung großer Teile der islamischen Welt aus Gründen, die hier nicht zur Debatte stehen, diese prekäre Lage nicht verbessert hat, ist offensichtlich, etwa im Irak, in Afghanistan oder in Pakistan, wo etwa in letzter Zeit ein neues "Blasphemiegesetz" eine ideale Handhabe geworden ist, um jeden Rechtsstreit mit einem Christen im Handumdrehen auf eine religiöse Ebene zu heben, in der er nur noch verlieren kann. Wie es nach der Pharaonen-Herrschaft Nassers, Sadats und Mubaraks demnächst am Nil weiter gehen wird, weiß noch kein Mensch. Denn das Gespenst, das dem Islam in den letzten Jahrzehnten wie ein Dschinn aus der Flasche entwichen und entströmt ist, heißt Islamismus. Es bedroht den Islam selbst – doch natürlich auch alle Christen, in denen die Dschihadisten ohnehin nur Götzendiener (wegen der Dreifaltigkeit des Gottes der Christen) oder Kreuzritter sehen können (sofern sie aus Europa oder Amerika kommen). "Erfunden" aber wurde der Islamismus gewissermaßen im Jahr 1928 in Ägypten, mit der Gründung der Muslim-Bruderschaft durch Hassan al-Banna. Die tiefe Identitätskrise, in der sich der Islam seit dem Überfall der Moderne und erst recht nach dem Fall der Mauer befindet, die sich ganz und gar der Dynamik der christlichen Geschichte verdankt, ist ein Dilemma, das kein Mensch zu lösen weiß.

Von diesem Dilemma ist auch ein Land wie die Türkei erfasst, das nach Europa hinein drängt. Hier haben Christen mit einem ganzen Katalog künstlicher Schwierigkeiten zu kämpfen, die der Staat nicht nur nicht ausräumt, sondern im Gegenteil in immer neuen Variationen neu erfindet und auferlegt. Christen verfügen hier überall nur über eingeschränkte Bürgerrechte. Im Osmanischen Reich stellten Christen auf dem Gebiet der heutigen laizistischen Türkei noch ein Viertel der Bevölkerung, heute sind er nur noch 0,15 Prozent. Christliche Gemeinden dürfen keinen Besitz erwerben, keinen klerikalen Nachwuchs ausbilden. Ein Immobilienstreit um das Kloster Mar Gabriel, das Jahrhunderte vor der Geburt Mohammeds gegründet wurde, ist so bizarr, dass er auch über die Grenzen hinaus bekannt wurde. Die meisten Willkürakte gegen Christen geschehen hingegen leise und täglich und überall im "Haus des Islam". Es lohnt kaum, sich dabei vor Augen halten, dass in fast all diesen Ländern – in Palästina, dem Irak, in Ägypten oder der Türkei – das Christentum seit den Tagen der Apostel existiert. Hier ist die authentische Wiege der Christenheit. Es lohnt nicht, weil es an der Lage der Christen in diesem Teil der Welt nichts ändert, die ja auch in großen Perioden friedlich verlaufen ist, solange sich die Christen in ihr schwieriges Schicksal fügten. Diese prekäre Balance ihrer Situation kommt jedoch sofort ins Trudeln, wenn es – was nicht zuletzt durch die digitalen Medien immer häufiger geschieht  – den Christen je in den Sinn kommen sollte, sich über ihr Joch öffentlich zu beschweren, womöglich noch im Ausland. Wo auf Schikanen und Repressalien hingewiesen wird, wird die Lage sofort schwerer, nicht leichter.  

Objektive Gründe, die Christenverfolgungen nicht rechtfertigen, aber doch erklären helfen, gibt es zuhauf. Einen banalen Grund haben wir schon gestreift. Das Christentum hat – ebenso wie das Judentum - seine Anhänger in vielen Kulturen reich gemacht, an Bildung wie an Gütern. Und ordinärer Neid ist immer noch eine der sichersten Triebfedern für alle möglichen Schurkereien. Ein zweiter Grund ist gewichtiger. Die genuine Freiheit, wie sie zuerst im Raum der Christenmenschen in Anspruch genommen wurde, ist immer noch nachhaltig inkompatibel zu den allermeisten anderen Religionen und Kulturen. Ein dritter Grund ist theologisch. Denn die Christen halten mit ihrer Religion ja immer noch eine der größten Zumutungen für alle anderen Kulturen und Religionen bereit. Das ist nicht etwa ihr Glaube an einen Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde. Sondern dass ist der Glaube, dass dieser Schöpfer Mensch geworden und in die Geschichte eingetreten ist, wo er sich – ohne Widerwehr – hat umbringen lassen. Dass er also nicht als Sieger in die Geschichte eingetreten ist, sondern als derjenige, der verfolgt wurde, der schon als Kind emigrieren musste, der gejagt, gefoltert und brutal getötet wurde. Das ist absurd und unerträglich. Doch das ist der Glaube der Christen. Und damit kommen wir auf einen vierten Grund auf der historischen Ebene.

