Kardinal Gerhard Müller hat im Interview mit dem "Spiegel" von einem Zusammenhang zwischen Homosexualität und Missbrauch im Vorfeld der vatikanischen Konferenz zum Kinderschutz, die vom 21. bis 24. Februar 2019 stattfindet, gesprochen und zudem erklärt: "Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird, wir werden geboren als Mann oder Frau."

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Auch diese Meinung, scheint mir, darf man haben und öffentlich aussprechen. Wer dem Kardinal zustimmen möchte, möge zustimmen, und wer widersprechen möchte, der möge widersprechen – und wer indifferent bleiben möchte, hat auch das Recht auf Stimmenthaltung.

Erinnert sei an das Neujahrswort (hier als PDF) des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck: "Neue wissenschaftliche Erkenntnisse provozieren uns zu Recht. Insbesondere die äußerst negative Bewertung der Homosexualität braucht eine dringende Korrektur. Ich selbst bin hier durch meine persönlichen Begegnungen und eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Thema zu neuen Einsichten gekommen. Darum bin ich überzeugt davon, dass sich unsere kirchliche Lehre in dieser und anderen sexualethischen Fragen weiterentwickeln muss."

Eine provokative Meinungsäußerung, wie Kardinal Müller, äußerte Bischof Dr. Overbeck offenbar nicht. Aber an welche provokativen "wissenschaftliche Erkenntnisse" er denkt, das hat er verschwiegen. Eine zweifelsfrei bestehende genetische Disposition für die Homosexualität von Männern ist, so weit ich weiß, auch durch neuere Studien nicht endgültig nachgewiesen worden. Das Phänomen Homosexualität ist indessen seit der Antike bekannt. Das gilt auch für eine sehr spezielle Form dieser. Von Philosophen wie Platon nämlich wurde die Päderastie, also die Knabenliebe, durchaus goutiert. Die Skandalgeschichte dieser schändlichen Verbrechen dauert bekanntlich bis in die Gegenwart fort – auch in, aber nicht weniger jenseits der römisch-katholischen Kirche.

Päderastie wird strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich allgemein scharf verurteilt. Homosexualität unter Erwachsenen aber wird heute verbreitet als Erscheinungsform und Lebenspraxis subjektiv, gesellschaftspolitisch wie möglicherweise auch religiös verschiedentlich gutgeheißen, anerkannt und gebilligt, auch von sehr vielen Katholiken in Deutschland. Das legen Meinungsumfragen nahe. Zugleich aber gibt es für Katholiken überall auf der Welt einen Leitfaden, der eine eindeutige Orientierung bietet und damit mitnichten ein unverbindliches Angebot darstellt: nämlich der – auch im Jahr 2019 unverändert verbindlich gültige – Katechismus der römisch-katholischen Kirche. Wer, warum auch immer, verunsichert ist, sich nicht ganz genau erinnert oder einfach mehr wissen möchte, lese sich einfach die klar formulierten Abschnitte 2357-2359 durch.  

Einfach gläubige, fromme Katholiken fragen sich inmitten von so vielen aufgeregten Diskursen und hitzigen Debatten heute dennoch mit Recht: Was sagt eigentlich Papst Franziskus zum Phänomen Homosexualität? Es könnte sinnvoll sein, sich einige seiner Überlegungen ins Gedächtnis zu rufen. Mario Galgano hat jüngst eine Reihe päpstlicher Äußerungen gesammelt: "Ich habe in meinem Leben als Priester, als Bischof – auch als Papst – Menschen mit homosexueller Tendenz und auch solche, die ihre Homosexualität praktizierten, begleitet. Ich habe sie begleitet, sie dem Herrn näher gebracht – einige sind dazu nicht fähig, aber ich habe sie begleitet – und nie habe ich jemanden im Stich gelassen. Das ist es, was man tun muss. Man muss die Menschen begleiten, wie Jesus sie begleitet. Wenn jemand, der in dieser Lage ist, vor Jesus tritt, wird dieser ihm sicher nicht sagen: 'Pack dich fort, denn du bist homosexuell!' Nein." Wer seelsorgliche Begleitung wünscht, hat das Recht darauf. Das Recht auf Begleitung bedeutet aber nicht, dass der Seelsorger Verstöße gegen die Lehre der Kirche billigen muss. Sich Begleitung zu wünschen, heißt auch nicht, dass der Begleitete den Begleiter um Verständnis bittet und erwartet, dass der Seelsorger den Katechismus ignoriert und sich für eine Revision der Lehre der Kirche einsetzt. Wer Rat sucht, tritt auch nicht als Ratgeber auf. Vielleicht können wir uns auch Folgendes vorstellen: Wer sich wahrhaft geistliche Nähe wünscht, wird doch von innen her darauf hoffen, nicht den Priester, Bischof oder gar den Stellvertreter Christi zu korrigieren. Er wird, im Gegenteil, möglicherweise den Wunsch hegen, selbst eindeutig und unmissverständlich gemäß der Lehre der Kirche korrigiert – und nicht auch noch in seiner Sünde, in Verwirrung und Irrtum bestärkt und bestätigt zu werden. Seelsorge tut also not.

