Heute, am 18. Mai, ist der Gedenktag des ersten Heiligen des Kapuzinerordens: Felix von Cantalice. In ihm erfüllt sich der Spruch: "Kleiner Mann, ganz groß!" Obwohl er nicht lesen und schreiben konnte, wurde zum Berater der Großen seiner Zeit und zum Vorbild und Vorgänger Pater Pios. 

Bologna steht für das europäische Bildungssystem. Denn in "La Grassa" – der Fetten, wie sie die Italiener ob ihres Reichtums und ihres hohen Bildungsniveaus nennen – wurde 1999 von europäischen Bildungsministern jener Prozess beschlossen, der zu einer europaweiten Vereinheitlichung von Studiengängen und –abschlüssen geführt hat. Der Jugend Europas sollten damit gleiche Bildungs- und Karrierechancen eröffnet werden – über alle Ländergrenzen hinweg. Die Stadt wurde mit Bedacht gewählt, denn in ihren Mauern stand und steht immer noch die vielleicht älteste Universität der Welt, so behaupten es zumindest die die Historiker.

Und mit Bologna blickt Italien stolz auf seinen Ruf als Bildungsnation und als Vaterland des Humanismus, der zuerst vom etwas weiter südlich gelegenen Florenz ausging. Allerdings war es zu Zeiten der Renaissance-Humanisten mit einem vergleichbaren Bildungssystem und gleichen Bildungschancen noch nicht weit her – auch und gerade nicht in der als immer besonders weltlich geltenden Universität von Bologna, die ja als Rechtschule begann. Bildung für die unteren Schichten war die Ausnahme und sie blieb es bis weit in die Neuzeit hinein. Bis dahin waren es vor allem die katholischen Orden, die jungen Menschen aus einfachem Hause unter die Arme griffen. In Italien hatte sich darin unter anderen der Kapuzinerorden hervorgetan. Wer in einen solchen Orden eintrat, konnte zum Gelehrten, ja zum Weisen werden, auch wenn er von ganz unten kam.

Das ging sogar so weit, dass ein Analphabet, der nicht lesen und schreiben konnte, von Päpsten und Kardinälen als Gesprächspartner und Ratgeber geschätzt wurde. Es scheint also, als ob es noch eine andere Art von Bildung gibt, die sich von dem unterscheidet, was Schulen und Universitäten vermitteln. Für diese Art von Bildung mag als Gegenpol zu Bologna ein Dorf stehen, dass sich noch einmal mehrere hundert Kilometer weiter südlich befindet: Cantalice in den Abruzzen in der Nähe von Rieti.

Hier wurde 1515 den Bauern Santo und Santa ein kleiner Junge geboren, dem sie den Namen Felix, der Glückliche, gaben. Von den Eltern ist wenig bekannt. Es wird aber berichtet, dass der Vater die Gabe der Weissagung hatte und seinen eigenen Tod vorausgesagt haben soll. Von klein auf musste Felix als Hirte und Knecht bei einem örtlichen Adligen arbeiten – und dabei fand er offenbar seine Berufung. Bald schon soll er auf der Weide vor einem Kreuz meditiert haben, dass er in einen Baum geritzt hatte – inmitten der blökenden Schafe, die er in seiner Exstase nicht mehr wahrnahm. Da die Einwohner Cantalices fest in ein katholisches Umfeld eingebunden waren, dass sich im Glauben und Unglauben gegenseitig stützte, wurde Felix als, wenn auch seltsame, Bereicherung des Dorflebens wahrgenommen, zumal der Junge wegen seines Humors sehr beliebt war. So kursierten bald Erzählungen, dass man Felix in der Kirche gesehen habe, während er gleichzeitig auf dem Feld die Schafe hütete. Die Gabe der Bilokation wurde ihm auch später noch nachgesagt.

So ging es bis Felix mit 28 Jahren einen schweren Unfall hatte. Während er das Feld bestellte, ging sein Ochsengespann durch und er geriet unter den Pflug. Solche Unfälle überlebte man normalerweise nicht ohne schwere Verletzung. Felix hingegen stand unversehrt wieder auf, dabei ununterbrochen "Gnade, Barmherzigkeit" rufend. Das war sein Berufungserlebnis.

