Dem Thema "Migration und Integration“ widmete sich die Vertretung des Heiligen Stuhls in Genf vor einigen Tagen zusammen mit dem Malteserorden, der Internationalen Katholischen Migrationsorganisation, Caritas international und die Stiftung Caritas in Veritate.

Der Hauptredner war Kardinal Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

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Er warnte vor, wie er sagte, einer besorgniserregenden Haltung: Die Menschen würden "ihre kulturellen und wirtschaftlichen Privilegien verteidigen“ und dadurch Vorurteile gegen Migranten aufbauen.Dies sei "Herzenshärte“, so Kardinal Marx: "Ich denke, es ist nicht übertrieben, in solcher Herzenshärte Zeichen einer ethischen und spirituellen Trockenheit zu erkennen. Eine feindliche Sprache war in der Geschichte immer schon - und ist es auch heute noch – gefährlich für eine gemeinsame Zukunft unserer Gesellschaften.“

Ich hatte die Gelegenheit mit dem Moderator und Mitveranstalter des Treffens, Erzbischof Ivan Jurkovič, ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf zu sprechen.

Christian Peschken: Kardinal Marx sprach von einer ethischen und spirituellen Trockenheit? Wie sieht solche Trockenheit aus?

Erzbischof Ivan Jurkovič: Hierzu muss gesagt werden, dass giftige Sprache, negative Sprache, unüberlegte Sprache - Sprache, die die menschliche Seite des Phänomens ignoriert, immer eine Gefahr darstellt. In diesem Zusammenhang erzählt Botschafter Swing immer wieder: Als er Papst Franziskus zum ersten Mal traf, hatte der Heilige Vater ihn gebeten, selbst hinzugehen und die Flüchtlinge zu sehen, weil jemand aus irgendeinem wichtigen Land vier Jahre vorher nach Lampedusa gekommen war und auf die Frage des Heiligen Vaters, ob er denn die Flüchtlinge gesehen habe, mit "Nein“ geantwortet habe. Das hatte ihn schockiert – wie könne man mit einer menschlichen Tragödie umgehen, ohne die Menschen zu sehen? Diese Empfindungslosigkeit also. Wir neigen in Europa besonders dort, wo wir nicht von menschlichen religiösen und ethischen Werten geleitet werden zur Fremdenfeindlichkeit. Und wenn man fremdenfeindlich eingestellt ist, sieht man das menschliche Gesicht nicht mehr. Stattdessen kümmert man sich dann um alles Mögliche, um die Umwelt, um die Tiere, alles Mögliche eben, aber nicht um den Menschen, weil der Mensch zu komplex ist.

"Trockenheit“ bedeutet also , dass die Menschheit dem Leid der Menschheit ausweicht. Das ist keine wirkliche Menschlichkeit. Und der Kardinal klagt an, es seien schlechte Nachrichten, wenn man an so etwas erkrankt sei."

Botschafter William Lacy Swing, Generaldirektor der internationalen Organisation für Migration nannte die Integration, ich zitiere, "eines der wichtigsten Elemente einer erfolgreichen Migration und das diese am meisten vernachlässigt würde. Er meinte auch das es eine Menge harter Arbeit bedürfe, in der giftigen Atmosphäre dieser Tage, ihr den richtigen Stellenwert zurückzugeben.“ – Den richtigen Stellenwert? Definiert nicht jedes Land selbst, was der richtige Stellenwert ist?

Erzbischof Jurkovič: Ich meine , sie müssen verschiedene Auslegungen haben. Einbeziehung, soziale Integration müssen doch den Kapazitäten des Landes entsprechen, oder? Nicht alle Länder haben gleiche Kapazitäten, Zuwanderer sozial einzubeziehen. Wissen Sie, wir müssen hier realistisch sein. Bestimmte Länder haben keine Mittel dafür oder nur begrenzte Mittel, andere haben mehr .

Aber es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt: bestimmte Länder brauchen Migranten, auch dieser Umstand muss von den Verantwortlichen in Betracht gezogen werden. Bestimmte Länder brauchen Zuwanderer – so gibt es zum Beispiel in Europa Industrieländer, die Ärzte aus dem Ausland brauchen. Kürzlich habe ich von einem Industrieland gehört, in dem 30% der Ärzte aus dem Ausland kommen. Das bedeutet also, dass nicht Migration das Problem ist, denn Migration hat es schon immer gegeben, sondern, wie man die wirklich Armen integriert, deren Vergangenheit natürlich von Leid belastet ist, von Erfahrungen, die bitter und schwierig waren. Und vielleicht haben sie auch eine andere Art Kultur, die sie mitbringen. Das ist eine neue Herausforderung und jedes Land muss das erkennen! Ich denke doch das Wohlwollen, wie man die Menschen betrachtet, die Menschlichkeit darin, muss selbstverständlich sein, oder? Die Menschen verstehen und dann zu sehen was man tun kann. Aber nein sagen kann man nicht, denn dem nein folgt dann alles andere. Wir müssen verantwortungsbewusst handeln aber auch den Ländern die Freiheit zugestehen, wie sie die Neuankömmlinge integrieren und sozial einbeziehen.

Beispiellose 65,6 Millionen haben ihre Heimat zu verlassen, sei es, weil sie Frieden und Sicherheit suchen, würdevollere oder einfach bessere Lebensbedingungen. Fast 22,5 Millionen davon sind Flüchtlinge. Zwischen einem Migranten und einem Flüchtling gibt es so gesehen oft nur einen kleinen Unterschied.

