Liebe Brüder und Schwestern!  

Es muss ein nebliger Tag gewesen sein, der 9. Februar 1818. In den Dombes, der ärmlichen Gegend nördlich von Lyon sucht ein junger Mann nach dem Weg. Es ist Jean Marie Vianney. Gerade einmal drei Jahre Priester, hat man ihn nun wegen seiner offenbar sehr begrenzten Fähigkeiten zum Pfarrer eines kleinen unbedeutenden Dörfchens namens Ars gemacht. Auf dem Fußweg dorthin gerät er in den für die Gegend typischen Nebel, so dass er seinen neuen Einsatzort zwischen den Hügeln der Landschaft nicht findet. Es hat etwas Symbolisches an sich, denn der Ort ist geistlich verkommen und die Wahrnehmung seiner Einwohner für Gott vernebelt. Man praktiziert nicht mehr recht, führt ein zügelloses Leben und hat Gott und Kirche weitestgehend den Rücken gekehrt.

Schließlich trifft Abbe Vianney einen kleinen Hirtenjungen, Antoine Givre, und fragt ihn nach dem Weg. Die Begegnung soll später in die Geschichte eingehen. Nachdem der Junge dem Priester den Weg nach Ars gezeigt hat, dankt es ihm dieser mit einer Antwort, die berühmt werden wird: "Du hast mir den Weg nach Ars gezeigt; ich werde Dir den Weg zum Himmel zeigen."

Der neue Pfarrer von Ars erreicht schließlich sein Dorf. Hier wird entgegen allen Vermutungen, nicht ein weiterer Pfarrer sich die Zähne erfolglos an den abständigen Menschen ausbeißen. Hier wird später die Pfarrei die Menschen nicht fassen, die aus aller Welt einmal hierher kommen werden.

"Den Weg zum Himmel zeigen" 

Sofort nach der Ankunft in Ars besuchte Vianney die Kirche. Verödet liegt das Heiligtum, in dem seit Wochen kein Gottesdienst mehr gehalten wurde. Die Kirche ist schon lange ohne Beter, der Altar ohne Schmuck. Das ewige Licht ist erloschen, doch das Allerheiligste ist noch da. Hier liegt der Ansatz dafür, dass aus diesem Priester, Jean Marie Vianney einmal der Hl. Pfarrer von Ars werden wird, der zu seinen Lebzeiten Millionen Menschen aus ganz Frankreich und darüber hinaus anziehen wird, der bis zu sechzehn Stunden am Tag im Beichtstuhl Menschen mit Gott versöhnen wird, der die Liebe zur Hl. Messe wieder in die Herzen der Gläubigen senken wird und der damit genau das tun wird, was er dem kleinen Antoine Givre versprochen hatte: den Weg zum Himmel zu zeigen.

Dreihundert Priester und Ordensleute und mehr als sechstausend Gläubige werden am 4. August 1859 Johannes Maria Vianney in dem 300 Seelen-Dorf Ars das letzte Geleit geben, nachdem sein Leben in die Hände dessen zurückgegeben hatte, dem er sich ganz und gar geweiht hatte. Er hatte seine Arbeit im Weinberg gut gemacht. Er hatte den Guten Hirten, Christus, mit Liebe und Strenge recht vertreten. Er hatte nicht bloß mit dem Finger in den Himmel gezeigt, sondern war auch mit seinem ganzen Leben ein menschgewordener Fingerzeig auf Gott gewesen. Er hatte als Guter Hirte den ihm anvertrauten Schafen die enge Tür gezeigt, durch die man zum Leben gelangt. Sein "Pastoralplan" – um es einmal in heutigem "Kirchensprech" zu sagen – war nicht kompliziert. Er war schlicht und einfach wie er selbst und versprach allen eine Zukunft bei Gott, die umgekehrt in ihrem Herzen Gott schon jetzt einen Platz bereiten würden. Er war selbst ganz und gar von Gott durchdrungen, so dass die Menschen spürten, dass hier kein Funktionär zugange war, sondern ein wirklich geistlicher Mensch, jemand, der die Nähe Gottes spürbar machen konnte, in dessen Nähe Gott nahe war, so dass sich kaum jemand seinem Einfluss entziehen konnte. 

