Unvorstellbar für die Menschen in Europa waren bis vor wenigen Wochen die Verwüstungen durch einen infernalischen Krieg. Fern scheinen die säkularen Träume vom gemeinsamen „Gemeinsamen Haus Europa“ zu sein, die Michail Gorbatschow 1989 hegte. Was sollen wir heute tun? Das Lehramt der Kirche weist uns den Weg. Papst Benedikt XVI. legte 2007 in der Enzyklika „Caritas in veritate" Gedanken über Formen der Zusammenarbeit der „Menschheitsfamilie“ vor. Er betrachtet dort verschiedene „Arten der Armut“ und benennt als Entstehungsgrund die „Zurückweisung der Liebe Gottes“. Diese entstamme einem „ursprünglichen tragischen Verschließen des Menschen in sich selbst, der meint, sich selbst genügen zu können oder nur eine unbedeutende und vorübergehende Erscheinung, ein »Fremder« in einem zufällig gebildeten Universum zu sein“: „Der Mensch ist entfremdet, wenn er allein ist oder sich von der Wirklichkeit ablöst, wenn er darauf verzichtet, an ein Fundament zu denken und zu glauben. Die Menschheit insgesamt ist entfremdet, wenn sie sich bloß menschlichen Plänen, Ideologien und falschen Utopien verschreibt.“ 

Begreifen sich die Menschen aber heute als Angehörige einer „einzigen Familie“? Benedikt diagnostiziert eine Beziehungsunfähigkeit untereinander und mit Gott. Die „Gemeinschaft der Menschheitsfamilie“ stehe nicht im Gegensatz zur „legitimen Vielfalt“ der Personen, Völker und Kulturen. Viele Religionen lehrten „Brüderlichkeit und Frieden“, aber durch die Globalisierung nehme auch der Synkretismus zu, der – so sehen wir heute – weit in die Kirche des Herrn hineinzureichen scheint. Unerlässlich sei es, die Gottesfrage nicht in den Raum des Privaten abzudrängen: „Die christliche Religion und die anderen Religionen können ihren Beitrag zur Entwicklung nur leisten, wenn Gott auch im öffentlichen Bereich mit spezifischem Bezug auf die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und insbesondere politischen Aspekte Platz findet. … Der Ausschluß der Religion vom öffentlichen Bereich wie andererseits der religiöse Fundamentalismus behindern die Begegnung zwischen den Menschen und ihre Zusammenarbeit für den Fortschritt der Menschheit. Das öffentliche Leben verarmt an Motivationen, und die Politik nimmt ein unerträgliches und aggressives Gesicht an.“ Wir sahen und sehen dies besonders auch an politischen Entscheidungsträgern, die den Lebensschutz als sekundär ansehen und einer falsch verstandenen Autonomie des Menschen, tatsächlich einer subjektiven Willkür, einen Rechtsanspruch zuerkennen wollen. Benedikt stellt fest: „Die Vernunft bedarf stets der Reinigung durch den Glauben, und dies gilt auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf. Die Religion bedarf ihrerseits stets der Reinigung durch die Vernunft, um ihr echtes menschliches Antlitz zu zeigen.“ 

Wichtig sei es, gemeinsam für den Frieden zu arbeiten und auch die „brüderliche Zusammenarbeit zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen“ zu fördern. Verbindend könne es sein, das Naturrecht und seinen Geltungsanspruch anzuerkennen: „In allen Kulturen gibt es besondere und vielfältige ethische Übereinstimmungen, die Ausdruck derselben menschlichen, vom Schöpfer gewollten Natur sind und die von der ethischen Weisheit der Menschheit Naturrecht genannt wird. Ein solches universales Sittengesetz ist die feste Grundlage eines jeden kulturellen, religiösen und politischen Dialogs und erlaubt dem vielfältigen Pluralismus der verschiedenen Kulturen, sich nicht von der gemeinsamen Suche nach dem Wahren und Guten und nach Gott zu lösen. Die Zustimmung zu diesem in die Herzen eingeschriebenen Gesetz ist daher die Voraussetzung für jede konstruktive soziale Zusammenarbeit.“

Zugleich kritisiert Benedikt XVI. erneut präzise den Relativismus. Wer die Beliebigkeit als Maßstab setzt, der stelle jede „moralische Erziehung“ vor „ernste Probleme“: „Wenn man einem solchen Relativismus nachgibt, werden alle ärmer, was negative Auswirkungen auch auf die Wirksamkeit der Hilfe für die notleidenden Völker hat, die nicht nur der wirtschaftlichen und technischen Mittel bedürfen, sondern auch pädagogische Möglichkeiten und Mittel brauchen, die die Personen in ihrer vollen menschlichen Verwirklichung unterstützen.“

Was der Papst 2007 darlegt, wirkt über die Zeit hinaus – insbesondere, wenn wir die Mahnung ernst nehmen, dass das Naturrecht ebenso wenig wie die moralische, notwendigerweise auch die sexuelle Erziehung gemäß dem Evangelium und der Lehre der Kirche scheinbar erneuert, faktisch abrogiert werden können. Benedikt XVI. erinnert an die Würde der menschlichen Person, die zu achten und zu schützen ist. Die Menschheitsfamilie ist als Schöpfung Gottes Wirklichkeit. Darum auch ist jeder Krieg frevelhaft und verderblich. Wir leben in einer traurigen Zeit, in der die Abwendung von Gott neu sichtbar geworden ist. Vergessen dürfen wir dabei auch nicht, dass die christliche Existenzweise, in aufrichtiger Suche nach Gemeinschaft mit Andersgläubigen und Agnostikern, nicht im Strudel der Beliebigkeit sich auflösen darf. Vielleicht müssen wir alle uns auch darum von Benedikt XVI. an das Naturrecht erinnern lassen. Die Sorge um die Menschheitsfamilie, damit um die Würde jedes Einzelnen von der Empfängnis bis in die Sterbestunde hinein, ist uns als Christen anvertraut.

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