1543, im Schicksalsjahr der Kapuziner, in dem der Ordensgeneral Bernardino Ochino nach Genf geflüchtet und Protestant geworden war, stellte er sich im Kapuzinerkonvent von Cittaducale vor, das 14 km von Cantalice entfernt lag. Während sich heute jeder Ordensobere über einen der spärlichen Neuzugänge freuen würde, fauchte der Guardian des Kloster ihn an: "Ja, ja, das kennen wir schon. Du möchtest hier gut unterkommen, weil Du draußen hungerst. Bisher hast Du Ochsen angetrieben, jetzt willst Du hier im Kloster über die Brüder herrschen. Mach‘, dass Du weiterkommst." Als das nichts wirkte, schleppte er ihn in die Kirche und ließ in lange vor dem Kruzifix knien: Das Leiden Christi – und sonst nichts – habe er hier zu erwarten!

Als Felix auch diese Demütigung hinnahm, hatte er die Aufnahmeprüfung bestanden. Es wird vermutet, dass eine solche Schocktherapie damals gang und gebe war, weil man glaubte, die Berufung eines Neuankömmlings so am besten prüfen zu können. Vielleicht war der Guardian aber auch wegen der Vorfälle um Ochino besonders streng: noch einen Kryptoprotestanten – den man damals hinter jedem Wegekreuz vermutete – wollte man sich nicht einfangen.

Mit einem Empfehlungsschreiben des Guardians in der Tasche wurde Felix nach Rom geschickt und in das Noviziat von Anticoli in den Sabinerbergen aufgenommen. 1545 legte er sein Gelübde ab. Da er nicht lesen und schreiben konnte, blieb er Laienbruder und behielt – damals äußerst ungewöhnlich – seinen Taufnamen. Zurück in Rom, wurde er als Almosensammler eingeteilt. Damals lag der Konvent noch an der Stelle der heutigen Kirche Santa Croce e San Bonaventura dei Lucchesi in der Nähe des Quirinal. Erst nach Felix Tod zogen die Kapuziner in ihre berühmte Kirche an der Via Veneto.

Felix war nun bis zu seinem Lebensende in Straßen Roms als Bettler für den Unterhalt seiner Mitbrüder unterwegs, ohne jemals versetzt zu werden – auch das ist für einen Kapuziner sehr ungewöhnlich. Bald schon wurde er unter dem Namen "Bruder Deogratias" stadtbekannt, so nämlich – mit "Deo gratias" ("Dank sei Gott") – bedankte er sich für jede Gabe, die man ihm zusteckte. Oft gab er den Spendern auch kleine Kreuze, die er selbst anfertigte. Schon bald riss sich um diese Felix-Kruzifixe.

Über die besondere Berufung des Almosenbruders haben wir schon im Beitrag über Franz Maria von Camporosso berichtet. Doch Bruder Felix bewegte sich nicht in einem verrufenen Hafenviertel, sondern auf den Straßen Roms, wo man ganz andere Kaliber treffen konnte: hier reichte die Palette von Prostituierten und Bettlern bis zum Papst und seinen Kardinälen. In dieser Spannung zwischen Welt und Gebet musste er sich täglich bewähren.

Eine enge Freundschaft verband ihn mit Filippo Neri, mit dem zusammen er ein ganz besonderes Gespann bildete. Als katholische Aktivisten wussten die beiden schon Jahrhunderten wie man die Menschen aufrüttelt! So war ihnen etwa der ziemlich ausschweifende römische Karneval ein Dorn im Auge. Gegen die wogenden und unzüchtigen Volksmassen schien kein Kraut gewachsen, also organisierten sie einen ganz speziellen Karnevalsumzug in Form einer Kreuzesprozession. Am Ende des Zuges erschien Felix, der den bekannten Prediger Alfonso Lupo an einem Strick mit sich führte. Immer dort, wo der Straßenkarneval besonders heftig tobte, hielt der Zug und Fra Lupo predigte den eben noch ausgelassen feiernden Massen. Es heißt, dass der Karneval daraufhin abgebrochen werden musste. Berühmt sind auch die Scherzwettkämpfe, die Felix mit den Studenten des Collegio Germanico austrug; hier fielen alle Klassenunterschiede, die zwischen den Studenten und dem Analphabeten bestanden – Felix der Glückliche!

