Der Kult um das Ich spiegelt sich in Zeiten des Relativismus auf vielfältige Weise wider. In der freien Welt dürfen Menschen ihre Meinung äußern, und das ist ein hohes Gut. Zugleich aber geht die Ausübung dieses Rechtes nicht selten mit der Anmaßung einher, dass das Subjekt diese Meinung mit einem absoluten Anspruch verbindet – und damit auch anderen schaden kann. Ein meinungsfreudiger Mensch glaubt sogar bisweilen das Recht auf Gefolgschaft zu besitzen: Ich möchte lustvoll leben. Ich möchte machen, was ich will. Ich will meine absolute Freiheit. Ich … Ich … Ich. Wer das Ich an die erste Stelle setzt, wendet sich ab von Gott. Nicht nur die Vermehrung von Meinungen wird als Rechtsanspruch angesehen, zugleich auch das Recht auf Formen des arroganten Wohllebens, ja des genießerischen, eitlen Hedonismus. Benedikt XVI. kritisiert in der Enzyklika „Caritas in veritate“ Formen der menschlichen Selbstbezüglichkeit. Er schreibt: „Viele Menschen neigen heute zu der Anmaßung, niemandem etwas schuldig zu sein außer sich selbst. Sie meinen, nur Rechte zu besitzen, und haben oft große Schwierigkeiten, eine Verantwortung für ihre eigene und die ganzheitliche Entwicklung des anderen reifen zu lassen. Es ist deshalb wichtig, eine neue Reflexion darüber anzuregen, daß die Rechte Pflichten voraussetzen, ohne die sie zur Willkür werden.“ So würden „mutmaßliche Rechte willkürlicher und genießerischer Art unter dem Vorwand beansprucht, sie würden von den staatlichen Strukturen anerkannt und gefördert, werden andererseits einem großen Teil der Menschheit elementare Grundrechte aberkannt und verletzt“. Der Subjektivismus ist in diesem Sinne eine Krankheit der Postmoderne: „Die Übertreibung der Rechte mündet in die Unterlassung der Pflichten. Die Pflichten grenzen die Rechte ein, weil sie sie auf den anthropologischen und ethischen Rahmen verweisen, in dessen Wahrheit sich auch diese letzteren einfügen und daher nicht zur Willkür werden. Die Pflichten stärken demnach die Rechte und bieten deren Verteidigung und Förderung als eine Aufgabe im Dienst des Guten an.“ 

Nachdrücklich erinnert Benedikt XVI. daran, dass eine Mehrheit keine Wahrheit schafft oder setzt – und dass das Naturrecht nicht eine luftige Idee, sondern eine Realität ist, die geachtet, respektiert und anerkannt werden muss. Der Papst benennt die Aufgabe der Kirche, gerade auch im Zusammenhang mit der Sexualität: „Die Kirche, der die wahre Entwicklung des Menschen am Herzen liegt, empfiehlt ihm die umfassende Achtung menschlicher Werte, und dies gilt auch für den Umgang mit der Sexualität: Man kann sie nicht auf eine lediglich hedonistische und spielerische Handlung reduzieren, so wie man die Sexualerziehung nicht auf eine technische Anleitung reduzieren kann, deren einzige Sorge es ist, die Betroffenen vor eventuellen Ansteckungen oder vor dem »Risiko« der Fortpflanzung zu schützen. Das würde einer Verarmung und Mißachtung der tiefen Bedeutung der Sexualität gleichkommen, die jedoch sowohl von der einzelnen Person wie von der Gemeinschaft anerkannt und verantwortungsvoll angenommen werden soll. Die Verantwortung verbietet es nämlich ebenso, die Sexualität lediglich als Lustquelle zu betrachten, wie sie in politische Maßnahmen einer erzwungenen Geburtenplanung einzubeziehen. In beiden Fällen steht man vor materialistischen Auffassungen und deren politischen Umsetzungen, in denen die Menschen schließlich verschiedene Formen von Gewalt erleiden.“ Geboten sei die „moralisch verantwortungsvolle Offenheit für das Leben“. In vielen Ländern würden „Symptome“ einer „moralischen Müdigkeit“ sichtbar. Benedikt wirbt für die „Schönheit der Familie und der Ehe“: „In dieser Hinsicht sind die Staaten dazu aufgerufen, politische Maßnahmen zu treffen, die die zentrale Stellung und die Unversehrtheit der auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründeten Familie, der Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft, dadurch fördern, indem sie sich auch um deren wirtschaftliche und finanzielle Probleme in Achtung vor ihrem auf Beziehung beruhenden Wesen kümmern.“

Die Förderung der Familie gehört zum Fundament einer „menschenfreundlichen Ethik“. Begründet bezweifelt Benedikt XVI., dass dies trotz der inflationären Rede über Ethik geschieht. Er stellt fest, dass eine „gewisse Abnützung des Adjektivs »ethisch«“ besteht: „Das kann so weit gehen, daß unter seinem Deckmantel Entscheidungen und Beschlüsse durchgehen, die der Gerechtigkeit und dem wahren Wohl des Menschen widersprechen.“ Ethik also im Sinne der katholischen Soziallehre setzt nicht auf eine Förderung des Subjekts und seiner selbstbezüglichen Sehnsüchte und Fantasien, sondern hat das Ganze im Blick und steht dem Egoismus des Menschen in seinen Dimensionen und Schattierungen entgegen. Das „wahre Wohl des Menschen“ besteht nicht in der Realisierung seines Wollens, sondern darin, den Willen Gottes immer besser zu erkennen, Gott immer mehr zu lieben – und so auch den Nächsten. Geboten ist heute also, dem Kult um das Ich zu widerstehen und für die „Schönheit der Familie und der Ehe“ einzutreten gemäß der Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte. 

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