Der Hildesheimer Dom St. Mariä Himmelfahrt war für viereinhalb Jahre geschlossen, von Januar 2010 bis August 2014. In dieser Zeit wurde die Bischofskirche saniert, aufwändig umgestaltet und, wie es die bauamtliche Sprache ungewollt doppelsinnig ausdrückt, auch "entkernt". Der Dom, der Domschatz und die evangelische Kirche St. Michaelis gehören zudem seit 1985 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Seit der Wiedereröffnung sind einige der in der Kirche ausgestellten Domschätze in ein neues Licht gerückt. Scheinwerfer sind auf die aus dem Mittelalter stammende Bernwardssäule und auf die berühmte Bernwardstür gerichtet. Auf Glastüren sehen Besucher das Symbol des tausendjährigen Rosenstocks. Alles ist beleuchtet. Ja, berühmte "Kunstschätze" werden angestrahlt. Der Dom und seine Ausstattung glänzen in einem neuen Licht. Doch auf manchen Besucher wirkt die erneuerte Bischofskirche nun wie eine prächtig beleuchtete Kunsthalle. Lernen wir bei einem Domspaziergang in Hildesheim wirklich die wahren Schätze der Kirche kennen? Ein Museum jedenfalls ist die Kirche nicht, auch kein kulturgeschichtlicher Erinnerungsort für den mittlerweile unverständlicherweise verfemten Begriff "christliches Abendland". 

Manchmal ist die Renovierung von Kirchen notwendig. Die Bausubstanz erfordert das. Wer Kirchen erhalten möchte, muss dafür Sorge tragen, dass bauliche Mängel behoben werden. Wenn heute von der Erneuerung der Kirche gesprochen wird, so denken manche reformorientierte Christen an ganz andere Maßnahmen, um die römisch-katholische Kirche gewissermaßen wieder herauszuputzen. Ob die Schätze der Kirche auf dem "Synodalen Weg" in ein neues Licht gerückt werden?
Erinnern wir uns heute vielleicht einmal an das Zweite Vatikanische Konzil.

Der Konzilstheologe Joseph Ratzinger hat nach jeder Sitzungsperiode einen Bericht abgefasst und Vorträge über das Konzil gehalten. Nach dessen Abschluss dachte er über die Schätze der Kirche nach. Zunächst stellte er fest, dass die "Erneuerung" der Kirche zuweilen mit der "Verwässerung und Verbilligung des Ganzen" verwechselt werde. Eine "liturgische Gestaltungsfreudigkeit" mache sich breit. Statt aber diese Aspekte zu diskutieren – manchem mögen bei diesen Worten heute vielleicht kontroverse Diskussionen über die Bewahrung oder postmoderne Entkernung der katholischen Morallehre in den Sinn kommen –, hält Ratzinger daran fest, dass die "Kirche in einer neuen Situation von innen her der Erneuerung bedurfte" und betont gleichzeitig: "Aber darüber darf man nicht vergessen, dass die Kirche allzeit Kirche geblieben ist und dass allzeit in ihr der Weg des Evangeliums gefunden werden konnte und gefunden worden ist." Er erinnert an bewegende Worte des Religionswissenschaftlers Friedrich Heiler, der, ehemals römisch-katholisch, sich der hochkirchlichen Kirche Schwedens angeschlossen hatte. Trotz aller Schwierigkeiten betrachteten, so Heiler, Millionen Menschen die Kirche von Rom als ihre "geistige Mutter". Sie wüssten sich in ihr geborgen, im Leben und im Sterben.

Tief berührt weist der junge Professor Ratzinger darauf hin, die Kirche lebe immer, in der Nachkonzilszeit, aber auch heute, "in trüben und in großen Zeiten vom Glauben derer, die einfachen Herzens sind". Denken wir heute daran? Ratzinger fährt fort: "Der Glaube blieb lebendig in denen, die einfachen Herzens waren: Sie waren es, die die Fackel der Hoffnung weitergaben an das Neue Testament; ihre Namen sind die letzten des alten Gottesvolkes und die ersten des neuen in einem: Zacharias, Elisabeth, Joseph, Maria. Der Glaube derer, die einfachen Herzens sind, ist der kostbarste Schatz der Kirche; ihm zu dienen und ihn selbst zu leben, ist die höchste Aufgabe kirchlicher Erneuerung." (Joseph Ratzinger: Die letzte Sitzungsperiode des Konzils, in: Gesammelte Schriften Bd. 7/1, Herder Verlag, 574 f.)

Die Kirche taugt weder als Streitplatz für politische Erneuerungsstrategien noch als Museum für sakrale Kunst aus dem Mittelalter. Sie ist das Haus Gottes, das Geborgenheit schenkt, im Leben und im Sterben. Vom Licht des Glaubens künden die einfach gläubigen Christen, in ihrem stillen Gebet, in ihrer Arbeit, im Alltag, in ihrer Sorge um die Familie, unauffällig, leise und demütig. Betende, gläubige Menschen sind die wahren Schätze der Kirche. Auf sie sind keine Scheinwerfer gerichtet. Aber das Licht Christi scheint durch sie hindurch. Die Schätze der Kirche sind durchlässig für das Licht, das über diese Welt hinausreicht. Diese Lichtspur des Glaubens führt bis ans Ende der Zeiten. Wenn Sie die heilige Messe mitfeiern möchten, sehen Sie vielleicht auch kostbare, effektvoll illuminierte Kunstwerke. Wirklich wichtig ist etwas ganz anderes: Sie begegnen Gott im Sakrament des Altares, und Sie begegnen den lebendigen Schätzen der Kirche, Ihren Schwestern und Brüdern im Glauben. Diese beweglichen Schätze werden – so wie Sie und ich – in die Welt, in den Alltag hinaus gesandt. Sie leuchten von innen her, persönlich ganz unscheinbar, auf ihren Wegen, ungeachtet ihrer je eigenen Unvollkommenheit und Schwäche, als Boten und als Zeugen des auferstandenen Herrn Jesus Christus.

Immer wieder werden die lebendigen "Schätze der Kirche" zum Haus des Herrn zurückkehren, um still zu beten, um zu singen, um ihren Glauben zu festigen und zu bekennen, um die heilige Messe mitzufeiern, um das Sakrament der Buße und die heilige Kommunion zu empfangen. Sie kommen, um sich von innen her von Christus erneuern zu lassen und erneut die Worte zu vernehmen: "Ite, missa est." Der Glaube derer, die einfachen Herzens sind, war, ist und bleibt, wie Joseph Ratzinger sagte, der kostbarste Schatz der Kirche. 

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Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch. Erstveröffentlichung am 17. Juli 2019.

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