Obwohl er kein Beichtvater war, verfügte Felix auch über die Seelenschau; auch davon berichten viele Augenzeugen auf den Straßen Roms. So konnte er im Gespräch Seelsorge betreiben, ohne Priester zu sein. Ganz offenbar war der Herr selbst sein Lehrmeister in seiner innigen Beziehung zu Gott in der Nachfolge Christi. Er, der in seiner Zelle auf Brettern schlief, und mehr fastete als sich satt zu essen, sagte selbst über sich, dass er nur fünf Buchstaben kenne: die fünf Wunden Christi. Diese Erkenntnis wird schon im Noviziat gewachsen sein, wo er nicht nur mit dem Keuschheitsgelübde sondern zudem auch mit einer schweren Krankheit zu kämpfen hatte, dem sogenannten viertägigen Fieber, dass in Schüben immer wieder kam und ihn an den Rand des Grabes brachte. Geheimnisvoll, wie wir es immer bei den großen Heiligen erleben, erwuchs aus der Kombination von Leid und Entbehrung mit dem ihm angeborenen Humor etwas, was die Menschen damals und wir heute noch viel weniger fassen können: Felix empfing göttliche Kraftquellen, als Begnadeter, der direkt aus dem Brunnen, aus Jesus Christus, schöpfte. Wohl auch deswegen nahm er alle Krankheiten und Entbehrungen mit den Worten auf sich: "Das sind Rosen, das sind Gnaden!"

Und dieses Schöpfen dürfen wir uns ganz real vorstellen; in etwa so, wie es ein Mönch berichtet, der Felix heimlich bei der Anbetung beobachtete. Sobald seine Mitbrüder schliefen, ging dieser gegen Mitternacht alleine mit einem Kerzenstummel in der Hand in die dunkele Kirche und betete. Dazu stellte er sich in die Mitte des Kirchenschiffs, streckte die Arme aus und rezitierte aus dem Gedächtnis eine Lesung aus der Heiligen Schrift. Dann trug die Anliegen der Menschen, die er tagsüber in Rom getroffen hatte, vor Gott und fiel schließlich in Exstase und begegnete Christus oder dem Heiligen Franziskus – jedenfalls konnte der Beobachter Felix‘ Antworten an die unsichtbaren Gesprächspartner hören. So empfing er seine Seherfähigkeiten, wenn er etwa Papst Pius V. den Ausgang der Seeschlacht von Lepanto voraussagte, und die wundersamen Heilkräfte, die ihm von den Römern nachgesagt wurden. Sogar Kinder hat er wieder zum Leben erweckt, wie auch ein Kind sein Zeichen bis heute geblieben ist.

Denn bei einer dieser "göttlichen Liturgien" um Mitternacht erschien auch die Gottesmutter und legte ihm das Jesuskind in die Arme: für Felix der Höhepunkt – und wohl auch für die Nachwelt, denn der Heilige wird immer wieder mit dem kleinen Jesus auf dem Arm dargestellt. Diese Bildsprache lässt uns noch weiter in sein Geheimnis eindringen: Denn erinnert sie nicht an den Heiligen Antonius von Padua, der in Italien so beliebt ist, dass man ihn nur "Il Santo", den Heiligen, nennt? Und ist dieser Mann mit Kapuzinerkutte und Kapuzinerbart nicht auch eine Vorwegnahme von Pater Pio. Offenbar treffen sich in Felix in einer fast schon heilsgeschichtlichen Dimension die Charismen dieser beiden großen Heiligen. Dies hatten die Menschen schon zu seinen Lebzeiten intuitiv verstanden, obwohl sie noch nichts von Pater Pio wussten. Wir aber wissen, dass sie dem Almosenbruder auf den Straßen Rom dieselbe Liebe und dieselbe Verehrung entgegengebrachten, wie 400 Jahre später Pater Pio von Pietrelcina im Konvent von San Giovanni Rotondo.