Die Gründe sind gleich, wissen Sie, aber die Verfahrensweise ist anders. Wenn zum Beispiel in Syrien Krieg ist und Bomben fallen, muss man fliehen. Als Zuwanderer dagegen plant man seine Auswanderung. Aber beide Phänomene sind im Grunde genommen durch die gleichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umstände bedingt.

Bringen Migranten durch ihre Integration Veränderungen mit sich, die die Länder nicht wollen – zum Beispiel eine Dominanz des Islam?

Wissen Sie, das ist vielleicht der heikelste Punkt, die soziale oder kulturelle Identität anzusprechen – aber es ist zweifelsohne eine legitime Sorge jedes Landes. Zwei Dinge sollte man jedoch dabei ernsthaft in Betracht ziehen: erstens der prozentuale Anteil. Was bedeutet das? Manchmal übertreiben die Leute. Man hat 1%, 2% oder 3% Zuwanderer und behauptet: unser Land hat sich verändert. Hier in Genf zum Beispiel, wo es so viele Nationalitäten gibt, hat man dennoch letztlich den Eindruck, dass es irgendwie eine einzige Gesellschaft ist. Und Genf ist ein internationales Projekt und genau der Ort, wo man diesen Unterschied sehen sollte. Es ist eine Frage der Feinfühligkeit – aber man wird immer irgendwelche Abneigungen oder negative Einstellungen finden. Das ist das eine.

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Das zweite ist, dass es oft schwer ist, den Nutzen von Migration zu sehen. Viele meinen, Migranten seien immer nützlich, Migranten seien ein positiver Faktor für Entwicklung und Fortschritt, dafür, etwas Neues anzufangen oder sogar bessere Schüler in die Schulen zu bekommen. In manchen Ländern sind die erstklassigen Spezialisten und Begabten diejenigen Menschen, die sagen wir vor 20, 30 Jahren aus Asien eingewandert sind. Aber es ist nicht leicht, das sofort zu sehen. Alle diese Prozesse brauchen Zeit, um zu reifen.

Ich denke, dass man auch negative Überraschungen erlebt; kann alles sein. Aber ich würde schon sagen, das ein grundlegendes Problem ist, dass die Zahlen nicht der Realität entsprechen. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich vor zwei Jahren mit einem russischen Patriarchen geführt habe der sagte dass die Stadt Moskau mehr Migranten aufgenommen hätte, als ganz Europa zusammen. Sie erinnern sich, sie hatten dort die große Umwandlung der ehemaligen Sowjetunion. Die Zahlen sind also nicht so dramatisch hoch, aber sie sind groß und der Zustrom hält an und die Tendenz bleibt. Und alle diese Elemente, vor allem auch die positive Seite von Zuwanderung zu erkennen und zu würdigen, sind noch im Anfangsstadium.

Hat sich die Bedeutung der Religionsgemeinschaften – oder, wie sie bei der UN bezeichnet werden, ‚glaubensbasierte Organisationen‘ – innerhalb des Systems der Vereinten Nationen über die Jahre verändert?

Ich denke, wenn man große Probleme hat, müssen alle Verantwortung übernehmen. Nicht nur bei der Migration, sondern auch in vielen anderen Bereichen steht die internationale Staatengemeinschaft vor großen Herausforderungen. Politische Spannungen, oder Rüstungsbeschränkungen und Abrüstung sind problematische Themen. Und plötzlich brauchen die Vereinten Nationen jeden an Bord. Aber es gibt auch bestimmten Länder, die sich nicht bereitwillig an diesem großen Projekt beteiligen. Ich denke, das war vielleicht der Hauptgrund, warum in den letzten zehn Jahren, oder vielleicht sogar weniger, plötzlich die Bedeutung der Religion im Leben allgemein so wichtig wurde. In all diesen Kriegen, Kriegen die zunächst als Konflikt zwischen religiösen Gruppierungen interpretiert wurden – wobei das religiöse Element immer bedeutend ist. Plötzlich wurde es den Leuten bei den Vereinten Nationen klar, dass Religion ein wichtiges Thema ist. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Weltkirchenrates , einer sehr wichtigen, großen, christlichen Organisation in Genf. Er sagte: "die Aufmerksamkeit, die wir heute genießen kann man nicht mit der vor zehn Jahren vergleichen.“ Das heißt also, wenn das Problem groß ist, ist jeder wichtig, die glaubensbasierten Organisationen natürlich, und selbstverständlich die Kirche und sagen wir, die Führung des Papstes ist wichtig.“

Das Ziel dieses Treffens auf höchster Ebene war, praktische Empfehlungen auszusprechen und bewährte Methoden zur Verbesserung der Integration von Migranten aufzuzeigen, die sich in den globalen Pakt der Vereinten Nationen für eine sichere, geordnete und reguläre Migration einfügt.

Dieser Beitrag wurde von U.N.-Korrespondent Christian Peschken in Genf verfasst. Das Thema wird auch bei EWTN – Katholisches Fernsehen zu sehen sein im Rahmen des Magazins 'Vatikano'. Weitere Informationen zu Christian Peschken unter www.peschken.media

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Hinweis: Meinungsbeiträge spiegeln die Meinung des Autors wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.