Der Himmel, das war das Erfolgsrezept des Hl. Pfarrers von Ars, sollte nicht nur Zukunft, sondern auch Gegenwart sein. Besonders in den Sakramenten der Beichte und der Eucharistie wurde die Gegenwart Gottes für die Menschen spürbar und greifbar. Die Barmherzigkeit Gottes in der Belohnung für die Umkehr des Einzelnen und für sein reuiges Bekenntnis in der Beichte und die Gewissheit, dass in der Heiligen Messe Christus real gegenwärtig, dass die wirkliche und dort nicht bloß eine symbolische Begegnung mit dem lebendendigen Christus stattfindet, der sich am Kreuz für uns hingibt und uns schon jetzt Anteil an Seinem Leben schenkt, damit wir am Ende das Ewige Leben des Himmels erben - genau das also, was unseren Pfarreien in der Gegenwart mehr und mehr zu verlieren drohen, stellte der Hl. Pfarrer von Ars in seiner Pfarrei wieder auf den Leuchter: Beichte und Messe. Dorthin kann alles getragen werden und von dort kann alles empfangen werden.

Dafür, braucht die Welt den Priester. Damit den Menschen Christus durch die Hand Seiner Diener die Herde zusammenhält und beglückt, sie mit sanfter Kraft vor Abwegen bewahrt und die Verirrten zurückholt, der gesandt wird, damit die Welt nicht ohne Gnade bleibt, damit die Menschen nicht am Ziel vorbeigehen, sondern sie es trotz aller Orientierungslosigkeit finden.

"Eine der schlimmsten Wunden der Kirche" 

Es ist dies, liebe Brüder und Schwestern, das – besonders in unseren deutschen Landen – flächendeckend in Vergessenheit geraten ist, dass der Priester nicht ein freundlicher Herr mittleren Alters ist, der stets lächelt und nicht "Nein!" sagen kann. Sondern dass er ein Hirte ist, dessen Aufgabe es ist, den Menschen die Tür zu Christus zu zeigen, der hinter dieser Tür die Herde in Seinem Ewigen Pferch beglücken will. Und dass dies voraussetzt, dass er selbst diese Tür kennt und mit rastloser Unruhe sich müht, den Schafen den rechten Weg dorthin zu zeigen.

Es ist eine der schlimmsten Wunden der Kirche unserer Tage, dass den Hirten der Kirche genau diese Aufgabe bestritten wird, dass man sie bezichtigt, das Wissen um den Weg und das Ziel sei eine Anmaßung. Denn dies verkennt, wozu es den Priester gibt und weshalb er notwendig ist. Denn der Priester ist nicht derjenige, der durch Studium oder persönliche Ausstrahlung der bessere Gläubige ist. Der Priester ist ein Werkzeug. Er ist aus sich überhaupt nichts. Er ist derjenige, den Christus braucht, um durch ihn zu wirken, zu sprechen, zu leiten und zu heiligen.

Und die Pfarrei, die er zu leiten hat, ist deswegen eine geistliche Größe, bei der es nicht in erster Linie um Verwaltung und Finanzen oder gutbürgerliche Freizeitgestaltung mit religiösem Touch geht. Nein, die Leitung der Gemeinde ist kein Machtspiel, wie heute gerne unterstellt, sondern eine geistliche Leitung, bei der der Priester sich als Träger einer geistlichen Vollmacht Christus zu Verfügung stellt, damit Er durch ihn das tut, was nötig ist, damit er die Sakramente spendet und in ihnen an den Menschen – ungeachtet seiner eigenen Armseligkeit -  etwas bewirkt, was ohne die Sakramente nicht möglich ist. Der Priester ist der, der die Menschen auf eine Weise in Gottes Nähe bringt, die nicht er erfunden hat, sondern Christus selbst. Er soll die Tür zeigen, durch man zu Christus findet. Und diese Tür sind besonders die Sakramente, die den Menschen nach dem Willen Christi helfen, das Leben zu finden, das Gott uns versprochen hat und das die Seele mit Heil erfüllt.

