Am 1. Januar 1922 hat Edith Stein aus Breslau sich in der Martinskirche in Bad Bergzabern in der Pfalz taufen lassen. Das heutige Hochfest der Gottesmutter hielt damals als "Festtag der Beschneidung Christi" noch die zutiefst jüdische DNA der katholischen Kirche wie unter einem Brennglas fest. Die Taufe Edith Steins an diesem Neujahrstag vor 100 Jahren war ein Meilenstein im Leben der jüngsten Patronin Europas.

Alles an ihrem Schritt war wohlbedacht. Im August 1921 war sie in Bad Bergzabern zu Gast bei Hedwig Conrad-Martius und deren Gatten, wo die Freundin sie eines Tages zum Bücherschrank führte, um Edith mit Lektüre zu versorgen. "Ich griff aufs Geratewohl hinein und holte einen Band mit dem Titel: 'Leben der heiligen Teresa von Avila' hervor, von ihr selbst geschrieben", sagte sie später dazu, "begann zu lesen und hörte nicht mehr auf. Als ich das Buch schloss, sagte ich mir: 'das ist die Wahrheit'!" Gerade ging die Sonne auf.

Stunden später kaufte sie einen Katechismus und ein Schott-Messbuch, studierte sie und wohnte zum ersten Mal einer heiligen Messe bei: "Ich verstand jede kleinste Zeremonie. Nichts war fremd. Ein ehrwürdiger Priestergreis trat zum Altar und feierte das heilige Opfer mit inniger Würde.

Nach der heiligen Messe folgte ich ihm ins Pfarrhaus und bat um die heilige Taufe. Er sah mich verwundert an und sagte, dass der Aufnahme in die heilige Kirche eine Vorbereitung vorangehen müsse. 'Wie lange haben Sie schon Unterricht?' Da konnte ich nur erwidern: 'Bitte, Hochwürden, prüfen Sie mich.'"

Sie blieb dem Pfarrer keine Antwort schuldig. Mit ihm legte sie das Datum der Taufe fest, zu der sie den Namen Theresia Hedwig wählte. Nach der Taufe empfing sie zum ersten Mal den Leib des Herrn. Das tat sie von da an täglich. Und sie begann das Stundengebet der Kirche zu beten. Sie war 31 und überglücklich. "Edith hat die Wahrheit gesucht und Gott gefunden", sagte Bischof Friedrich Wetter von Speyer 1984 im Mainzer Dom.

Ein unverstellter Blick

Am jüdischen Versöhnungsfest des Jahres 1891 in Breslau von einer tiefgläubigen jüdischen Mutter geboren, wurde sie mitten im I. Weltkrieg eine der ersten Doktorandinnen des Deutschen Reichs ("summa cum laude"), wurde Musterschülerin Edmund Husserls, Max Schelers und Adolf Reinachs. Bis zu ihrer Taufe gab es keinen Lehrer, der nicht von ihrer außerordentlichen Begabung fasziniert gewesen war, und Hedwig Conrad-Martius wusste: "Ihr nüchterner, klarer, objektiver Geist, ihr unverstellter Blick, ihre absolute Sachlichkeit prädestinierten sie gleichsam für die Phänomenologie".

Das war die damals jüngste Schule der Philosophie, die durch alle Vorurteile, die unsere Wahrnehmung normalerweise trüben, wieder den direkten Weg zu den Erscheinungen freizulegen suchte: danach, was sie uns selbst ohne jeden kulturellen Filter sagen. Was die Welt – in der strengen Beobachtung der Wirklichkeit – über sich selbst erzählt, im Gegensatz zu dem, was uns über sie erzählt wird. Ihr selbst war diese neue Sicht auf die Welt "ein Empfangen, das von den Dingen sein Gesetz erhielt, nicht ein Bestimmen, das den Dingen sein Gesetz aufnötigte". Der Grund der Welt kann denkerisch erschlossen werden, war ihre Grundüberzeugung, und das blieb ihr Bestreben bis zum Ende: die Erscheinungen von ihrem eigenen Schein her zu verstehen.

Am 14. November 1933 trat sie in Köln in den Orden der unbeschuhten Karmelitinnen ein, wo sie den Namen Teresia Benedicta vom Kreuz wählte, nach Teresa von Avila, der kastilischen Heiligen des 16. Jahrhunderts, deren Leben sie zur Konversion bewegt hatte – und nach dem "Kreuz" auf dem Kreuzweg des Volkes Israel. Im April 1933 hatte sie Papst Pius XI. einen Brief geschickt, in dem sie auf die tödliche Gefahr hinwies, die den Juden ebenso wie jener Kirche drohte, deren Priester und Ordensleute jeden Tag mit dem Ruf beginnen ließen: "Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels!"

Wie brennend war die Sorge?

"Heiliger Vater!", schrieb sie flehend. "Als ein Kind des jüdischen Volkes, das durch Gottes Gnade seit elf Jahren ein Kind der katholischen Kirche ist, wage ich es, vor dem Vater der Christenheit auszusprechen, was Millionen von Deutschen bedrückt. Seit Wochen sehen wir in Deutschland Taten geschehen, die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit Hohn sprechen. ... Wir alle, die wir treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält."

