Gewaltig war - wieder einmal - die Empörung: Papst Benedikt habe gesagt, es sei "ebenso wichtig, die Menschheit vor homosexuellem oder transsexuellen Verhalten zu bewahren, wie den Regenwald zu schützen", meldete im Jahr 2008 die BBC über die Ansprache Benedikts. Doch genau das hat er eben nicht gesagt, so Paul Badde, der - damals in der "Welt" - diese heute brennend aktuelle Rede einordnete.

"Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren wurde", ruft Hiob verzweifelt in der Bibel "und auch die Nacht, in der man sagte: 'Es ist ein Junge!'" - Das bestürzende Drama ist rund 2500 Jahre alt, doch dieser Schrei (Hiob, 3,3) speichert ganz nebenbei noch eine Erkenntnis ab, die wir uns kaum alt genug vorstellen können. Das ist die Ur-Unterscheidung des Menschen in der Sekunde seiner Geburt. Das ist der Unterschied, den jede Hebamme selbst in stockfinstrer Nacht wenn schon nicht mit einem einzigen Blick, dann doch mit einem ersten Griff des kleinen Geschöpfes wahrnimmt. Das ist die Unterscheidung des Menschen in Mann und Frau. Diese grundsätzliche Unterscheidung ist in allen Weltreligionen eine anthropologische Konstante – und sie gehört wesentlich zum christlichen Menschenbild. Vorbei allerdings die Zeit, in dem dieses überkommene Menschenbild als selbstverständlich oder gar noch als verbindlich gelten konnte. 

Denn spätestens auf der Weltfrauenkonferenz der UNO 1995 in Peking  wurde ein synthetisches Menschenbild geweiht, das seitdem zum Herzstück einer neuen globalen Zivilreligion geworden ist. Nicht mehr Penis und Vagina oder Bart und Brüste bestimmen demnach das wahre Geschlecht eines Menschen, sondern allein dessen Empfindung und freie Wahl. Der Kernbegriff dieser Weltanschauung heißt Gleichstellung. Sie gilt als Wunderwerkzeug, mit der jeder ungerechten Behandlung der Frau (und jener Männer, die wie Frauen fühlen) de facto und de iure entgegengetreten werden kann. Weil Mann und Frau aber - siehe oben – traditionell als nicht identisch, schlimmer noch, als "nicht gleich" galten, soll seit damals nicht mehr eine objektive Unterscheidung Kriterium des eigenen Geschlechts sein, sondern nur noch die subjektive und freie Entscheidung. Zu den fundamentalen Rechten des Menschen soll demnach also auch seine Freiheit gehören, das eigene Geschlecht ebenso wie die eigene sexuelle Orientierung zu wählen und selbst zu entscheiden, ob er/sie/es Mann oder Frau sein will, oder ob schwul, bi- oder transsexuell. Der Begriff "Gender" unterscheidet seitdem das soziale Geschlecht von dem biologischen Geschlecht einer Person. Tatsächliche Unterschiede müssen dabei selbstverständlich empfindlich stören. 

Eine Neukonstruktion des Menschenbildes nach diesen Vorgaben hat natürlich kaum weniger gewaltige Implikationen als der kommunistische Versuch der Schöpfung eines neuen Menschen, und schon jetzt zeitigt das so genannte "Gender Mainstreaming" (das seit 1999 auch offiziell "Leitprinzip und Querschnittaufgabe" der deutschen Politik geworden ist) fundamentale Konsequenzen. Die Gleichstellung der so genannten Schwulen-Ehe mit einer normalen Ehe zwischen Vater und Mutter etwa gehört tendenziell ebenso unabdingbar zu diesem neuen Konzept des Menschlichen dazu wie die völlige Freiheit der Entscheidung zur Abtreibung in jedem Monat der Schwangerschaft. Abtreibung ist hier ein Menschenrecht. Natürlich kann ein Embryo deshalb kein Mensch sein. Und so weiter. Es ist die moderne Welt, die uns da entgegenkommt – und es ist schon lange keine Morgenröte mehr. Es ist eine Geistesströmung, mächtiger als der Amazonas, die zum Mainstream der Medien, der Universitäten und Politik geworden ist. Wer seine Stimme zu einem Einwand erhebt, wird da rasch ein "Hassredner", von einem Terroristen kaum noch zu unterscheiden. Ja, es ist gefährlich geworden, gegen die Gender-Ideologie zu sein, in Redaktionen, in Wahlkreisen, und natürlich auch auf den Kanzeln. Und es macht sich gut und zahlt sich aus, radikal dafür zu sein. Barack Obama ist nicht nur mit you-tube und dem Internet, sondern auch auf diesem höchst modernen Ticket an die Macht getragen worden. 

