Am 11. September 1976 begegneten sich Erzbischof Marcel Lefebvre und der hl. Paul VI. im Vatikan. Der Erzbischof sagte: „Wissen Sie, dass in Frankreich beim eucharistischen Hochgebet mindestens 14 verschiedene Kanons verwendet werden?“ Der Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X. war ein kluger Mann, aber in diesem Punkt sehr viel schlechter informiert als der Heilige Vater. Dieser erwiderte ernüchtert und traurig: „Nicht vierzehn, sondern an die hundert …“ 

Der Papst, als Bischof von Rom, sowie jeder einzelne Diözesanbischof weltweit wurde mit dem kontrovers diskutierten Motu Proprio „Traditionis custodes“ an eine seiner vorzüglichsten Aufgaben erinnert, nämlich Vorbild und Wächter über die Liturgie in seinem Bistum zu sein. Wahrscheinlich kennt so gut wie jeder von uns die kunterbunte Vielfalt des liturgischen Wildwuchses vor Ort.

Was also ist geschehen, dass dieser Erlass, der die katholische Welt in eine vollkommen überflüssige Unruhe versetzte, in Kraft gesetzt werden musste? Anscheinend muss Skandalöses in der Befragung der Bischöfe weltweit berichtet worden sein, offenbar so verstörend, dass der Vatikan, der begrüßenswert eine Transparenzoffensive begonnen hat und die Finanzlage offenlegt, die Resultate hierzu nicht preisgeben möchte. Warum dürfen wir nichts davon wissen? Oder dürfen wir vielleicht die Hoffnung haben, dass die Umfrageergebnisse zumindest in anonymisierter Form noch nachträglich publiziert werden, um das für sich genommen staunenswerte und aus meiner unmaßgeblichen Sicht so unverständliche wie überflüssige Motu Proprio besser zu begreifen?

Im Gespräch mit Paul VI. sagte Erzbischof Lefebvre: „Die Kirchenkrise ist da.“ Damit meinte er die Situation der Nachkonzilszeit im Ganzen, auch der Papst konnte nicht widersprechen. In demselben Gespräch appellierte Lefebvre: „Das Konzil erlaubt den Pluralismus. Wir bitten darum, dass dieser Grundsatz auch auf uns angewandt wird.“ (vgl. Papst Paul VI.: Segeln im Gegenwind. Dokumente eines bewegten Pontifikates, hrsg. v. Leonardo Sapienza, Patmos Verlag: Ostfildern 2018, 177-188) Der hl. Paul VI. verlangte völlig zu Recht die vollständige Anerkennung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils und den kirchlichen Gehorsam. Wir wissen, wie diese traurige Geschichte einer Entzweiung weitergegangen ist.

Liturgisch stehen wir heute aber vor einer ganz anderen Frage. Die katholische Kirche beherbergt eine Reihe von regionalen Riten – so etwa den ambrosianischen oder den zairischen Ritus –, die eingebettet sind in die römisch-katholische Liturgie. Warum sollte dann die klassische Form des Römischen Ritus, die auf dem II. Vatikanischen Konzil von zwei heiligen Päpsten würdig zelebriert wurde, nun auf einmal in die neuen Katakomben der Postmoderne verbannt werden? 

Anders gefragt: Wir haben uns in Deutschland so sehr die Neuevangelisierung gewünscht – und nur den Synodalen Weg bekommen. Aber die Neuevangelisierung wächst oft vor Ort, unter anderem durch das Apostolat der Petrusbruderschaft. Mir ist kein anderes vatikanisches Dokument bekannt, dass die Dynamik der Neuevangelisierung seit 2007 so sehr beflügelt und zugleich dem liturgischen Frieden gedient hat wie „Summorum Pontificum“. Wer eine heilige Messe nach dem Missale von 1962 mitfeiert, der sieht, dass die Kirche jung ist, die Sehnsucht nach Gott besteht und die Einheit mit Rom dort selbstverständlich gepflegt wird. Warum muss ein solches gedeihliches Wachstum, ein solcher freudvoller Aufbruch im Glauben und im Leben der Kirche nun ohne Not eingehegt werden? Warum erfreuen wir uns nicht am Reichtum der Liturgie, wie sie uns der würdig gefeierte „Novus Ordo“ und der klassische Römische Ritus bieten? Vor einigen Jahren schrieb ich den Beitrag „Über Schönheit" sowie „Geistliche Oasen“ , beide Texte sind wieder aktuell geworden. Empfehlen möchte ich auch die hörenswerte Predigt von Pater Engelbert Recktenwald vom vergangenen Sonntag.

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