3. Mai 2025
In der Katechese vom 12. November 1980 (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 80/47) denkt Johannes Paul II. weiterhin über das Verhältnis von Ethos und Eros nach.
Das Ethos der Bergpredigt bezeichnet er als „Entdeckung einer neuen Wertordnung“, in der der Ehebruch bereits mit der Äußerung der Begierde verknüpft ist. In der Erotik sei die „bräutliche Bedeutung des Leibes“ und die „wahre Würde des Sich-Schenkens“ gleichzeitig zu beachten: „Hier liegt eine Aufgabe des menschlichen Geistes, eine Aufgabe, die ethischen und sittlichen Charakter hat. Wird diese Aufgabe nicht geleistet, können die Anziehungskraft der Sinne und die Leidenschaft des Körpers bei der reinen, von jedem ethischen Wert losgelösten Begierde stehenbleiben, und der Mensch, Mann und Frau, erfährt nicht jene Fülle des Eros, die den Aufschwung des menschlichen Geistes zum Wahren, Guten und Schönen bedeutet und wodurch auch das Erotische wahr, gut und schön wird. Das Ethos muss daher unbedingt zur bestimmenden Gestalt des Eros werden.“
Diese Gedanken stehen im Gegensatz zu den bestimmenden Meinungen im Zeitalter des Relativismus, auch zu einem fragwürdigen Begriff von Autonomie. Wenn der Eros vom Ethos gelöst ist, wird der Mensch zum Spielball eines anderen. Es besteht ein leeres Spiel äußerlicher Reize und bestimmender Begierden, in der letztlich besonders auch die Würde der Frau missachtet wird, wenn sie auf ein Objekt erotischer Gelüste reduziert wird. Ethos und Eros gehören untrennbar zueinander, und dies gilt auch für die Ehe.
Johannes Paul II. führt aus: „Sehr häufig meint man, gerade das Ethos entziehe dem, was im Leben und Verhalten des Menschen erotisch ist, die spontane Ursprünglichkeit; deshalb fordert man den Abschied vom Ethos ‚zum Vorteil‘ des Eros. Es könnte so scheinen, als ob auch die Worte der Bergpredigt diesem ‚Glück‘ hinderlich sind. Das ist eine wenn nicht irrige, so doch gewiß oberflächliche Meinung. Wenn wir sie akzeptieren und hartnäckig festhalten, erreichen wir nie den Eros in seiner Vollgestalt, und das wirkt sich unvermeidlich im Bereich der entsprechenden ‚Praxis‘ aus, also in unserem Verhalten und auch in der konkreten Werterfahrung.“ Die „Reife der Spontaneität der Beziehungen“ gewinne derjenige, der die „Antriebe des eigenen Herzens“ klug zu unterscheiden wisse.
Der Mensch soll sich seiner inneren Haltungen bewusst werden, sie erkennen und richtig einordnen: „Die Worte Christi fordern, dass der Mensch in diesem scheinbar ausschließlich dem Körper und den Sinnen, also dem äußeren Menschen zugehörigen Bereich tatsächlich ein innerer Mensch bleibt, dass er dem rechten Gewissen zu gehorchen weiß, dass er wirklich Herr seiner inneren Triebe zu sein vermag, gleich einem Wächter, der eine verborgene Quelle hütet; dass er schließlich imstande ist, bei all diesen Trieben sich für das zu entscheiden, was der ‚Reinheit des Herzens‘ entspricht, indem er gewissenhaft und konsequent den personalen Sinn der bräutlichen Bedeutung des Leibes aufbaut, der den Innenraum der freien Hingabe erschließt.“
Der Begriff Hingabe ist also unauflöslich auch mit Herzensreinheit verknüpft. Der Mensch muss lernen, ein hörendes Herz zu haben, um wachsam zu werden für die „inneren Regungen“ des eigenen Herzens: „Das ist eine ‚Wissenschaft‘, die man wahrhaftig nicht ausschließlich aus Büchern lernen kann, weil es hier in erster Linie um ein vertieftes Erkennen des menschlichen Innern geht. Im Rahmen dieser Erkenntnis lernt der Mensch zwischen dem unterscheiden, was den mannigfaltigen Reichtum der Männlichkeit und der Weiblichkeit in den Zeichen ausmacht, die von ihrer ewigen Berufung und geschöpflichen Anziehungskraft herrühren, und dem, was allein das Zeichen der Begierde trägt. Und obgleich sich diese Varianten und Nuancen der inneren Regungen des Herzens in einem bestimmten Grad überschneiden, muss doch gesagt werden, dass der innere Mensch von Christus berufen ist, ein reifes und vollkommenes Urteil zu gewinnen, das ihn die verschiedenen Strömungen seines eigenen Herzens unterscheiden und werten lässt.“
Die „sexuelle Begierde“ wird sodann mit der „edlen Lust“ verknüpft – und ist damit von der Begierde wesentlich unterschieden: „Ähnliches gilt von den unmittelbaren Reaktionen des Herzens: die sinnliche Erregung unterscheidet sich ganz und gar von der tiefen Gemütsbewegung, mit welcher nicht nur die Sensibilität, sondern auch die Geschlechtlichkeit auf den unverkürzten Ausdruck der Fraulichkeit bzw. Männlichkeit reagiert.“
Der Mensch ist aufgerufen und im christlichen Sinne berufen, die Triebe zu beherrschen und zu einer reifen Spontaneität zu gelangen, „mit der sein Herz durch Beherrschung der Instinkte die geistige Schönheit der Zeichenhaftigkeit des menschlichen Leibes in seiner Männlichkeit bzw. Fraulichkeit entdeckt“. Die „reife Spontaneität des menschlichen Herzens“ macht das „edle Verlangen“ und die Sehnsüchte des Herzens erst wahrhaft frei.
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