Gleich zwei Artikel der französischen Tageszeitung La Croix haben darauf aufmerksam gemacht, dass das Vorgehen von Papst Franziskus gegen die "alte Messe" das Gegenteil erreicht habe: Immer mehr junge Katholiken wendeten sich der traditionellen lateinischen Messe zu. 

In seinem am 4. Juni veröffentlichen Artikel mit dem Titel "Junge Tradis: Bischöfe müssen ein neues Gleichgewicht finden", erinnert sich der französische katholische Historiker Christophe Dickès an ein Video, das kurz nach dem Erscheinen der ersten Maßnahmen gegen die "alte Messe" veröffentlicht wurde.

Der Film wurde aufgenommen, nachdem Papst Franziskus mit seinem Schreiben Traditionis Custodes im Juli 2021 anordnete, die Feier der traditionellen Messe zu begrenzen und beschränken.

Die seit Jahrhunderten gefeierte traditionelle lateinische Messe (TLM) ist auch als "tridentinische" und "gregorianische" bekannt, als Feier im Usus Antiquior, als Messe in der außerordentlichen oder überlieferten Form sowie als "Messe aller Zeiten" und "Alte Messe" (Vetus Ordo), im Gegensatz zur in den 1970er Jahren eingeführten "Neuen Messe" (Novus Ordo).

Da waren keine "schlechtgelaunten, altmodischen und schon gar nicht separatistischen" Gläubige zu sehen, schreibt Dickès, sondern Katholiken, die dem überlieferten Ritus verbunden sind wegen dessen Transzendenz, wegen seiner vertikalen Orientierung, seiner Ausrichtung nach Osten. 

Statt abtrünnig zu sein, hätten diese Gläubigen dem Papst erklärt: "Wir sind deine Schafe". 

Doch Rom habe — fast zwei Jahre später — solche Appelle zurückgewiesen.

"Schlimmer noch", so Dickès, "rechtliche Grauzonen" in Traditionis Custodes führten zu weiteren Einschränkungen durch Kardinal Arthur Roche, Präfekt des Dikasteriums für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, der "den Papst dazu brachte, einen weiteren Text zu unterzeichnen, der die bischöfliche Macht in diesem Bereich auf fast nichts reduzierte" — was Dickès als "Auspressen der Zitrone, bis die Kerne quietschen" bezeichnete.

Er bezog sich dabei auf zwei konkrete Maßnahmen, eine Responsa ad dubia vom Dezember 2021 und ein Reskript vom Februar 2023, die beide die Autorität des Bischofs bei der Erteilung der Erlaubnis zur Feier der traditionellen lateinischen Messe stark einschränken und stattdessen die Autorität in Rom konzentrieren. Diese Maßnahmen sind Teil des von Papst Franziskus in Traditionis Custodes geäußerten Wunsches, dass die von Papst Paul VI. reformierte Liturgie "der einzige Ausdruck" des römischen Ritus sein soll.

"Es ist viel über diese Politik gesagt worden, die nicht dem Geist der Dezentralisierung entspricht, den der Papst seinem Pontifikat geben wollte", stellte Dickès fest. "Während der progressive Flügel der Kirche immer wieder betont, dass der pyramidalen Organisation der Kirche ein Ende gesetzt werden muss, scheint dies in der traditionalistischen Welt nicht akzeptiert zu werden".

Dickès erinnerte an die jüngste Enthüllung von Erzbischof Georg Gänswein, dass Benedikt XVI. das Schreiben Traditionis Custodes für einen "Fehler" gehalten habe, als er davon im L'Osservatore Romano erfuhr, und wies darauf hin, dass die Bischöfe auch von den Einschränkungen überrascht waren, die der Vatikan mit einer Umfrage unter den Diözesen rechtfertigte, "deren Ergebnisse nie veröffentlicht wurden" — und die laut einem Bericht der vatikanischen Journalistin Diane Montagna sogar mehrheitlich zugunsten der "alten Messe" ausfielen. 

Dickès bezog sich weiter auf eine Umfrage der Tageszeitung La Croix vom 26. Mai unter 4.000 jungen französischen Katholiken, die zu den 32.000 Franzosen gehören, die im August zum Weltjugendtag nach Lissabon reisen werden. Die Umfrage habe gezeigt, dass "die Kerne nicht geknirscht haben" und dass "die Mauer, die durch die römischen Entscheidungen errichtet wurde, nicht die gewünschte Wirkung hatte".

Im Gegenteil: "Die Samen scheinen zu keimen, denn 38% der befragten Jugendlichen geben an, die lateinische Messe zu schätzen, und 40% haben nichts dagegen, auch wenn der Ritus nicht ihren Erwartungen entspricht. Die traditionelle jährliche Pfingstwallfahrt von Paris nach Chartres hat kürzlich eine Rekordzahl junger Pilger angezogen, was die Organisatoren dazu veranlasste, die Anmeldungen vorzeitig zu schließen.

Der Anteil der 30.000 befragten jungen Menschen, die angaben, die traditionelle Messe in lateinischer Sprache sei ihre Lieblingsmesse, war mit 8% noch relativ gering, und 19% gaben an, sie gelegentlich zu besuchen, aber der Bericht stellte auch fest, dass "in vielen Kirchen", in denen die TLM gefeiert wird, "gut ein Drittel" der 18- bis 35-Jährigen daran teilnimmt.

"Die Realität vor Ort, wie sie in dieser Umfrage zum Ausdruck kommt, offenbart eine Komplexität, die nicht mehr der Polarität progressiv/traditionalistisch der 1970er Jahre entspricht", stellte Dickès fest. In dieser Hinsicht gebe es eine "erstaunliche Parallele" zwischen der Umfrage von La Croix und dem Video, das junge katholische Gläubige im Jahr 2021 gedreht hätten. "Diese jungen Menschen zeigen ein erstaunlich modernes Gesicht und machen der Welt die Hoffnung bewusst, die in ihnen steckt", sagte er.

Er stimmte auch dem Chefredakteur von La Croix, Jérôme Chapuis, zu, der in einem Leitartikel vom 25. Mai erklärte, es sei ein Fehler, junge traditionelle Katholiken als "reaktionär" oder "katholisch-identitär" zu bezeichnen. Dickès verwies auf eine amerikanische Umfrage der Priesterbruderschaft St. Petrus aus dem Jahr 2021, aus der hervorgeht, dass nur eine kleine Minderheit der 18- bis 39-Jährigen (16 Prozent) aufgrund des elterlichen Einflusses an der lateinischen Messe teilnimmt. 36% gaben an, dass "Respekt und Verehrung" der ausschlaggebende Faktor seien.

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Angesichts dieser Situation, so Dickès, stünden die Bischöfe heute vor einem Dilemma: Wie mit der Realität dieser wachsenden "kreativen Minderheit" umgehen und wie die Berufungen fördern, "ohne die potentiellen jungen Kandidaten in schwere Gewissensnöte zu stürzen", "da Rom für jede neue Priesterweihe im alten Ritus seine Zustimmung geben muss".

Zweiter Artikel in La Croix

In einem weiteren Artikel in La Croix mit dem Titel "Die Wallfahrt von Chartres ist zum Symbol einer fundamentalen Bewegung geworden" weist Jean-Bernard, Mitarbeiter der traditionellen katholischen Monatszeitschrift La Nef, auf die wachsende "objektive Gefahr" einer "Konsolidierung von Parallelgemeinschaften außerhalb der diözesanen Strukturen" hin. Diese Gefahr sei "durch Traditionis Custodes erheblich verstärkt" worden, dessen "Kerngedanke im Wesentlichen darin besteht, die Traditionalisten zu isolieren", und zwar außerhalb der diözesanen Strukturen, "um zu verhindern, dass dieser Ritus in der Öffentlichkeit bekannt wird oder sich ausbreitet".

Mit Blick auf die Restriktionen des Papstes sagte er, dass "die traditionelle Messe im Prinzip nicht mehr in der Pfarrei gefeiert werden kann", und stellte eine weitere "sichtbare Auswirkung" der Restriktionen fest: "Die diözesanen Seminare leeren sich zugunsten der Ausbildungshäuser der traditionalistischen Gemeinschaften".

Ähnliche Beobachtungen gibt es auch im deutschsprachigen Raum

Diese Tendenzen, so der Papst, "machen es dringend notwendig, die traditionelle Messe entgegen der von Rom eingeschlagenen Richtung wieder in den Schoß der Diözesen zurückzuführen". Außerdem, so Franziskus, "müssen die Bischöfe unbedingt die Fülle ihrer Vorrechte in liturgischen Fragen zurückfordern, im Einklang mit der ,gesunden Dezentralisierung', deren Verdienste Papst Franziskus oft lobt".

Der französische Autor schlug eine mögliche Lösung vor, die darin bestünde, dass jede Form des Ritus einige kleinere Aspekte der anderen übernähme, wobei diese Änderungen jedoch sehr sorgfältig und in Übereinstimmung mit den in Sacrosanctum Concilium, der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die göttliche Liturgie, festgelegten Prinzipien vorgenommen werden müssten.

Er räumte ein, dass auch andere wichtige Faktoren berücksichtigt werden müssten, wie die Krise auf "theologischer Ebene, die Beziehung des Christentums zur Moderne und auf moralischer Ebene die Katastrophe der Skandale", aber er glaube, dass solche Lösungsvorschläge "die notwendige Debatte" anregen könnten, um den liturgischen Krieg zwischen den Katholiken zu beenden - einen Krieg, der, wie er sagte, "vor mehr als 50 Jahren begann, jetzt in der dritten Generation von Gläubigen stattfindet und definitiv zu lange gedauert hat".

Eine Ekklesiologie der Gemeinschaft

Dickès stellte seinerseits fest, dass jede Gruppe, die sich verfolgt fühle, am Ende gestärkt werde, etwas, das Benedikt XVI. verstanden habe, wie Erzbischof Gänswein in seinem jüngsten Buch schreibt.

Vor diesem Hintergrund rief Dickès alle Seiten dazu auf, "eine Ekklesiologie der Gemeinschaft wiederzuentdecken und zu pflegen".

"Das wäre der beste Weg nach vorne: die Suche nach einem neuen Gleichgewicht", sagte er. "Es ist ein schmaler Weg, aber nicht unmöglich.

"Es wäre eine Erinnerung daran, dass jeder seinen Platz im Haus des Vaters hat, wie ein Echo auf die Worte des Propheten Jeremia: 'Ich will sie zu ihrer Herde zurückbringen, und sie sollen fruchtbar sein und sich mehren. Ich will ihnen Hirten geben, die sie weiden, und sie sollen sich nicht mehr fürchten noch erschrecken, und niemand soll verloren gehen" (23,1-6).

In der Zusammenschau sind diese Kommentare von Dickès und Bernard von großer Bedeutung — auch deshalb, weil sie in La Croix erschienen sind, der einzigen landesweit erscheinenden katholischen Tageszeitung Frankreichs, die für ihre liberale redaktionelle Haltung und ihre generell positive Einstellung zum Vorgehen von Papst Franziskus bekannt ist.

Übersetzt und redigiert aus dem Originalblog, veröffentlicht beim National Catholic Register. Hinweis: Beiträge wie dieser spiegeln allein die Ansichten der jeweiligen Autoren wider, nicht die der Redaktion von CNA Deutsch.