Der Papst antwortete ihr mit einem förmlichen Segensgruß. Am 20. Juli desselben "heiligen Jahres" 1933 ließ er das Konkordat Deutschlands mit dem Vatikan ratifizieren. Doch vier Jahre später unterzeichnete er erstmals eine deutschsprachige Enzyklika, die zunächst "Mit großer Sorge" heißen sollte. Doch bis heute ist auf dem Entwurf die Handschrift Eugenio Pacellis auszumachen, der hier das Wort "großer" durch "brennender" ersetzte.

Unter diesem Namen – "Mit brennender Sorge" – hat die Enzyklika dann Geschichte geschrieben, zwei Jahre, bevor in Deutschland die Synagogen brannten. "Wer die Rasse, oder das Volk oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung, aus ihrer irdischen Wertskala herauslöst und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge", ließ der Papst die Deutschen hier wissen. Oder: "Nur oberflächliche Geister können ... den Wahnversuch unternehmen, Gott, den Schöpfer aller Welt, den König und Gesetzgeber aller Völker, vor dessen Größe die Nationen klein sind wie Tropfen am Wassereimer, in die Grenzen eines einzelnen Volkes, in die blutmäßige Enge einer einzigen Rasse einkerkern zu wollen."

Eine erfüllende Liebe – und ein tödlicher Hass

Die Antwort des Propagandaministers, der in der Enzyklika als "Wahnprophet" demaskiert wurde, ließ nicht lange auf sich warten. "Den Sexualverbrechern die Maske herunter!" hieß es am 30. April im "Völkischen Beobachter" und weiter, in den Zwischenüberschriften: "Brutstätte der Homosexualität", "Sakristei zum Bordell verwandelt" und so weiter. Am 28. Mai hielt Goebbels im Rundfunk eine Rede gegen die "Sittlichkeitsverbrecher", deren Klöster "so verdorben" seien, dass "unter ihren Angehörigen die widernatürliche Unzucht gewissermaßen hordenweise betrieben werde".

In dieser Zeit lebte Edith Stein schon lange hinter Klostermauern in Köln, im größten beschaulichen Orden der Kirche, als eine Philosophin von Rang, als eine Zierde der Wissenschaft, nun aber in einer törichten

Liebe, die sie erfüllte wie keine Wissenschaft zuvor. Gleichwohl gerät ihr Leben und Sterben danach zu einem ungeschriebenen Lehrstück über jenes System von Zwickmühlen, das totalitäre Systeme ihren Gegnern immer aufzwingen. Heil kommt da keiner heraus. Sie war eine große Denkerin, eine große Beterin, doch getötet wurde sie als geborene Jüdin.

Nach der "Reichskristallnacht" 1938 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester Rosa in ein holländisches Kloster in Sicherheit gebracht. 1940 besetzen die Deutschen Holland. Nach Gerüchten über geplante Massendeportationen der Juden protestierten die Niederländischen Bischöfe am 11. Juli 1942 gegen diese Pläne. Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart bot ihnen danach an, nur stillzuhalten, dann werde zumindest ihren getauften Juden nichts passieren. Die Bischöfe aber protestieren am 26. Juli noch schärfer gegen das Unrecht "gegen das Volk Israel, das in diesen Tagen so bitter geprüft wird". Die Antwort der Besatzer folgte am nächsten Tag: "Da sich die katholischen Bischöfe – ohne beteiligt zu sein – in die Angelegenheit gemischt haben, werden nunmehr sämtliche katholischen Juden in dieser Woche abgeschoben. Interventionen sollen nicht berücksichtigt werden." Am 2. August wurden 988 von ihnen deportiert.

Die Hoffnung auf Emigration

Vergeblich hatte Edith Stein gehofft, nach Palästina auswandern zu können, und hat dann doch keine Sekunde mehr protestiert. "Komm, wir gehen für unser Volk!" sagte sie ihrer Schwester bei der Verhaftung. "Sie glauben nicht, was es für mich bedeutet, Tochter des auserwählten Volkes zu sein", hatte sie Pater Hirschmann SJ zuvor gesagt. Da hatte die Phänomenologin, die so fasziniert davon war, die Dinge nach ihrer "heiligen Sachlichkeit" zu befragen, ihr eigenes Leben schon lange vor allem der Verehrung der Eucharistie gewidmet. Schon

in den zwanziger Jahren in Speyer konnte sie Nächte vor dem Tabernakel verbringen, nur von dem Schein der Öllampe des "Ewigen Lichts" erhellt. Oder vor der geweihten Hostie in der Monstranz. Was hatte ihr nun dieses "Ding", diese "Sache selbst", dieses zerbrechliche Stück Brot gesagt, von dem sie nicht zweifelte, dass Gott selbst darin zugegen war? Bei Juan de la Cruz hatte sie gelesen, dass Glaube immer nur jäh wie ein Blitz aufzuckt, "wie das Aufblitzen des Messers in der Hand Abrahams". Bei diesem radikalen Spanier hatte sie auch vom Gott der dunklen Nacht erfahren, zu dem sie am Ende ihre Hand hinstreckte.