"Ganz Gallien" scheint also besiegt. Ganz Gallien? – Nein, in einem winzigen Winkel Europas, im Zwergstaat des Vatikans, hat der letzte Monarch der alten Welt es gestern Morgen noch einmal gewagt, in seinen weißen Gewändern jenes ältere Menschenbild Europas und der Christenheit in Erinnerung zu rufen, das es zu verteidigen gelte, wenn die Menschheit nicht insgesamt großen Schaden nehmen wolle. "Das, was oft mit dem Begriff ‚gender’ zum Ausdruck gebracht wird", sagte Papst Benedikt XVI. den Mitgliedern der Römischen Kurie in einer Grundsatzrede zum Weihnachtsfest, komme am Ende einer Lösung "des Menschen von der Schöpfung" gleich. So lebe der Mensch "aber gegen die Wahrheit, gegen den Schöpfergeist. Die Regenwälder verdienen durchaus unsern Einsatz zu ihrem Schutz, aber nichtsdestoweniger bedarf auch der Mensch als Geschöpf unsern Schutz, denn in ihn ist eine Botschaft eingeschrieben, die keineswegs die Freiheit des Menschen mindert, sondern deren Voraussetzung ist." Die Kirche müsse deshalb "nicht nur die Erde, das Wasser und die Luft als Gaben der Schöpfung verteidigen", sondern sie "auch den Menschen vor der Selbstzerstörung schützen. Es ist eine im rechten Sinne verstandene Ökologie des Menschen notwenig.”- Anders als in Regensburg war ihm hier durchaus bewusst, auf welches Minenfeld er sich mit seinen wenigen Worten dieser in den "Menschen eingeschriebenen Botschaft" begeben hat. Es ist auch die genetisch eingeschrieben Botschaft einer fundamentalen Ungleichheit des Menschen. Die Rede war nicht weniger brisant, diesmal jedoch nicht für das Verhältnis der Kirche zum Islam, sondern für das Verhältnis der Christen zum Imperium des Relativismus. 

Es dauerte deshalb nur Stunden, bis dieses Imperium zurückschlug, nicht mehr wie zu Asterix’ Zeiten aus Rom, sondern heute aus London. Nur Stunden nach der Rede behauptete etwa BBC-World, der Papst habe gesagt, es sei "ebenso wichtig, die Menschheit vor homosexuellem oder transsexuellen Verhalten zu bewahren, wie den Regenwald zu schützen." Das aber hat er genau nicht gesagt. Benedikt XVI. hat nicht das Verhalten der Schwulen verteufelt, er hat es nicht einmal angesprochen. Er hat vom Menschenbild der Christenheit gesprochen, das es gegen das neue Menschenbild der allerneuesten Menschen zu verteidigen gelte. Nichts eignet sich freilich heute schon besser als Totschlagargument als die so genannte "Homophobie", die – wenn es so weiter geht -  bald wohl allen anderen gesellschaftlichen Ächtungen den Rang abgelaufen hat. Jeder, der die katholische Kirche von Nahem kennt, ob in Rom oder an anderen Orten, weiß, dass in ihr de facto mehr Schwule wahre Heimat und ein respektiertes Unterkommen gefunden haben als in jeder anderen Groß-Organisation der Welt – wenn auch in einem fast ebenso aussichtslosen wie altertümlichen Bestreben nach Keuschheit, in dem viele Kleriker, ob Schwule wie Heteros, immer wieder auch der Versuchung der Unkeuschheit erliegen. Das freilich ist ein anderes Thema, um das es gestern in der etwas anderen Weihnachtsrede des Papstes noch weniger ging als um ordinäres Schwulen-Bashing. In seiner Verteidigung einer Schöpfungsordnung, nach der Mann und Frau verschieden und auf den Erhalt der Menschheit hin geschaffen sind, hat Benedikt sich vielmehr mitten in eine höchst dramatische Auseinandersetzung begeben, die noch als einer unserer wesentlichen Konflikte die nahe und fernere Zukunft bestimmen wird.

(Zuerst veröffentlicht in "Die Welt" vom 23.12.2008).

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