Zur Vorbereitung auf den Sonntag der Barmherzigkeit am 24. April veröffentlichen wir mit Erlaubnis des Fe-Medienverlags, dem CNA Deutsch herzlich dafür dankt, einen Ausschnitt aus dem Buch: "33-Tage zur barmherzigen Liebe. Selbstmach-Exerzitien als Vorbereitung zur Weihe an die Göttliche Barmherzigkeit". 

Wenn Sie den „Kleinen Weg“ leben – wenn Sie die Dunkelheit Ihrer Kleinheit erkennen, es weiter versuchen, in der Heiligkeit zu wachsen und auf das Versprechen der Barmherzigkeit des Herrn vertrauen, – dann werden Sie ein/e Heilige/r werden. Es ist so einfach. Und wenn Sie sehr klein sind und Ihr Vertrauen groß ist, dann werden Sie sogar ein/e große/r Heilige/r.

Bevor wir dazu kommen, hier etwas, dass vielleicht noch mehr erstaunt: Als die heilige Theresia starb, hat sie die Verschnitte ihrer Fingernägel gesammelt und ihre Schwester Pauline (Mutter Agnes) eingeladen, sie zu nehmen, vermutlich, um sie als Reliquien zu nutzen, weil sie glaubte, was sie lehrte, und weil sie glaubte, dass sie eine große Heilige sein würde. Sie ermutigte auch die anderen Schwestern, die Blütenblätter der Rosen zu behalten, die ihr Kreuz berührt hatten, und sagte: „Sie werden euch helfen, später einmal Gefälligkeiten auszuführen; verliert nicht eine von ihnen.“ Wie bitte? Beeinflusste die tödliche Krankheit, die Theresias arme Lungen verschlangen, auch ihr Gehirn? Nein. Theresia war geistig vollkommen gesund und ihre Worte sind tatsächlich vereinbar mit der Lehre ihres „Kleinen Weges“.

Es ist wie folgt: Gemäß der traditionellen katholischen Weisheit disqualifizierst man sich grundsätzlich selbst davon, ein großer Heiliger zu werden, wenn man denkt, man würde einer. Schließlich ist es sicher Stolz, wenn man so etwas denkt (ohne zu erwähnen, dass man Reliquien von sich selbst sammelt), richtig? Nun, nicht in Theresias Fall. Der Grund dafür liegt in ihrer revolutionären Annäherung an zwei Tugenden: Großmut und Demut.

Das Wort „magnanimity“ (auf Deutsch „Großmut“) kommt von den lateinischen Wörtern magnus für „groß“ und animus für „Seele“. So ist es etwas wie „Groß-Seligkeit“, was eine Person dazu bewegt, ein hohes Ziel im geistlichen Leben zu haben. Es war zum Beispiel wegen ihres außerordentlichen Großmutes, dass Theresia einst sagte: „Ich möchte (Gott) so sehr lieben, … Ihn mehr lieben, als Er jemals geliebt wurde.“69 Und solch eine Großmut ist eine gute Sache.

Und doch, wie ich gesagt habe, die traditionelle katholische Weisheit lehrt, dass die Tugend der Demut die Großmut in Schach halten soll. Sie soll das große Verlangen nach Heiligkeit zurückzerren, wie beim Zügeln eines Pferdes (im englischen „reining“ = ein schneller Stopp des Pferdes aus dem Galopp beim Westernreiten). Zum Beispiel würde die Tugend der Demut auf Theresias großmütige Aussage, Gott mehr lieben zu wollen, als Er jemals geliebt wurde, etwa so antworten:

Komm schon. Sag das nicht. Sei ein bisschen demütiger und realistischer. Ich meine, schau mal, wer du bist. Ehrlich, du bist ein sehr zerbrechliches, kleines Mädchen. Warum willst du nicht nur eine kleine Heilige sein, die einfach nur in den Himmel will, ohne Zeit im Fegefeuer zu verbringen? Ist das nicht genug für dich, so schwach und klein, wie du bist? Warum überlässt du die große Heiligkeit nicht den großen Seelen?