Doch in der Helle der südlichen Pfalz an der Weinstraße, wo sie acht Jahre gelebt hat, sind wir vor Jahren vor allem ihren Spuren gefolgt, bevor wir das Ziel ihrer letzten Reise aufgesucht haben. Der rosafarbene Kaiserdom in Speyer war lange ihre Pfarrkirche. Die romanische Kathedrale war bei ihrer Errichtung größer als der alte Petersdom in Rom. Sonntag für Sonntag überquerte sie damals die kleine Steinbrücke auf ihrem Weg vom Magdalenenkloster zu dieser Grablege der deutschen Könige und Kaiser. Hier hat Bernhard von Clairvaux 1146 die Deutschen zum Aufbruch nach Palästina gerufen: "Was den Vögeln die Flügel sind, das ist den Christen das Kreuz!"

Eine Spur in der Nacht

Ja, sie hat hier im Herzen des Abendlands gewohnt, wo Deutschland vielleicht am schönsten ist, bevor sie in Holland eingefangen und mit Viehwaggons quer durch das Reich nach Polen verfrachtet wurde. Auf dem Bahnhof von Schifferstadt, knapp zehn Kilometer nördlich von Speyer, hat sie am 7. August 1942 bei einem Halt ihres Transports ein letztes Lebenszeichen hinterlassen: einen zugerufenen Gruß an die Dominikanerinnen in Speyer, zusammen mit einem kleinen Zettel, den sie aus der Luke ihres Waggons herauswarf: "Grüße von Schwester Teresia Benedicta a Cruce. Unterwegs ad orientem." Da vorne in dem rostroten Schotter muss der Zettel gelegen haben. Danach verliert sich ihre Spur in der Nacht, die über Europa hereingebrochen war.

Auf dem Weg von Speyer nach Bad Bergzabern hatten wir in Neustadt den Weg verfehlt. Ganz ungeplant sind wir dadurch auf unserer Suche nach der neuen Heiligen ohne Grab plötzlich auf die Edith Stein-Gedenkstätte in Lambrecht gestoßen: in ein anrührend schönes Museum, das der Karmelitenfrater Toni Braun hier ganz allein mit 750 Exponaten errichtet hat. Bruder Toni hat alle noch lebenden Verwandten Edith Steins in den USA besucht, die Wunder erforscht, die zu ihrer Heiligsprechung notwendig waren, in Breslau Türklinken aus ihrem Jugendhaus abgeschraubt, in Auschwitz und Birkenau verrostete Gabeln und Dreck aus dem Boden geklaubt und mit Isolatoren und Stacheldraht zu einer Installation zusammengefügt. Dazwischen schaut uns ein seltenes Jugendfoto Edith Steins an, wo sie noch nicht das berühmte "Fräulein Doktor" ist, auch nicht die hochbegabte Lehrerin oder Dozentin in Münster, oder die Braut in Weiß (ohne Bräutigam an ihrer Seite) bei ihrer Einkleidung im Orden, sondern nur Edith, ein junges jüdisches Mädchen in Breslau.

Rechts über ihr ist ihre "Lieblingssschwester Erna" mit im Bild, sagt eine handgeschriebene Notiz auf der Rückseite. Hier muss sie noch die Atheistin sein, die sie 1907 aus ihrer in jeder Lebensphase radikalen Überzeugung geworden war, und die gefürchtete Spötterin, wie ihre prüfenden Augen in "heiliger Sachlichkeit" zu verraten scheinen. Vor allem aber fällt Edith hier als ausgesprochene Schönheit auf – mit vollen Lippen, geschwungenen Brauen und gelocktem Haar, das sie später so streng nach hinten binden wird. Mit hellwachem Blick schaut sie den Betrachter an, lehnt sich leicht zurück, ein Bein über das andere geschlagen, den linken Unterarm entspannt auf ihrem Schoß. Natürlich kennt sie ihre Gaben gut genug, um von ihrem Leben sehr, sehr viel zu erwarten, in der "Hoffnung auf eine große Liebe und glückliche Ehe".

Daneben sehen wir dann das "weiße Haus" in Birkenau, wo 1942 noch damit experimentiert wurde, tödliches Gas aus den Exkrementen der Gefangenen herauszudestillieren, bevor 1943 mit Zyklon B die Moderne nach Ausschwitz kam. Das "weiße Haus" war die Endstation der heiligen Teresia Benedicta vom Kreuz mit dem Judenstern, von der wir in Birkenau außer Ruinen schließlich nur noch einen von Birken umstandenen, dunklen Teich gefunden haben, in den die Henker die menschliche Asche der Krematorien kippten. Asche, die nicht verwehen will: Allerletzte "Grüße von Schwester Teresia Benedicta a Cruce. Unterwegs ad orientem."

Zuerst veröffentlicht in der neuen Januar-Ausgabe des VATICAN-Magazin. Publiziert bei CNA Deutsch mit freundlicher Genehmigung.

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