Denn Jesus bezeichnete sich selbst ja als "die Wahrheit" (und den "Weg" und "das Leben"),  der für diese Wahrheit jedoch nicht zum Schwert griff, sondern sich ans Kreuz schlagen ließ - als der allererste Märtyrer der Christenheit. Das galt schon unter den Römern als skandalös, nicht nur für die Heiden, auch für die Juden, und dabei ist es allgemein geblieben. In Christi Leben und Sterben wurde die Wahrheit erstmals radikal von jeder Versuchung abgekoppelt, sie notfalls mit Gewaltanwendung durchzusetzen.

Dadurch signalisierte das Auftauchen des Christentums einen historischen Paradigmenwechsel der Weltgeschichte. Alle gewaltsamen Missionsversuche der Christenheit gelten seitdem zu Recht als Verirrungen. Dieser Anspruch auf die Wahrheit einerseits und das Beharren auf Gewaltlosigkeit andererseits muss hier nun nicht mit dem Anspruch, der Geschichte und dem Gewaltpotential anderer Religionen verglichen werden, wie Benedikt XVI. es etwa am 11. September 2006 in Regensburg versuchte. Leonella Sgorbati, die italienische Nonne, die wenige Tage nach dieser Vorlesung des Papstes in Somalia erschossen wurde, und der flammende Protest quer durch die islamische Welt (gegen den Papst, nicht gegen die Mörder) zeigten nur noch einmal mehr: Kreuz und Christentum laden fast exemplarisch zur Verfolgung ein. Der ans Kreuz genagelte Spottkönig ist deshalb aber auch letztlich immun gegen jeden Hohn und Spott oder auch eine böse Karikatur – etwas im Gegensatz zum Propheten Mohammed. 

Doch nun geschieht in diesen Tagen in diesem Zusammenhang in unseren Tagen plötzlich bisher Unerhörtes. "Die Feier der Geburt des Erlösers stärke die Gläubigen der Kirche in Kontinental-China im Geist des Glaubens, der Geduld und des Mutes, dass sie wegen der Einschränkungen ihrer Religions- und Gewissensfreiheit nicht verzagen," hieß es jetzt in der Weihnachtsbotschaft des Papstes, die Milliarden Menschen am Radio oder Fernsehen verfolgten. "Die Liebe des ‚Gottes mit uns’", fuhr er fort, "verleihe Beharrlichkeit allen christlichen Gemeinden, die Diskriminierung und Verfolgung erleiden, und leite die politischen und religiösen Führungskräfte dazu an, sich für die volle Achtung der Religionsfreiheit aller einzusetzen."

Eine Woche später riss ein Selbstmordattentäter in der Neujahrsnacht vor der koptischen Al-Quiddissne-Kirche im ägyptischen Alexandria 21 Menschen in den Tod und verletzte 97.  Zwölf Stunden danach nutzte der Papst seine Neujahrsbotschaft als "Gelegenheit, um gemeinsam über die großen Herausforderungen nachzudenken, vor die unser Zeitalter die Menschheit stellt. Eine dieser Herausforderungen, die in unseren Tagen von dramatischer Dringlichkeit ist, ist die Religionsfreiheit". Zwei Extreme würden sie bedrohen, "auf der einen Seite der Laizismus, der oft auf hinterlistige Weise die Religion an den Rand drängt, um sie in die Privatsphäre zu verbannen; auf der anderen Seite der Fundamentalismus, der sie dagegen allen mit Gewalt aufzwingen will."  Wo die Religionsfreiheit effektiv anerkannt werde, sei hingegen "die Würde der Person in ihrer Wurzel geachtet". Kurzum, die Religionsfreiheit sei "der Königsweg zum Aufbau des Friedens".

Das mag selbstverständlich klingen, nur gesagt hatte es so noch keiner, auch in der katholischen Kirche nicht. Am 10. Januar wurde Benedikt XVI. noch deutlicher, vor allen im Vatikan akkreditierten Diplomaten der ganzen Welt. Diesmal sprach er von der globalen Bewusstwerdung der "schweren Verwundung" der grundlegenden Dimension des religiösen Menschen überall da, wo die Religionsfreiheit eingeschränkt ist, und nannte den Tod, den Schmerz und die Verzweiflung im Irak,  das brutale Attentat in Ägypten, die Länder der Arabischen Halbinsel, das Blasphemie-Gesetz in Pakistan (und den ermordeten Gouverneur der Provinz Punjab), die Gewalt gegen Christen in Afrika, noch einmal die vielen "Prüfungen" der Christen Chinas.