Das ist sicherlich vernünftig, aber Theresia hielt nichts davon. Sie glaubte nicht, dass es die Rolle der Demut ist, das Pferd ihres großen Verlangens nach Heiligkeit zu zügeln. Im Gegenteil, sie sah Demut als etwas, was die großmütigen Pferde in die Startbox treibt, um sie dann zu senden, um bis zum Mond zu rennen! Mit anderen Worten, es ist nicht trotz Demut, sondern vielmehr wegen der Demut, dass sie glaubte, dass sie eine der größten Heiligen werden würde. Und diese feste Überzeugung stammt aus ihrer Erkenntnis von Gottes erstaunlicher Barmherzigkeit.

Erinnern Sie sich daran, dass Gottes barmherzige Liebe wie Wasser ist: Sie fließt zu den tiefsten Orten – und Theresia wusste das. Deshalb sah sie ihre Demut, das ist ihr Bewusstsein ihrer Kleinheit, als ihren größten Schatz an.70 Warum? Weil sie wusste, dass es ihre Kleinheit war, die Gottes barmherzige Liebe anzog. Und weil sie so klein war und vollkommen auf die göttliche Barmherzigkeit vertraute, glaubte sie, dass Gottes Barmherzigkeit sicher zu dem niedrigsten Ort eile – ihrer kleinen Seele! – und sie fülle bis zum Überfließen.

Wunderbar. Gut für die heilige Theresia. Aber was hat das alles damit zu tun, ein/e große/r Heilige/r zu werden? Nun, … Alles. Warum? Weil, was ist Heiligkeit anderes, als die barmherzige Liebe Gottes, die ausgegossen wird in unsere Herzen?

(Röm 5,5) Für Theresia ist das die wahre und größte Heiligkeit. Mehr noch, solch eine Heiligkeit ist kein menschliches Werk, sondern vielmehr Gottes Werk, ein Werk der Göttlichen Barmherzigkeit, das zum niedrigsten Ort eilt. Und weil Theresia glaubte, dass sie die kleinste Seele sei, glaubte sie, dass sie eine der größten Heiligen werden würde. In der Tat erklärte sie sogar dem Herrn: „Doch hier auf Erden vermag ich mir keine unermesslichere Fülle der Liebe vorzustellen, als diejenige, mit der Du mich umsonst und ohne jedes Verdienst meinerseits überreich beschenkt hast.“71 Wahrhaftig, denken Sie darüber nach: Sie hatte ein „Verdienst“: ihr Vertrauen. Schließlich ist es das Vertrauen, das die Schleusen von Gottes Barmherzigkeit öffnet und es erlaubt, dass sie hinabfließt, hinabfließt in kleine Seelen.

Was für eine Revolution in der katholischen Theologie! Theresia glaubte, dass sie die schwächste und kleinste der Seelen (Demut) war, und deshalb war sie zuversichtlich, eine der größten Heiligen zu werden (Großmut). Also, ihre Demut zügelte nicht ihr Verlangen nach Heiligkeit. Vielmehr, sie brachte sie ans Rennen zu den Höhen. Noch besser, sie brachte sie hinunter zur Niedrigkeit, tief hinunter zur Niedrigkeit, in den leeren Abgrund, sodass eine Überfülle der Göttlichen Barmherzigkeit hinuntereilen konnte. Das ist buchstäblich die größte Heiligkeit! Und es ist kein Stolz, darauf zu hoffen.73 Vielmehr ist das Demut. Und solche Hoffnung ist es, welche Theresia für jede kleine Seele zu erfahren wünscht:

O Jesus, könnte ich doch all den kleinen Seelen sagen, wie unaussprechlich Deine Herablassung für sie ist. … Ich bin mir gewiss, wenn Du – was unmöglich ist – eine noch schwächere, noch kleinere Seele als die meine finden würdest, so würdest Du sie mit Freuden mit noch größeren Gnaden überhäufen, wenn sie sich Deiner unendlichen Barmherzigkeit mit vollständigem Vertrauen überließe … Ich flehe Dich an, Deinen göttlichen Blick vom Himmel herab auf eine große Zahl von kleinen Seelen zu richten. … Ich flehe Dich an, eine Legion kleine Opfergaben zu erwählen, die Deiner LIEBE würdig sind!

Leseprobe aus: Michael E. Gaitley:33 Tage zur barmherzigen Liebe. Selbstmach-Exerzitien als Vorbereitung zur Weihe an die Göttliche Barmherzigkeit.

Hier geht es los mit dem ersten Teil der Leseprobe.