"Seel-Sorge" im eigentlichen Sinne ist daher nicht ohne die sakramentale Basis denkbar, die Christus seinen Aposteln und ihren Nachfolgern, den Bischöfen und Priestern überantwortet hat. Ohne Hl. Messe, ohne Beichte, ohne die Krankensalbung als regelmäßige Berührungspunkte mit Christus stirbt die Kirche von innen her.

Denn die Sakramente sind nicht schöne Dekorationen für Zeiten der religiösen Blüte, sie sind notwendige Maßnahmen des Guten Hirten, Seine Herde vor den Angriffen des Feindes, vor Verhungern und Verdursten und vor der Orientierungslosigkeit falscher Wege zu bewahren. Maßnahmen, die der Gute Hirte durch die Hirten der Kirche verwirklicht wissen wollte. Darum braucht die Kirche den Priester, darum ist er unverzichtbar und unersetzbar. Und deswegen dürfen wir uns niemals mit dem Mangel an Priestern begnügen, um nicht zuletzt das zu verhindern, was der heilige Pfarrer von Ars einmal voller Sorge prophezeite und das heute eine erschreckende Aktualität gewonnen hat: "Lasst eine Pfarrei zwanzig Jahre ohne Priester, und sie werden dort die Tiere anbeten!"

Heute am Welttag der Geistlichen Berufe, ruft uns die Kirche zum Gebet auf, damit uns dieser Zusammenhang nicht verloren geht. Es ist das Gebet, das helfen kann und das helfen wird. Und zwar nicht nur das Gebet um mehr Priester, sondern auch um gute Familien, in denen eine Berufung heranwachsen kann und nicht als Katastrophe betrachtet wird, um gute Ausbilder in den Priesterseminaren, um gute priesterliche Vorbilder, an denen jungen Menschen Orientierung finden und um ein waches Gehör für alle, die der Ruf Gottes trifft. Es ist letztlich die innere Qualität unserer Pfarreien, unsere Gläubigkeit, unserer Frömmigkeit, unsere Kirchlichkeit, die den Humus für Berufungen bildet. Woher sollen denn Priester kommen, wenn nicht aus der Mitte eines Lebensraums, in dem das Amt des Priesters geschätzt wird? 

Beten Sie darum täglich um Priester im Weinberg Gottes! Dass die, die er ruft, seinen Ruf hören und dass sie den Mut finden, sich Gott so zu schenken, wie es der Hl. Pfarrer von Ars tat. Damit die Nebel der Gottesferne sich lichten und die Menschen unserer Tage spüren, dass der Himmel unter uns ist.

So wie es Johann Michael Sailer als Bitte für die Bischöfe hinterlassen hat. Wir dürfen mit seinen Worten alle Hirten der Kirche Christus anempfehlen:

Herr Jesus Christus Du Hirt und Haupt Deiner Kirche, steh unseren Hirten bei mit der Kraft Deines Segens, dass sie uns entflammen durch ihren Eifer, uns Vorbild sind durch ihren Wandel, uns tragen durch ihre Liebe, uns stärken durch ihre Geduld, uns erhalten in der Freude des Heiligen Geistes, uns segnen durch ihre Gebete, uns gute Weisung geben durch ihre Lehre und uns einigen zu Deinem heiligen Volk und zum lauteren Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit. Amen

Dr. Guido Rodheudt ist Pfarrer von St. Gertrud in Herzogenrath und Gründer des "Netzwerks katholischer Priester". Seit Ausbruch der Coronavirus-Krise überträgt er täglich die Feier der heiligen Messe über das Internet. 

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