Aber gerade weil er keine Priesterweihe empfing, weil er nicht lesen und schreiben konnte, ist der Heilige Felix kein billiger Abklatsch oder zweitklassiger Nachfolger des Antonius oder ein Vorläufer Pios, sondern ein einzigartiger, besonderer Heiliger. "Die Letzten werden die Ersten sein", so steht es in der Bibel und so widerfuhr es ihm, der keine Bildung genossen hatte und doch so gebildet war, dass ihn Karl Borromäus, Camillo von Lellis, aber auch Papst Pius V. und viele andere wegen seines großen Wissens über die Heilige Schrift um Rat fragten. Und seinen kongenialen Freund Filippo Neri beriet er bei der Gründung des Oratoriums. Es war eine Bildung, die er nur durch Gebet, Kontemplation, das Hören auf die Schrift und durch das Mitleiden mit den Menschen, denen er tagtäglich begegnete, empfangen konnte. Und wohl auch deswegen verehrte man ihn schon zu Lebzeiten wie einen Heiligen.

Kein Wunder ist es deswegen auch, dass Felix von Cantalice direkt nach seinem Tod zum Volkheiligen wurde. Schon damals rief man: Santo subito! Fast amüsieren uns die Berichte, wie die Mitbrüder den Leichnam des am 18. Mai 1587 verstorbenen vor den Gläubigen in Sicherheit bringen, denn die stürmten mit Scheren und Messern bewaffnet die Kapuzinerkirche, wo Felix zunächst aufgebahrt wurde. Im Handumdrehen hatten sie ihm Kutte, Bart und sogar die Fingernägel weggeschnitten, sodass man den Toten neu einkleiden musste. Auch die Zelle des Verstorbenen plünderten den Gläubigen in einer Art Reliquienrausch. Noch an seiner Bahre wurde ein sechszehnjähriger Stummer geheilt und ein besessenes Mädchen befreit, als erste Wunder auf dem Weg zur Heiligsprechung. Schließlich musste man seine Leiche bis zur Beisetzung in einer dunklen Seitenkappelle verstecken. Felix, der wie sein Vater den eigenen Tod voraussah, hatte einen Marmorstein herbeischleppen lassen, der nun zu seiner Grabplatte wurde. Nach dem Abriss der alten Kirche bettete man die sterblichen Überreste in die Gruft der neuen Kapuzinerkirche Santa Maria Immacolata an der Via Veneto um, wo er heute noch ruht.

Papst Sixtus V., dem er seine Wahl vorausgesagt hatte, eröffnete schon in seinem Todesjahr das Heiligsprechungsverfahren. 1625 erfolgte die Seligsprechung, am 18. Mai 1712 die Heiligsprechung durch Papst Clemens XI. Damit wurde Felix von Cantalice, der 1543, im Jahr der größten Krise des noch jungen Ordens, Novize geworden war, zum ersten Heiligen der Kapuziner: Gott hatte ein positives Urteil über das Krisenjahr gesprochen.

Beim alledem darf es uns auch nicht verwundern, dass Bruder Felix von Anfang an das große Vorbild unzähliger Novizen wurde: denn an seiner Heiligsprechung zweifelte niemand, da die Wunder nur so purzelten. Deshalb hat er zusammen mit dem bald darauf wirkenden Laurentius von Brindisi Generationen von Kapuzinern geprägt und deswegen ist es auch kein leeres Geschwätz, wenn wir erkennen, dass sein Charisma im 20. Jahrhundert in Pater Pio wieder aufleuchtete und große Teile der katholischen Welt erhellte – wie ein großes Band durch die Jahrhunderte. Er hat sozusagen den Staffelstab an den Seher von San Giovanni Rotondo übergeben, der seitdem der populärste Kapuzinerheilige und "der Heilige" Italiens ist. Zuvor hatte Felix diese Rolle inne, zusammen mit dem Heiligen Antonius, weswegen alle drei das Prädikat "Il Santo" verdienen.

Das kleine Dörfchen Cantalice aber verdient es zumindest im Gedenken an den Heiligen Felix der Stadt Bologna beigestellt zu werden. Als ein Symbol für jene Bildung, die man nicht erwerben oder herbeistudieren kann, sondern die man im Hören auf Gott und durch die Liebe zu den Menschen geschenkt bekommt und die aus jedem von uns einen großen Menschen, Vorbild und Ratgeber machen kann.

LINK-TIPP: Die Serie "Die Kapuziner" von Dr. Dirk Weisbrod in der Übersicht:

Teil Eins – Laurentius von Brindisi
Teil Zwei – Francesco Maria da Camporosso
Teil Drei – Bernardino Ochino,
Teil Vier – Matteo Da Bascio.

Das könnte Sie auch interessieren: