Das englische Original seines Gefängnistagebuches von Kardinal George Pell – „Prison Journal, Volume 3: The High Court Frees an Innocent Man“ – ist am 2. November 2021 erschienen. Nun endlich ist es auch deutschsprachigen Lesern möglich, dieses schaudererregende Buch zu lesen, das den unspektakulären Titel „Freispruch durch den Obersten Gerichtshof. Das Gefängnistagebuch – Band III“ trägt.

Kardinal Pell ist am 10. Januar 2023 nach einer Routineoperation in Rom verstorben. Zehn Tage bevor er starb wurde auch Papst Benedikt XVI. von dieser Welt abberufen. Diese beiden demütigen Kirchenfürsten verband nicht nur ihr hohes Kirchenamt miteinander, sondern auch ihr Leiden an der Kirche und an ihnen böswilligen Menschen.

In seinem Buch „Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI.“ berichtet Erzbischof Gänswein: „Nach der Rückkehr ins Kloster wurde die Vesper gebetet, und danach war noch Zeit, etwas zu lesen oder zu schreiben oder Gäste zu empfangen. Zuletzt zog er es vor, sich aus Zeitungen oder Büchern – meist im Wechsel Biografien und theologische Sachbücher – vorlesen zu lassen (eines der Bücher, die Benedikt besonders schätzte, waren die Erinnerungen von Kardinal George Pell an seinen Prozess und seine Inhaftierung in Australien).“

„Du wirst den Rest deines Lebens damit verbringen, zu tun, was man dir sagt.“ Diese Worte sagte ein guter Freund von George Pell zu ihm an jenem Tag, als er zum Bischof geweiht wurde. Am 13. Juni 2019 notierte er sich diesen Satz in sein „Gefängnistagebuch“ (Band I). Er hätte niemals daran gedacht, dass dieses Wort in einem ganz anderen Zusammenhang wahr werden würde. An jedem Tag seines Lebens in Gefangenschaft wird der Kirchenmann daran erinnert: Er bekommt gesagt, was er zu tun und zu lassen hat. Dies betrifft inmitten der Corona-Situation auch so banale Dinge wie das Tragen von Masken, häufige Corona-Tests, Impfungen und das Abstandhalten.

Nach monatelangen Voruntersuchungen und medialen Hetzkampagnen wurde Pell 2018 in mehreren Fällen wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Bereits im Jahr zuvor suspendierte ihn Papst Franziskus „wegen der laufenden Untersuchungen“ von allen seinen vatikanischen Ämtern und stellte ihn frei. Obwohl er „freigestellt“ wurde und ins Gefängnis musste, so hatte er dennoch in der der Kirche und darüber hinaus in der ganzen Welt viele Unterstützer.

Vor allem zeigte sich dies in unzähligen Briefen, die Kardinal Pell ins Gefängnis geschickt wurden. Diese Briefe sollten ihm Mut machen, ihm helfen, weiter durchzuhalten und zu kämpfen. Bis schließlich der Oberste Gerichtshof Australiens seine sechsjährige Haftstrafe aufhob und entschied, dass Pell nicht hätte schuldig gesprochen werden dürfen, dauerte es. Und der berühmte Gefangene dachte an seine Mitgefangenen, unter denen sicher auch manche ungerechtfertigt Verurteilten waren, die keine Unterstützung von draußen erfuhren und keine finanziellen Mittel und Kontakte besaßen, um mit Anwälten ihr Recht einzufordern.

Am 29. Dezember 2019 lesen wir im Gefängnistagebuch: „Die meisten Briefe, die ich heute geöffnet habe, kamen aus dem Ausland, den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Irland, und ein paar aus Deutschland. Sie waren allesamt ermutigend, aber die Botschaften waren vielfältiger als sonst. In einer Karte aus Polen hieß es, ein deutscher Kardinal habe ‚gesagt, dass in Australien jetzt Verhältnisse herrschen wie in England unter Heinrich VIII.‘, und eine Gruppe Gottesdienstbesucher des traditionellen römischen Ritus in Berlin zitierte aus dem letzten Brief, den der Dompropst der Sankt-Hedwigs-Kathedrale, Bernhard Lichtenberg (1875–1943), ein Beschützer der verfolgten Juden in Nazideutschland, aus dem Gefängnis geschrieben hat: ‚Ich will alles, was mir widerfährt, Freudiges und Schmerzliches, Erhebendes und Niederdrückendes, im Licht der Ewigkeit ansehen. Ich will […] alles aus Liebe tun und alles aus Liebe leiden.‘ Eine Frau aus Seattle schrieb: ‚Francis George hat mit seinem Lieblingszitat die Zukunft über das Schicksal seiner Nachfolger vorhergesehen‘, auch wenn man sagen könnte, dass ich in dieser Prozession aus der Reihe tanze.“

Was der Erzbischof von Chicago, Kardinal Francis George (1937–2015) im Jahr 2010 sagte, waren diese prophetischen Worte: „Ich werde in meinem Bett sterben, mein Nachfolger wird im Gefängnis sterben und dessen Nachfolger wird als Märtyrer auf einem öffentlichen Platz sterben. Dessen Nachfolger wird die Scherben einer zerstörten Gesellschaft aufsammeln und, wie es die Kirche in der Geschichte der Menschheit so oft getan hat, beim langsamen Wiederaufbau der Zivilisation helfen.“

Papstbiograf George Weigel notiert in seinem Nachwort zum dritten Band: „George Pells robuste katholische Rechtgläubigkeit und seine Vorliebe für Auseinandersetzungen mit der kulturellen Linken und ihren politischen Verbündeten machten andere australische Bischöfe nervös oder sogar schreckhaft, wenn es darum ging, die Kämpfe der Kirche im öffentlichen Raum auszutragen – eine Aufgabe, die zugegebenermaßen durch die jahrzehntelange Doppelmoral (und Schlimmeres) früherer Generationen von australischen Bischöfen im Umgang mit Fällen von klerikalem sexuellem Missbrauch erschwert worden ist. Die Antwort auf diese beschämende Geschichte kann aber nicht darin bestehen, vor dem Mob einzuknicken, und sie kann auch nicht darin bestehen, in Australien einen Katholizismus light nach deutschem Vorbild zu propagieren.“

Zur Situation der katholischen Kirche machte sich Kardinal Pell nicht nur einmal Gedanken. Am 29. Februar 2020 notierte er mit Blick auf Deutschland: „Es handelt sich nicht um eine Synode, sondern um eine Initiative, die die für Synoden geltenden kirchenrechtlichen Beschränkungen umgehen will.“

„Ich war entsetzt, bestätigt zu bekommen, dass Erzbischof Heiner Koch, einer der Sprecher der Rebellion, derselbe Prälat Koch ist, mit dem wir beim Weltjugendtag so gut zusammengearbeitet hatten, als er noch Generalvikar bei Joachim Kardinal Meisner in Köln war. Offenbar haben sich die Ansichten einer Reihe deutscher Bischöfe nach der Beförderung in eine enttäuschende Richtung entwickelt.“

Und er zeigte sich überrascht, dass das „Erzbistum München in diesem Jahr nur einen Neueintritt im Priesterseminar hatte, während die beiden Seminare mit der größten Anzahl deutscher Priesteramtsanwärter außerhalb von Deutschland liegen: das Stift Heiligenkreuz in Österreich und das Seminar der Communauté Saint-Martin in Frankreich“. Dass der im Gefängnis sitzende Kardinal nicht über die noch höhere Anzahl von Priesteramtskandidaten, die in Seminaren von traditionellen Priester- und Ordensgemeinschaften studieren, informiert war, ist dabei nicht verwunderlich.

Kardinal Pell bemühte sich, nicht nachtragend zu sein. So notierte er am 3. April, kurz vor seiner Freilassung anlässlich des Festtags des hl. Franz von Paola, eines Eremiten aus Kalabrien: „Er lebte im 15. Jahrhundert und hat einige gute Ratschläge hinterlassen: An die Bosheit zurückdenken bedeutet neues Unrecht, ist die Vollendung des Zorns, Festhalten an der Sünde, Hass gegen die Gerechtigkeit, Zerstörung der Tugend, Verwirrung im Gebet, Zerrissenheit beim Bitten, das wir vor Gott bringen, Entfremdung von der Liebe, Nagel, der in der Seele steckt, niemals schlafende Bosheit, nie endende Sünde, täglicher Tod. Liebt den Frieden! Er ist ein Schatz, den wir uns am meisten wünschen sollen.“

Der 8. April 2020 ist der Mittwoch in der Karwoche. Endlich kann Kardinal Pell nach seinem Freispruch das Gefängnis nach 404 Tagen Gefangenschaft wieder verlassen. Am Abend des ersten Tages in Freiheit wird er diese Zeilen in seinem Gefängnistagebuch niederschreiben: „Ich schreibe seit 70 Jahren und fand es oft recht anstrengend, ein bisschen wie Beten. Aber dieses lange Tagebuch zu schreiben ist mir nicht schwergefallen. Der Strom der Worte ist nie abgerissen und manchmal kam mir der Gedanke, dass das für einige oder vielleicht sogar viele Menschen providenziell sein könnte.“

Die beiden ersten Bände – „Unschuldig angeklagt und verurteilt – Band I“ und „Die Berufung wurde abgewiesen. Das Gefängnistagebuch – Band II“ sind wie der dritte Band beim Verlag Media Maria erschienen:

George Kardinal Pell. Freispruch durch den Obersten Gerichtshof. Das Gefängnistagebuch – Band III; Media Maria Verlag 2023; ISBN: 978-3947931521; 416 Seiten; 22 Euro

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