In dem Buch "Die Kraft der Berufung", erschienen im Dezember, bestimmt Franziskus Homosexualität sorgenvoll als eine Art von Mode. Der Papst ist für seine unmissverständlichen Aussagen in Deutschland scharf kritisiert worden. Papst-Interviewer Fernando Prado fragt in dem Buch: "Es ist kein Geheimnis, dass es im geweihten Leben und im Klerus auch Menschen mit homosexuellen Neigungen gibt. Was lässt sich dazu sagen?"

Franziskus antwortet: "Die Frage der Homosexualität ist ein sehr ernstes Thema, das von Anfang an bei den Kandidaten richtig berücksichtigt werden muss, wenn das der Fall ist. Wir müssen anspruchsvoll sein. In unseren Gesellschaften scheint es sogar, dass Homosexualität in Mode ist und dass die Mentalität in gewisser Weise auch das Leben der Kirche beeinflusst".

Der Papst schildert, dass er einmal "einen etwas skandalisierten Bischof hatte, der mir erzählte, dass er herausgefunden hatte, dass es in seiner Diözese, einer sehr großen Diözese, mehrere homosexuelle Priester gab und dass er sich mit all dem auseinandersetzen musste, indem er vor allem in den Ausbildungsprozess eingriff, um in Zukunft andere Geistliche auszubilden".

"Das ist eine Realität, die wir nicht leugnen können. Auch im geweihten Leben gibt es keinen Mangel an Fällen. Ein Ordensangehöriger erzählte mir, dass er bei einem kanonischen Besuch in einer der Provinzen seiner Kongregation überrascht war. Er sah, dass es gute junge Studenten gab und sogar einige bereits bekannte Ordensleute, die schwul waren", so der Pontifex.

Der Papst fährt fort, dass die Ordensleute "sich fragten, ob es sich dabei um ein Problem handelt, und mich fragten, ob damit etwas nicht stimmt". Ein führender Ordensvertreter habe ihm gesagt, dass das Problem nicht "so ernst ist, es ist nur Ausdruck einer Zuneigung".

"Das ist ein Fehler", warnt Franziskus im Buch. "Es ist nicht nur ein Ausdruck einer Zuneigung. Deshalb empfiehlt die Kirche, dass Menschen mit einer solchen tief verwurzelten Tendenz nicht in den Dienst oder das geweihte Leben aufgenommen werden. Das Amt oder das geweihte Leben ist dafür nicht der geeignete Ort."

Noch Fragen? Der hl. Ambrosius sagte: "Ubi Petrus, ibi ecclesia" – Wo Petrus, das heißt: wo der Papst ist, dort ist die Kirche. Und Papst Franziskus hat gesprochen.

Dr. Thorsten Paprotny lehrte von 1998 bis 2010 am Philosophischen Seminar und von 2010 bis 2017 am Institut für Theologie und Religionswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. Er publizierte zahlreiche Bücher im Verlag Herder. Gegenwärtig arbeitet er an einer Studie zum Verhältnis von Systematischer Theologie und Exegese im Werk von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. Er publiziert regelmäßig in den "Mitteilungen des Instituts Papst Benedikt XVI.".  

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