Die Diplomaten hielten den Atem an. So etwas machte man doch nicht! Das hatte es noch nie gegeben. Der Papst rief nicht nur allgemein zum Schutz der Christen auf. Er nannte Namen und wurde konkret. Warum? War er wieder schlecht beraten? Dachte er einfach, er müsse es tun? Er hat es jedenfalls getan, gegen den Rat vieler. Denn die Zeiten haben sich geändert. Im Informationszeitalter flirren Nachrichten in Lichtgeschwindigkeit um den Erdball. Darf er da noch schweigen zu Vorfällen, die jeder weiß? Die Antwort weiß keiner, auch unter den tüchtigsten Diplomaten nicht.

Denn die Lage der Christen ist heute weltweit völlig anders und wohl komplizierter als in den ersten Jahrhunderten des Römischen Reiches. Was blieb, ist dies: Verfolgung gehört zum Wesen der Christenheit. Nicht Verfolgung aber hat die Christenheit geschwächt, sondern immer vor allem die Irrlehren aus dem Innern der Kirche, die in fast jedem Jahrhundert in neuem Gewand auftreten: die Gnosis, der Markionsmus oder der Manichäismus. Wo solche Häresien Oberhand gewannen, gerieten auch die Christen immer in Versuchung, selbst zu Unterdrückern zu werden.  

So lange das Salz der Christen nicht schal wird, werden sie also eine Märtyrer-Kirche bleiben. Der Appell Benedikt XVI. richtete sich deshalb auch nicht an die Christenheit. Diesmal legte er den Vertretern der Nationen und Kulturen dar, dass es dem Heil und Frieden der Welt und jeder Gesellschaft dient, wenn überall die Religionsfreiheit als Mutter der Grundrechte anerkannt und durchgesetzt werden. Das dient dem Islam, dem Judentum, dem Hinduismus, dem Buddhismus. Religionsfreiheit dient der Menschheitsfamilie.

Dies nach Jahrtausende alten Erfahrungen heute öffentlich zu verkünden, kann also nur als Pflicht, als endlich notwendige Dienstleistung der Christen an den Rest der Welt begriffen werden, und nicht als die Inanspruchnahme eines Privilegs. Denn Religionsfreiheit ist eines der am häufigsten verletzten Rechte weltweit. Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde, hat daran nichts geändert, wo es heißt: "Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung eines Ritus zu bekunden." Wo aber keine oder nur eingeschränkte Religionsfreiheit herrscht, werden auch andere Menschenrechte häufig missachtet. Christen bilden nur die in absoluten Zahlen mit Abstand größte aus Glaubensgründen verfolgte Gruppe.

Wen will da wundern, dass der Papst als prominentester Sprecher der Christenheit alles, was er dazu sagt, nie billig sondern immer zu einem hohen Preis verlauten lässt? Eine erste Antwort auf seinen jüngsten Appell ließ nicht lange auf sich warten. Ahmad at-Tayyeb, der Großscheich von Al-Azhar in Kairo, wies den Appell sogleich als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens zurück. Der Dialog mit dem Papst sollte eingefroren werden. Die Arabische Republik Ägypten rief ihre Botschafterin beim Heiligen Stuhl "zu Konsultationen" nach Kairo zurück. In Pakistan gab Ministerpräsident Jusuf Gilani zu Protokoll, dass eine Änderung der umstrittenen Paragraphen des Blasphemie-Gesetzes nicht in Frage komme. 40.000 Islamisten demonstrierten gegen jegliche Änderung und verbrannten Kreuze und Bilder Benedikt XVI. In Indonesien setzten aufgebrachte Muslime auf der Insel Java zwei Kirchen in Brand, nicht nur des Papstes wegen, sondern auch aus Wut über ein zu mildes Urteil gegen einen Christen, der den Islam beleidigt haben sollte. Der Mob verlangte die Todesstrafe der die sofortige Auslieferung des Delinquenten an das Volk! Ein Polizeifahrzeug wurde angezündet. "Töten! Töten!" gellte es aus der Menge. Kirchenfenster klirrten, Flammen schossen die Vorhänge entlang zur Decke hoch, der Altar wurde umgestürzt, schon wieder einmal brannte eine Kirche lichterloh …

Paul Badde -  9. Februar 2011

Das könnte Sie auch interessieren:

Hinweis: Meinungsbeiträge spiegeln die Ansichten des Autors wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.